Pfälzisch-Böhmischer Krieg

Wie sich Heidelberg vor 400 Jahren auf Tillys Angriff vorbereitete

Vor der Stadt wurde ein Bollwerk aus dem Boden gestampft - Diesmal kam man noch davon

26.07.2021 UPDATE: 27.07.2021 06:00 Uhr 5 Minuten, 54 Sekunden
Im Westen Heidelbergs wurde vor die alte Stadtmauer eine mächtige Bastion gelegt: ein gestaffeltes System von Wällen, Mauern und Gräben, das der Kriegsmaschine trotzen sollte. Hier der Blick von Bergheim her über den heutigen Bismarckplatz in Richtung Stadt. Der Turm in der Mitte der Stadtmauer markiert den Eingang zur Hauptstraße. Fotos: Kurpfälzisches Museum/Repro: Bechtel

Von Manfred Bechtel

Heidelberg. Als 1621 klar wurde, dass der Krieg, der im fernen Böhmen begonnen hatte, nach Heidelberg kommen würde, bereitete sich die pfälzische Residenzstadt in aller Eile auf die Belagerung vor. "Bis an den letzten Tropfen meines Bluts" gedenke er Heidelberg zu beschützen, ließ Kommandant van der Merven ausrichten, als Tilly die kampflose Übergabe forderte. Das war eine kühne Antwort angesichts der vernachlässigten Verteidigungsanlagen: Die alten Stadtmauern würden der fortgeschrittenen Kriegstechnik nicht standhalten. Daher galt es, alle verfügbaren Kräfte zum Ausbau zu mobilisieren. Bei Tag und bei Nacht wurde gearbeitet. Besonders im Westen, wo man den Hauptangriff erwartete, sollten mächtige Bastionen die Vorstadt schützen.

Gerade einmal acht Jahre waren vergangen seit den unbeschwerten Tagen, als der junge Pfalzgraf Friedrich V. die bezaubernde Elizabeth Stuart, Tochter des englischen Königs James I., auf sein Schloss geführt hatte. Mit dem jungen Fürstenpaar war 1613 eine glanzvolle Zeit mit Tanz und Theater angebrochen, auf dem Schloss entstanden der Englische Bau und ein "Weltwunder" der Gartenbaukunst: der Hortus Palatinus. Als die beiden 1619 mit großem Gefolge von Heidelberg nach Prag aufbrachen, ahnte mancher, die Sache könnte schlecht ausgehen, weil der Pfälzer Kurfürst mit der Annahme der böhmischen Königskrone zu hoch gegriffen habe.

Schließlich beanspruchte Kaiser Ferdinand II. diese Krone für sich selbst. Aber der Konflikt hatte noch eine andere Dimension: Der Pfälzer war Anführer der protestantischen Union, auf der Gegenseite standen der Kaiser und die katholische Liga mit Herzog Maximilian von Bayern als Führer. Am Weißen Berg bei Prag kam es am 8. November 1620 zu einer entscheidenden Schlacht: Friedrichs pfälzisch-böhmische Truppen unterlagen dem kaiserlich-bayrischen Heer. Friedrich floh mit seiner Familie aus Prag. Seine kurze Amtszeit als böhmischer König trug ihm den Spottnamen ‚Winterkönig‘ ein. Nach Heidelberg kehrte der Geächtete erst einmal nicht zurück – bei einer feindlichen Einnahme wäre er den Gegnern in die Hände gefallen. Über mehrere Stationen erreichte die Familie das sichere Den Haag.

Der Gouverneur der Stadt, Heinrich van der Merven, inspizierte die Baustelle.

Alles andere als sicher waren die knapp 7000 Einwohner seiner Residenz Heidelberg. Wer es sich leisten konnte, verließ die Stadt, insbesondere die exponierten Protestanten, die bei einer Eroberung durch die Katholischen um ihr Leben fürchten mussten. Aber auch wer blieb, musste sich auf das Schlimmste gefasst machen. Zunächst konnte man noch hoffen, der englische König würde seinem Schwiegersohn Friedrich zu Hilfe kommen; aber mehr und mehr zeichnete sich ab, dass aus England keine Hilfe zu erwarten war.

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Es war nur eine Frage der Zeit, bis die pfälzischen Stammlande von den gegnerischen Truppen heimgesucht würden. Die junge Festung Mannheim konnte dem einigermaßen gefasst entgegensehen, ihre Verteidigung war auf dem neuesten Stand. Heidelberg hatte Truppen zur Verteidigung, die bauliche Sicherheit dagegen war lange vernachlässigt worden. Für die Gegner war es "ein Stättlein, weil es schlecht verwahret, desto weniger Müh zu erobern kosten wird". Jetzt musste in aller Eile das Versäumte nachgeholt werden.

Alle Einwohner – Geistliche und Weltliche, Edle und Unedle, Studenten, Bürger, Manns- und Weibspersonen waren beim Bau der ‚Fortification‘ und ‚Außwercken‘ im Einsatz. So steht es im Begleittext des Kupferstiches, der das Szenario in allen Einzelheiten abbildet: Im Westen (entlang der heutigen Sofienstraße) wurde vor die alte Stadtmauer eine mächtige Bastion gelegt: ein gestaffeltes System von Wällen, Mauern und Gräben, das der Kriegsmaschine trotzen sollte. Im Zentrum der Bastion liegt heute der Bismarckplatz. Die Baustelle reichte im Norden bis zum Neckar, im Süden bis zur Friedrich-Ebert-Anlage und zum Stadtgarten. Am Hang des Gaisbergs, hoch über dem Stadtgarten, findet sich heute im Wald eine Art aufgelassener Bauplatz. Hier stand seit dem 15. Jahrhundert ein Eckpfeiler der Verteidigung: der Trutzkaiser, ein mächtiger Turm. Er war mittlerweile in schlechtem Zustand und musste für die fortgeschrittene Kriegstechnik ertüchtigt werden. Mit den Anlagen im Tal war er über einen geschützten Laufgraben verbunden.

Die Kanonen waren nach Westen gerichtet, von wo man den Hauptangriff erwartete.

Um den Gegner zu ärgern, prangte hoch über der Plattform des Trutzkaisers eine Krone. Sie symbolisierte den ungebrochenen Anspruch Friedrichs auf den böhmischen Thron. Hätte der Pfälzer in dieser Frage eingelenkt, wäre es bei dem Pfälzisch-Böhmischen Krieg geblieben; dann wäre kein Dreißigjähriger Krieg daraus geworden. Oberhalb des Trutzkaisers wurde eine weitere Bastion aus dem Boden gestampft; der rührigste Widersacher lieferte den Namen: Trutzbayer.

Mit diesen Bollwerken und den Besatzungstruppen hoffte Heidelberg einer Belagerung zu widerstehen. Frankenthal hatte es vorgemacht. Die pfälzische Stadt war im September 1621 von spanischen Truppen belagert und bombardiert worden; mit Feuerkugeln sollte die Stadt in Brand geschossen werden; die Bewohner löschten mit nassen Ochsenhäuten. Am 13. Oktober 1621 erfolgte die Aufforderung zur Übergabe. Doch mit einem Male zogen die Spanier ab, als sie erfuhren, dass der in Friedrichs Diensten stehende Kriegsunternehmer und Söldnerführer Mansfeld im Anmarsch war. Wo die Heere einfielen, hatte die Bevölkerung zu leiden. Solcherart war die Kriegsführung auf beiden Seiten: plündern, anbrennen, wer sich widersetzte, wurde niedergemacht.

Heidelberg war inzwischen vom Generalleutnant der katholischen Liga, dem Niederländer Johann T‘ Serclaes Graf von Tilly, ins Visier genommen worden. Mit seiner Streitmacht rückte er aus der Oberpfalz über den Taubergrund und die Bergstraße heran. Von Weinheim zog er gegen den Neckar und nahm Ladenburg ein, suchte in der Folge die ganze Region bis Eberbach und Mosbach heim.

Mit Pferd und Wagen wurden die Erdmassen transportiert.

In den letzten Oktobertagen 1621 forderte Tilly den Gouverneur Heidelbergs, Heinrich van der Merven, in einem – wie es heißt – höflichen Schreiben auf, die Stadt kampflos zu übergeben. "Mit der Hülff Gottes bis an den letzten Tropfen meines Bluts" gedenke er Heidelberg zu beschützen, ließ der Stadtkommandant den Angreifer wissen und versäumte nicht, auf den erfolgreichen Widerstand der Frankenthaler hinzuweisen.

Wer war dieser van der Merven? Ein Urteil über den Niederländer findet sich in einem der seltenen schriftlichen Zeugnisse, in lateinischer Sprache von Balthasar Venator, einem jungen Gelehrten und Dichter: "Manche zählen zu den internen Schwierigkeiten der Stadtbewohner, daß sie einen unmenschlichen Kommandanten gehabt hätten", dem der Tod der Zivilisten anscheinend gleichgültig gewesen sei. Zu leiden hatten die Einheimischen auch unter den einquartierten Truppen, etwa 3000 Soldaten, vorwiegend Holländer, Engländer und Pfälzer. "Das Vernehmen zwischen Bürgern und Besatzung [war] nicht das freundlichste", schreibt Ludwig Häusser in seiner ‚Geschichte der Rheinischen Pfalz‘, "die Soldaten waren, wie alle in dieser Zeit, zügellos (…) trugen [ihren Hausherrn] den Wein in Kübeln aus dem Keller (…) und sollen die ehrbaren Bürger gezwungen haben, gemeine Personen im Hause und am Tisch zu dulden."

Tilly ließ es fürs Erste bei der Absage bewenden, doch im Jahr darauf fuhr er seine geballte Kriegsmaschinerie auf und legte den Belagerungsring um die Stadt. Trotz großer Anstrengungen beim Ausbau der Verteidigungsanlagen waren Schwachstellen geblieben, insbesondere an der Neckarseite. Auch waren die Höhen von Gaisberg und Königstuhl nicht besetzt. Am 16. September 1622 wurde die Stadt blutig eingenommen. Kommandant van der Merven jedoch musste sein blutiges Versprechen nicht einlösen: Er durfte mit der Besatzung unbeschadet abziehen.


"Außer Niedermetzelung nichts erwarten"

Der Bericht des Zeitzeugen Julius Wilhelm Zincgref aus der gefährdeten Stadt

Heidelberg. (bec) In der zweiten Jahreshälfte 1621 rücken von den Niederlanden spanische Truppen der katholischen Partei heran und besetzen die linke Rheinseite. Frankenthal ist vom Feind belagert, das Donnern der Geschütze ist bis Heidelberg zu hören. Hier fürchtet man das gleiche Schicksal. In der Heiliggeistkirche versammelt sich die calvinistische Gemeinde: "Der gestrige Gottesdienst empfahl die Belagerten in öffentlichen Gebeten dem Schutz Gottes."

Der diese Zeilen schrieb, ist der Heidelberger Julius Wilhelm Zincgref, 1591 geboren, sein Elternhaus lag nahe der Universität in der Augustinergasse 2. Er ist gelernter Jurist, einen Namen macht er sich aber als Dichter. Zincgref wird zu einer Schlüsselfigur an der Schnittstelle zwischen der lateinischen Gelehrtendichtung des Späthumanismus und der einsetzenden Literatur in deutscher Sprache. Er ruft zum Widerstand gegen die katholischen Mächte auf und bezieht Stellung für die calvinistische Kurpfalz. Wie ein Aufruf zum Durchhalten klingt der Titel seines berühmten Kriegsgedichtes: "Eine Vermanung zur Dapfferkeit".

Darüber hinaus verdanken wir ihm ein seltenes Zeugnis. Es findet sich in der Korrespondenz mit dem Basler Professor Ludwig Lucius. Der Heidelberger Germanist Wilhelm Kühlmann hat diese lateinischen Briefe vor gut drei Jahrzehnten entdeckt und zugänglich gemacht, die Übersetzung besorgte Karl Wilhelm Beichert. Nachdem Zincgref zuvor noch zuversichtlicher gewesen war, vermittelt der Brief von Anfang Oktober 1621 ein düsteres Bild: "Wenn jene Stadt [Frankenthal] erobert sein wird, werden die Feinde ohne jeden Zweifel uns bedrohen." Das Gerücht von einer zweiten Bartholomäusnacht in Frankreich macht die Runde: "Man sagt, dass in Paris von den Papisten wieder die Fleischbank gegen die Unseren errichtet wurde, von denen eine große Zahl abgeschlachtet wurde." Der Briefschreiber kämpft gegen "Angst und Einsamkeit", er kann "außer Hunger, verderblichen Ansteckungen, Armut, Belagerung, Niedermetzelung nichts berechtigterweise erwarten". Er beklagt den Verlust seiner Güter, außer dem Haus in der Augustinergasse hat er nichts mehr. "Die ganze Bevölkerung flieht aus der Stadt", ist zu lesen, Zincgref dagegen harrt aus. Der Jurist ist zuletzt als Militärrichter der Garnison im Amt. Als Tilly 1622 die Stadt einnimmt, kann er fliehen. Später kommt er in der Pfalz noch einmal in Amt und Würden. Beim Herannahen der katholischen Front flüchtet er zu seinen Schwiegereltern nach St. Goar am Rhein. Dort stirbt er 1635 an der Pest.

Info: Zum Weiterlesen: Wilhelm Kühlmann und Karl Wilhelm Beichert: Aus den Jahren der Pfälzischen Katastrophe – Julius Wilhelm Zincgrefs Briefe (1613-1626) an den Basler Professor Ludwig Lucius. Heidelberg, 2018. Wilhelm Kühlmann: Julius Wilhelm Zincgref und Heidelberg. Spuren 122, Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar, 2020.

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