Karlheinz Lösch und Gerhard Schäfer blättern in den Erinnerungsalben ihrer Fahrt nach Bautzen.
Von Timo Teufert
Heidelberg. Im Schneetreiben machten sich Anfang Januar 1990 drei Heidelberger im roten Bulli des Stadtjugendrings auf, um kurz nach der Grenzöffnung eine Partnerstadt für Heidelberg in der DDR zu finden. Am Steuer saß damals Karlheinz Lösch, der im Partnerschaftskomitee des Stadtjugendrings aktiv war. Mit an Bord waren auf der neunstündigen Fahrt auch der damalige Vorsitzende des Stadtjugendrings, Gerhard Schäfer, und der Vorsitzende des Partnerschaftskomitees, Andreas Horn. Mit ihrer Idee rannten die Drei nicht nur in Bautzen offene Türen ein. Sie überzeugte letztendlich auch Oberbürgermeister Reinhold Zundel, einen Partnerschaftsvertrag mit Bautzen zu schließen.
"Wir sind losgefahren, um innerhalb von vier Tagen eine Partnerstadt für Heidelberg in Sachsen zu finden. Dafür hatten wir keinen Auftrag – von Niemandem", erinnert sich Schäfer heute. Bereits im November 1989 hatte er sich beim Ministerium für innerdeutsche Beziehungen erkundigt, welche ostdeutsche Stadt noch keine Partnerschaft mit einer westdeutschen hatte. "Wir sind davon ausgegangen, dass es weiterhin zwei deutsche Staaten geben wird und wollten einen Jugendaustausch", sagt Lösch. Drei Städte hatten die drei Herren ins Auge gefasst: Freiberg, Pirna und Bautzen.
Der damalige Vorsitzende des Stadtjugendrings, Gerhard Schäfer (links), und Karlheinz Lösch (rechts), der im Partnerschaftskomitee aktiv war, vor der Bautzener Stadtsilhouette. Foto: privatAuch wenn die Grenze offen war und man kein Visum mehr brauchte: "Als wir in Plauen über die Grenze gefahren sind, war das schon ein beklemmendes Gefühl", hat Horn die Tour noch in lebhafter Erinnerung. Aus heutiger Sicht sei es schon verrückt gewesen, einfach loszufahren, so Horn. Zunächst steuerte das Trio Dresden an, wo ein Bekannter von Schäfer eine Unterkunft organisiert hatte. "In Pirna hat sich kein Kontakt mit dem Rathaus ergeben, wir waren ja nicht angemeldet", so Lösch. Einen Tag später fuhr man deshalb nach Bautzen: "Als wir am Rathaus ankamen, trat gerade ein Mann heraus, der hinkte und am Stock lief. Bei ihm erkundigten wir uns, wie wir zum Bürgermeister kommen", erzählt der 80-Jährige. Darauf habe der Mann erwidert: "Recht einfach, das bin ich."
Hans Wagner, der Bürgermeister, öffnete den Dreien die Türen und brachte sie zum Zuständigen für den Sport. "Es gab dort ein großes Interesse an Jugendkontakten", berichtet Schäfer. Das Angebot der Heidelberger: "Wir nehmen eure Jugend mit in unsere Partnerstädte."
Schäfer legte mit dem Vorsitzenden des Partnerschaftskomitees, Andreas Horn, mit dem roten Stadtjugendring-Bulli vor dem Blauen Wunder in Dresden einen Fotostopp ein. Foto: privatNach ihrer Rückkehr berichtete die RNZ groß über die Aktion und so las auch Zundel am 29. Januar 1990 den Artikel. "Wir mussten dann zum Rapport ins Rathaus", berichtet Schäfer. Eigentlich habe der OB nur 15 Minuten Zeit gehabt, am Ende habe man aber zwei Stunden zusammengesessen. "In dem Gespräch haben wir offen angesprochen, ob Heidelberg nicht eine Partnerschaft mit Bautzen eingehen wolle", so Lösch. Zundel sei das erst nicht so recht gewesen, doch nachdem das Trio Bilder von der zerfallenen Altstadt gezeigt hatte, wollte auch Zundel helfen – und schlug den Fraktionen schließlich die Idee vor.
"Schon kurz nach dem Gespräch fuhren Heidelberger und Bautzener Jugendliche gemeinsam zum Länderspiel der Fußballnationalmannschaft nach Montpellier", so Schäfer. Deutschland habe grottenschlecht gespielt und 2:1 verloren. "Doch die Fahrt war der offizielle Einstieg in die Partnerschaft", so Schäfer. In den folgenden zwei Wochen fuhren viele Gruppen und Vereine nach Bautzen und nahmen unzählige Dinge – von Schreibmaschinen bis zu medizinischen Geräten – mit, die dort dringend benötigt wurden. "Die erste Lieferung waren Dachziegel", so Lösch.
"Wir waren damals unheimlich enthusiastisch", sagt Schäfer. Hemdsärmelig und mit kurzen Entscheidungswegen habe man die Partnerschaft forciert. "Im Nachhinein waren wir ganz schön frech und haben viele Leute einfach so angesprochen. Aber es hat geklappt", freut sich Horn.