Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Da kommt er, wie ein Gott aus der Maschine und doch wie einer aus dem Volke. Gestatten, Samy Deluxe. Wortakrobat, Poet und mit über einer Million verkaufter Tonträger einer der erfolgreichsten Rapper des Landes. Er erscheint aus dem Nichts, schwarz-weiße Mütze, Sonnenbrille, Drink in der Hand, und bahnt sich seinen Weg zur Bühne durch das Publikum, um diesem Festival und dieser Stadt noch eine letzte große Show zu liefern. Denn wer weiß, wann das wieder möglich sein wird – zusammenkommen, tanzen und feiern?
Es ist Donnerstag, 21.30 Uhr, und die Lichterketten im Süden von Patrick-Henry-Village leuchten. Sie tun es zum letzten Mal für dieses Jahr, aber sie tun es so verlässlich und schön, wie sie es immer getan haben in den vergangenen zwei Wochen. Die Lichter und die Kunst verwandelten diese Straße und das Metropolink-Festival auch in diesem Jahr in einen einzigartigen Ort. Einen Ort wie aus einer anderen Zeit. Einen Ort, an dem Kultur noch möglich ist. An dem sich Kreative austoben, Besucher freidrehen, all ihre Sorgen und Probleme vergessen können.
Wie die neun Festivalabende zuvor ist auch dieser ausverkauft: 500 Gäste sind auf das ehemalige US-Areal gekommen. Sie sitzen auf Decken und Campingstühlen, trinken Bier und essen Burger und sind größtenteils zwischen 20 und 40 Jahre alt. "Hebt die Hände hoch, wenn Ihr den Scheiß fühlt", schallt es von der Bühne, wo Samy Deluxe steht, eingehüllt in Nebel und Scheinwerferlicht. Anfangs folgen nur wenige dieser Aufforderung, manche Köpfe nicken, der ein oder andere Oberkörper schaukelt. Es wirkt, als wüssten viele nicht, wie sehr man hier eigentlich abgehen darf.
Dann aber legt er los, dieser unvergleichliche Samy Deluxe, schießt Reime schneller als eine Maschinenpistole, präziser als jedes Scharfschützengewehr. "Ich hab Rap für die Massen hier dekodiert / Definiert, etabliert und noch mehr schlaue Worte mit "iert" / Und wenn ihr vermutet, ich sei hier der beste Poet / Dann vermut’ ich, dass ihr euch nich’ irrt", rappt der 42-Jährige ins Mikrofon. Die ersten Gäste stehen auf, um zu tanzen. Immer mehr folgen ihnen und strömen in Richtung Bühne, werfen ihre Hände in die Luft, lassen ihren Körper einfach machen – natürlich nicht ohne ihre Maske und genügend Abstand, denn, so viel ist klar, das Virus könnte ja immer mittanzen. Das weiß auch Deluxe, der appelliert: "Lasst uns das hier ernst nehmen."
Die Pandemie ernst nehmen und dennoch nicht allen Freuden des Lebens entsagen – dass das funktionieren kann, haben Organisatoren, Künstler und Publikum in den letzten zwei Wochen unter Beweis gestellt. "Ich bin froh, dass es noch Orte wie diesen gibt", sagt Samy Deluxe. Lange musste der Rapper auf solche Auftritte verzichten. Seit dem Lockdown trat er einmal im Autokino auf ("Den Scheiß mache ich nie wieder") und einmal beim Lüneburger Kultursommer ("Das war sehr statisch angeordnet"). Nirgendwo sei es so locker wie hier, in Heidelberg, sagt Deluxe. "Es ist wichtig, dass genau diese Orte bestehen bleiben, wo Kunst unkontrolliert entstehen kann." Für das Publikum. Aber auch für Künstler wie ihn. Denn eines wird ihm jetzt, vor all diesen tanzenden Menschen, klar: "Es ist schon geil, Konzerte zu geben."
Das sieht auch das Publikum so. Immer wieder verlangt es nach einer weiteren Zugabe. Samy Deluxe lässt sich nicht lange bitten. Noch einmal dreht er auf, ruft "Schreit ma’ und seit ma’ so laut ihr könnt" und bringt so eine ganze Straße zum Abheben. Dann wird es ruhiger, die Musik wechselt von Rap auf Reggae, aber alle tanzen sie weiter zu der sonnigen Stimme Bob Marleys: "Don’t worry about a thing / ’Cause every little thing gonna be all right."