Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Die 35-Jährige, die bei einem Trinkgelage mit einer zerschlagenen Bierflasche auf eine Bekannte losgegangen war und ihr in den Hals geschnitten hatte, ist am Mittwoch wegen gefährlicher Körperverletzung zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Außerdem ordnete der Vorsitzende Richter Jochen Herkle eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und eine Schmerzensgeldzahlung von 4000 Euro an. Die Angeklagte hat ein Alkoholproblem und die Tat erheblich alkoholisiert begangen.
Ursprünglich war die Frau wegen versuchter Tötung angeklagt, die Schwurgerichtskammer des Heidelberger Landgerichts geht nach vier Verhandlungstagen allerdings davon aus, dass die 35-Jährige strafbefreiend von der versuchten Tötung zurückgetreten ist. Wird das Urteil rechtskräftig, kann die Angeklagte nach einer erfolgreichen zweijährigen Entziehungskur freikommen.
Die 35-Jährige blieb bis zuletzt bei ihrer Geschichte, dass nicht sie, sondern der Sohn des Opfers mit der Glasscherbe zugestochen hatte. Das Gericht glaubte ihr allerdings nicht. "Das war eine Version, die kein anderer Zeuge so gesehen hat, im Gegenteil", sagte Richter Herkle in der Urteilsbegründung. Die Zeugen hätten sich zwar beim "Randgeschehen" teilweise widersprochen, beim "Kerngeschehen" seien sie sich aber einig gewesen.
Bei dem Trinkgelage am 22. August hätten die Angeklagten alle viel getrunken, "die meisten mehr, als ihnen gutgetan hat", so Herkle. Außerdem seien bereits vorher "allerhand Dinge durch die Gegend geflogen". Nach einem Streit zwischen der Angeklagten und dem späteren Opfer verließ dieses die Wohnung und wollte später ihre Handtasche holen. Dann eskalierte die Situation ein weiteres Mal. Die Angeklagte folgte der Frau in den Flur, zerschlug eine Bierflasche auf dem Treppengeländer und ging auf sie los. Ein Zeuge konnte ihr den Flaschenhals entwinden, wurde aber selbst verletzt. Im Gerangel mit dem Opfer griff die Angeklagte zu einer Glasscherbe, die auf dem Boden lag, und schnitt ihrer Kontrahentin in den Hals. "Die Verletzung verfehlte die Schlagader nur knapp", so Richter Herkle. Der 13-jährige Sohn des Opfers nahm dann eine Flasche und schlug der Angeklagten auf den Kopf. Sie war aber nicht außer Gefecht gesetzt und hatte auch die Glasscherbe noch in der Hand. Die Angeklagte unternahm aber keine weiteren Angriffe, "obwohl ihr solche durchaus möglich gewesen wären", erklärte Herkle. "Wir gingen davon aus, dass die Angeklagte vom versuchten Tötungsdelikt zurückgetreten ist", so der Richter. Sie habe freiwillig von der Tatausführung abgesehen, denn sie habe erkennen können, dass ihr Opfer nicht tödlich verwundet war und die Zeugen sie nicht hätten hindern können: "Im Ergebnis haben wir das ,nur’ als gefährliche Körperverletzung gewertet."
Die Richter milderten die Strafe wegen der erheblich verminderten Schuldfähigkeit: Die Angeklagte hatte zum Tatzeitpunkt bis zu 2,5 Promille Alkohol im Blut. Ein Sachverständiger attestierte ihr ein Alkoholproblem. "Wenn sie einmal angefangen hatte zu trinken, war sie nicht mehr zu stoppen", so Richter Herkle. Und diese Tat sei aus diesem Hang entstanden, "das war mit Händen zu greifen", erklärte Herkle. Die Therapie habe aber Aussicht auf Erfolg. Danach könne ihr die Reststrafe erlassen werden, "so sieht es das Gesetz vor".
Update: Mittwoch, 24. Februar 2021, 20.22 Uhr
13-Jähriger soll Mutter vor Angreiferin gerettet haben
Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Mit einer zerschlagenen Bierflasche soll eine 35-Jährige bei einem Trinkgelage versucht haben, eine Bekannte zu töten. Der Schnitt in den Hals verfehlte nur knapp die Schlagader. Doch der 13-jährige Sohn des Opfers soll mit einem beherzten Schlag auf den Kopf der Angreiferin Schlimmeres verhindert haben. Die Angeklagte indessen stellt den Tathergang ganz anders dar. Seit Dienstag muss sie sich vor dem Landgericht verantworten.
Laut Staatsanwaltschaft eskalierte die kleine Feier am 22. August letzten Jahres: Mehrere Bekannte und Freunde hätten in einer Wohnung in Kirchheim Bier getrunken, als es zum Streit zwischen den beiden Frauen gekommen sei. Als die 36-Jährige mit ihrem später hinzugekommenen Sohn gehen wollte, sei die Angeklagte den beiden mit einer Bierflasche ins Treppenhaus gefolgt, habe diese auf dem Geländer zerschlagen und sei mit dem spitzen Flaschenhals auf die Frau losgegangen. Einem Zeugen sei es zwar gelungen, ihr den Gegenstand aus der Hand zu winden, doch im Gerangel habe die Angeklagte mit einer Scherbe zugestochen. Der Schnitt war zehn Zentimeter lang, fünf Millimeter tief und verfehlte die Schlagader nur knapp. Dabei soll die Angreiferin gedroht haben: "Ich töte dich." Der Sohn des Opfers habe sich eine Flasche geschnappt und der Angeklagten damit auf den Kopf geschlagen, sodass sie von anderen Zeugen weggezogen werden konnte. "Lebensgefahr bestand nicht", so Staatsanwältin Christiane Vierneisel.
Die Angeklagte schildert es ganz anders: Nicht sie, sondern der 13-Jährige habe seine Mutter mit der Glasscherbe in den Hals geschnitten. Ihre Bekannte habe schon in der Wohnung mit "unangenehmen Geschichten" angefangen und dort von ihrer lesbischen Beziehung erzählt. Das habe den Männern gefallen – ihr aber nicht. Deshalb seien sie das erste Mal aneinandergeraten. Irgendwann habe dann der 13-Jährige mit einer Bierflasche auf sie eingeschlagen: "Mehr als zehnmal." Die Angeklagte vermutet, die Mutter habe ihm erzählt, dass sie sie geschlagen habe. Als Mutter und Sohn dann gingen, sei sie hinterher, um sie zur Rede zu stellen und zu fragen, warum sie ihm so etwas erzähle. Der 13-Jährige habe dann die Flasche zerschlagen und sei auf sie losgegangen. Sie habe sich hinter seiner Mutter versteckt, die er dann versehentlich verletzt habe.
Der Vorsitzende Richter Jochen Herkle war angesichts der in den Akten vermerkten Zeugenaussagen wenig überzeugt: "Es gibt niemanden, der ihre Geschichte stützt", erklärte er ihr. "Die Zeugen erzählen alle eine andere Geschichte." Warum sollten sie lügen? Weil sie alle den 13-Jährigen schützen wollten, behauptete die Angeklagte.
Die 35-Jährige war bei der Tat betrunken – noch Stunden später wurde über ein Promille nachgewiesen. "Wenn ich ein Bier trinke, dann höre ich nicht mehr auf", sagte sie. Staatsanwältin Vierneisel versuchte, ihr klarzumachen, dass statt einer hohen Strafe auch eine Entziehungskur angeordnet werden könne und sie damit noch eine Perspektive habe. Dafür müsse sie aber zu ihrer Tat stehen. "Alkohol hat in ihrem Leben eine ganz schlimme Rolle gespielt", so Vierneisel. Auch Jens Klein, der das Opfer vertritt, sprach ihr gut zu: "Ich sitze als Verteidiger oft auf ihrer Seite des Gerichtssaals und kann mir vorstellen, was in Ihnen vorgeht."
Die 35-Jährige ging jedoch nicht darauf ein und änderte ihre Aussage nicht. Danach sagten unter anderem das Opfer, der 13-Jährige und der Mann aus, der der Angeklagten den Flaschenhals aus der Hand gewunden haben soll. Ihre Aussagen waren teils widersprüchlich. In einem waren sich aber alle einig: Die Angeklagte habe die Flasche zerschlagen und sei damit auf das Opfer losgegangen.