Fortification Speyrer Thor: Nach Westen war die Stadt hervorragend befestigt. Hier der Blick von Bergheim her über den heutigen Bismarckplatz in Richtung Eingang der Hauptstraße, wo ein Torturm stand. Rechts der Trutzkaiser. Repro: Bechtel
Von Manfred Bechtel
Heidelberg. "Am 4. November 1619 war alles gut. Der Pfälzer Kurfürst Friedrich V. wurde in Prag zum König von Böhmen gekrönt, seine Elisabeth wurde Königin. Wären wir bei den Gebrüdern Grimm, so könnten wir sagen: Sie werden glücklich und leben bis an ihr Ende!" Wie sonst Märchen enden, begann Professor Frieder Hepp seinen Vortrag zum Thema "Heidelberg im Dreißigjährigen Krieg", einen Vortrag, den er eigentlich nicht mehr hatte halten wollen, weil zu dem Thema alles gesagt sei. Aber vorletzte Weihnachten hatte er dann doch seinen Entschluss geändert.
Schuld war ein Sortiment einschlägiger Bücher auf dem Gabentisch. Darin werden, so der Historiker Hepp, "im Grunde viele Legenden und Geschichten wiedererzählt". Da war für den Direktor des Kurpfälzischen Museums Heidelberg klar: "Das kannst du so nicht stehen lassen!" Also nahm er sich beim Verein "Alt Heidelberg" noch einmal der Ereignisse von vor 400 Jahren an. Dass anhaltender Beifall eine Geschichtsstunde abschließt, wird wohl eher selten vorkommen - aber hier war es der Fall.
Eine dieser "Legenden": Die Frage, wer denn Kurfürsten Friedrich zu dem böhmischen Abenteuer verleitet habe. Übliche Antwort: Natürlich die Frau! So stand es schon in den Flugblättern der Zeit, "und das zieht sich durch die gesamte Geschichtsschreibung. Und jetzt kommen diese ganzen Storys". Am bekanntesten ist wohl die mit dem Sauerkraut: Elisabeth, die Königstochter aus England, soll gesagt haben, sie würde lieber Sauerkraut mit einem König essen, als mit einem Kurfürsten an reicher Tafel sitzen. "Das schreiben Generationen von Gelehrten ab!" Diese Anekdote lasse sich ebenso wenig belegen wie die anderen Sprüche. Im Gegenteil: "Mittlerweile sind die Briefe, die sich die beiden geschrieben haben, ediert, wir haben die Quellen. Elisabeth hat ihn sogar davor gewarnt: Lass die Finger davon! Hier weißt du, was du hast, und so weiter."
Wer aber hat tatsächlich Friedrich beeinflusst, die böhmische Königskrone anzunehmen? "Das waren die alten Berater des gerade einmal 23-Jährigen, die haben ihn unter Druck gesetzt, letztendlich aus religiösen und politischen Motiven. Man hat ihm gesagt: Du bist dafür ausersehen, die katholischen Mächte zu stoppen, nimm es als ein Zeichen Gottes!" Der Dreißigjährige Krieg, so lernt man, hat am 23. Mai 1618 mit dem Fenstersturz in Prag begonnen. "Ob die Böhmen wieder mal einen aus dem Fenster herauswerfen oder nicht, das hat in Heidelberg wenig interessiert", rüttelte Hepp an der bewährten Überlieferung. "Was die Menschen wirklich umgetrieben hat, das hat man nämlich 1619 in Heidelberg gesehen, das stand auch in der Zeitung, das war ‚ein schröcklicher Comet-Stern mit einem sehr langen brennenden Schwantz‘, der am Himmel erschienen war". Ohne Zweifel war dieses Ereignis für viele das Vorzeichen einer schlechten Zukunft.
Im Sommer vor 400 Jahren laufen die Dinge dann dramatisch zu. "Da haben die böhmischen Stände, weil sie den katholischen Habsburger Ferdinand II. satt hatten, einen neuen König gesucht und haben ‚unserem‘ Friedrich die Königskrone anboten." Postwendend sammelt die Gegenseite, die katholische Liga, ihre Truppen. Denn mit einem protestantischen König von Böhmen hätte die katholische Partei im Kollegium der Kurfürsten ihre Mehrheit verloren. Am 8. November 1620 treffen die Heere am Weißen Berg bei Prag aufeinander. "So ungefähr ein Olympiastadion voll Leuten stand sich gegenüber, knapp fünfzig- bis sechzigtausend." Friedrichs Armee wird geschlagen. Hepp hakt ein: "Die Schlacht am Weißen Berg forderte bis zu tausend Gefallene. Sie war nie vernichtend, aber sie war entscheidend!"
Friedrich schätzt die Situation falsch ein und ergreift das Hasenpanier. In aller Eile tritt er mit seiner Familie die Flucht an, die schließlich bei der Verwandtschaft in den Niederlanden endete. Für die Nachwelt wird er wegen seiner kurzen Regierungszeit der ‚Winterkönig‘ bleiben. Im sicheren Exil können die Geflohenen ein standesgemäßes Leben führen. Vor ihrem Stammsitz Heidelberg marschieren im Juli 1622 die Truppen der katholischen Liga unter General Tilly auf. Kanonenstellungen umzingeln die Stadt und schießen sie sturmreif. Merian hat den entscheidenden Augenblick festgehalten, als die kroatische Reiterei von Neuenheim her durch den flachen Neckar reitet.
Info: "Königskinder - Das Schicksal des Winterkönigs und seiner Familie". Ausstellung im Kurpfälzischen Museum, 6. Oktober bis 16. Februar.
Das Schloss vom Stephanskloster aus betrachtet. Foto: Bechtel
In Feldlagern verschanzten sich die Angreifer und umzingelten die Stadt (Tafel des historischen Pfades). Foto: Bechtel