Schmale Bürgersteige, Autoverkehr und in der Mitte die „Bembl“ – so präsentierte sich die Hauptstraße im noch im Jahr 1976. Zwei Jahre später sind die Schienen weg und die Hauptstraße ist zur reinen Fußgängerzone geworden. Foto: RNZ-Repro
Von Julia Lauer
Heidelberg. Brillengeschäfte, Burgerläden und Kleidung: Das Angebot der Hauptstraße mag nicht durchweg originell sein, dennoch ist sie der Stolz der Stadt. "Heidelberg kann sich rühmen, eine der längsten Fußgängerzonen Europas zu besitzen", schreibt zum Beispiel der Reiseführer "Marco Polo". Aber dass man in der Hauptstraße vom Verkehr ungestört umherflanieren kann, ist so selbstverständlich nicht.
In den Nachkriegsjahren wird 1953 mit der Treppenstraße in Kassel die erste Fußgängerzone Deutschlands eingeweiht, und es entdecken immer mehr Städte dieses Konzept für sich. In den späten 1960er-Jahren, als vor dem Rathaus noch Feierabendverkehr herrscht und die Menschen sich vor der anfahrenden Straßenbahn auf enge Gehsteige retten, überlegen die Stadträte, wie die Altstadt weitgehend verkehrsfrei werden kann. Aber es dauert noch fast ein Jahrzehnt, bis die Idee umgesetzt ist.
> Zur Gestaltung der Hauptstraße, RNZ vom 26. März 1976: Veraltete Leitungen sollen ausgewechselt, die Hauptstraße neu gestaltet werden. Dass ein "Fußgängerbereich Hauptstraße" vorgesehen ist, steht fest. Aber was das genau bedeutet, noch nicht. Und so ist der Titel eines RNZ-Berichts zum Thema als Frage formuliert. "Straßenbahn nicht mehr gefragt?", lautet er. In einem von OB Reinhold Zundel und der Stadtverwaltung gemeinsam ausgearbeiteten Papier findet sich der Vorschlag, die Straßenbahn aus der Hauptstraße nicht nur während der anstehenden Bauarbeiten, sondern auch nach deren Fertigstellung herauszunehmen. Sie ist für den Herbst 1978 geplant. Auch einen Namen für dieses Konzept gibt es schon: Das Papier bezeichnet es als "Behaglichkeitslösung".
> Das Ziel nimmt Gestalt an, RNZ vom 4. Mai 1976: Der Gemeinderat hat sich entschieden: Mit nur einer Gegenstimme will er eine Hauptstraße, die Fußgängern vorbehalten ist. "Ziel: Fußgängerzone ohne Straßenbahn", schreibt die RNZ. "Heidelberg macht jetzt ernst mit seiner Fußgängerzone, die mit 1,4 Kilometer Länge die längste im Bundesgebiet sein wird." Allerdings erwartet der Gemeinderat, dass die verkehrstechnische Erschließung der Altstadt gelingt. Eingeführt werden deshalb auch neue Busverbindungen und Kurzzeitparkplätze.
> Die Bauarbeiten gehen voran, RNZ vom 25. November 1977: Die Bauarbeiter schweißen Straßenbahnschienen heraus, hämmern Betonunterbauten weg, bauen Zugänge zu den Geschäften teils etliche Male um. Mitunter müssten seine Männer an manch frisch asphaltierte Bereiche schon bald noch einmal ran, erzählt der Schachtmeister der RNZ. Wenn Passanten nach den Gründen dafür fragen, scherzt der Baggerführer: "Das wird widder uffgerisse, weil der OB sein Geld drin verlore hot." Nach 228 Kalendertagen ist der Ausbau des ersten Abschnitts der Hauptstraße vollbracht, und zwar zwischen Sofienstraße und Brunnengasse. Mit etlichen Überstunden hätten die Bauarbeiter mit der fristgerechten Fertigstellung dieses Bauabschnittes schier Unmögliches vollbracht, schreibt die RNZ. "Es gibt kaum einen Anlieger, der letztlich nicht doch voll des Lobes für die Männer ist."
> Am Tag vor der Einweihung der Fußgängerzone, RNZ vom 29. September 1978: Dass die historische Hauptstraße ein neues Gesicht bekommt, nimmt die RNZ zum Anlass für eine Sonderbeilage. "Ein vielseitiger, leistungsfähiger Einzelhandel vom Fachgeschäft bis zum Kaufhaus und eine traditionsreiche Gastronomie prägen das Gesicht der neu geschaffenen Fußgängerzone", frohlockt sie auf dem Titel. Auch die folgenden Seiten feiern, dass der Verkehr in der Hauptstraße Vergangenheit ist. Die Zeit, in der die jetzige Fußgängerzone "von Straßenbahnen, Pkw und Schwerfahrzeugen befahren wurde", könne man schließlich nur "in schlechter Erinnerung haben", urteilt diese Zeitung. Am folgenden Tag steht die Einweihung der Hauptstraße an – mit dem "Heidelberger Herbst".
> Gastbeitrag von Oberbürgermeister Reinhold Zundel, RNZ vom 29. September 1978: In seinem Gastbeitrag nimmt der damalige Oberbürgermeister in den Blick, was die neue Hauptstraße für die Menschen in der Altstadt bedeutet. 11.500 Menschen leben seinerzeit in ihren Gebäuden – was jedoch bis dahin offenbar nicht unbedingt ein Grund zur Freude ist. So lauten Zundels Zeilen: "Sie plagen sich in Wohnungen von miserablem Zuschnitt und indiskutabler Ausstattung. Sie nehmen eine Umwelt in Kauf, die sich innerhalb liberaler Gesetzesnormen rücksichtslos breitmachte."
Als Wohngebiet soll die Altstadt wieder attraktiv werden, weshalb das Stadtoberhaupt auch die Rücksichtnahme auf den Charakter Alt-Heidelbergs bei der Gestaltung der Hauptstraße hervorhebt. Der Fußgängerbereich habe die Stadterneuerung vervollständigt. "In die Mitte der Altstadt ist auf ihrer ganzen Länge Ruhe eingekehrt", lobt er.