Heidelberger Mieterverein

Viele können gerade ihre Miete nicht bezahlen oder wollen umziehen, sitzen aber in Quarantäne

"Darauf war das Sozialsystem nicht eingerichtet"- Der Chef des Heidelberger Mietervereins Christoph Nestor im RNZ-Interview

28.04.2020 UPDATE: 29.04.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 50 Sekunden
Heidelberg zählt zu den teuersten Städten in Deutschland, wenn es um die Miete geht. Hier ein Blick in die begehrte Weststadt. Foto: Joe/RNZ-Repro

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Christoph Nestor leitet seit 30 Jahren den Mieterverein Heidelberg und Umgebung.

Herr Nestor, berät der Mieterverein noch?

Ja sicher, aber seit März ausschließlich telefonisch. Unsere zehn Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sitzen dann zu Hause am Telefon. Das klappt alles sehr gut.

Viele Menschen haben jetzt Einnahmeausfälle, sind in Kurzarbeit oder verlieren ihren Job. Merken Sie das schon beim Mieterverein?

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Das schlägt noch nicht in Massen bei uns auf. Es sind schon manche dabei, die wegen Corona nun ihre Miete nicht mehr zahlen können. Es dürften aber mit der Zeit mehr werden, wenn etwa außer für April auch für Mai die Miete nicht bezahlt ist.

Christoph Nestor. Foto: Dorn

Was raten Sie denen?

Als erstes fragen wir immer: Haben Sie schon mit dem Vermieter Kontakt aufgenommen? In den meisten Mietverhältnissen können auch solche Fälle einvernehmlich geregelt werden. Der Vermieter kann die Miete stunden, eine Ratenzahlung vereinbaren oder die Miete beziehungsweise Teile davon eine Zeit lang erlassen.

Und wenn es keine Einigung gibt, was raten Sie dann?

Dann ist zum einen wichtig, die rechtliche Lage durch Beratung genau zu beachten und zum anderen zu wissen, wo es Hilfe gibt, wenn das Geld nicht für die Miete reicht.

Der Bundestag hat ein Gesetz beschlossen, wonach niemand fristlos gekündigt werden darf, der die Mieten zwischen April und Juni nicht bezahlen kann. Reicht dieses Gesetz aus?

Nein, es ging zu schnell. Es ist ja klar absehbar, dass die Einnahmeausfälle bei vielen Menschen länger anhalten werden. Deshalb muss die Frist weit über den Juni hinaus verlängert werden. Zudem muss der Schutz auch auf ordentliche Kündigungen und die Mietkautionen ausgeweitet werden. Ich gehe fest davon aus, dass der Bundestag da noch nachbessern wird.

Und wo bekommen Mieter finanzielle Unterstützung bei der Mietzahlung?

Denkbar sind etwa Grundsicherung, die man beim Jobcenter beantragt, oder Wohngeld, das man bei der Stadt beantragen kann. Es kommt dann immer auf die finanziellen Details im Einzelfall an.

Ihr Dachverband, der Deutsche Mieterbund, fordert einen "Sicher-Wohnen-Fonds", aus dem Mieter schnell zinslose Darlehen bekommen. Bei längeren Einkommensausfällen könnten diese auch in Zuschüsse umgewandelt werden, die nicht zurückbezahlt werden müssen. Wieso braucht es diesen Fonds?

Um Mieter langfristig abzusichern, die jetzt ohne eigenes Verschulden coronabedingt in Schwierigkeiten gekommen sind. Es hilft aber auch jenen kleineren Vermietern, die von der Miete ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen.

Ist das mit den bestehenden Sozialleistungen nicht zu schaffen?

Die Details der Notwendigkeit bespricht der Präsident des Mieterbunds derzeit mit dem Justizministerium. Ich kann ein solches Instrument aber nur dringend empfehlen, weil viele finanzielle Ausfälle bei Mietern und dann auch Vermietern längerfristig sein werden und unser Sozialsystem auf so etwas nicht eingerichtet war.

Anderes Thema: Muss ich jetzt meinen Vermieter eigentlich noch in die Wohnung lassen?

Nein. Dazu braucht es sowieso immer einen Grund. Der Schutz des Mieters auf körperliche Unversehrtheit ist derzeit vorrangig. Termine, die nicht absolut notwendig sind, müssen jetzt verschoben werden. Aber natürlich sollte der Handwerker kommen, wenn es einen Rohrbruch gibt.

Wie ist es bei Wohnungsbesichtigungen? Nehmen wir an, ein Mieter hat gekündigt, lebt aber noch in der Wohnung und der Vermieter sucht nun Nachmieter.

Auch hier hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit Vorrang. Man sollte miteinander sprechen, ob man einen Modus für die Besichtigungen findet, mit dem alle einverstanden sind. Eventuell muss der Vermieter aber warten bis zum Auszug.

Und wenn man gekündigt hat, eigentlich zum Monatsende ausziehen muss, dann aber an Covid-19 erkrankt oder als Verdachtsfall in Quarantäne ist?

Dann kann man natürlich erst einmal nicht ausziehen. Man sollte aber immer sofort mit dem Vermieter sprechen, wenn das eintritt. Auch hier kann eine fachliche Beratung notwendig werden.

Und wenn der Nachmieter schon auf der Matte steht?

Dann müssen alle gemeinsam nach Lösungen suchen. Solche Umzugsverzögerungsketten gibt es schon immer. Dann müssen halt alle noch einmal neu planen. Das ist ärgerlich, aber in aller Regel machbar.

Sie sammeln seit Februar Unterschriften für einen Einwohnerantrag Wohnen in Heidelberg. Demnach sollen künftig vorrangig gemeinwohlorientierte Bauträger in Heidelberg Wohnungen bauen. Wie schätzen Sie die Chancen des Antrags jetzt aktuell ein?

Eher besser bis sehr gut. Wir geben ihn in den nächsten Wochen ab. Ich denke, die Aktien dieses Antrags sind in dieser Krise enorm gestiegen. Wir haben ja jetzt eine breite und lebhafte Debatte über das Gemeinwohl in unserer Gesellschaft. Wenn jetzt also Polizistinnen, Verkäufer, Krankenpflegerinnen und Paketboten als systemrelevant geadelt werden, dann müssen wir endlich dafür sorgen, dass sie sich die neu entstehenden Wohnungen in Heidelberg auch leisten könnten.

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