Das Jahr 1984 war für Wolfgang Birr der Wendepunkt: Heute baut der 72-Jährige Schulen in Ecuador. Foto: Hentschel
Von Julian Weber
Heidelberg. Das dünne Papier knistert, als Wolfgang Birr den Bauplan auf dem viel zu kleinen Holztisch ausbreitet. Die schwarzen Linien verbinden sich zu Grundrissen, nach und nach werden Klassenzimmer und Schlafräume sichtbar. Der Bau - eine Schule in Ecuador - ist eine Herzensangelegenheit des 72-Jährigen. Unterstützt und koordiniert wird das Projekt zukünftig vom "Verein für Straßenkinder in Ecuador", der Anfang des Jahres in Heidelberg gegründet worden ist.
Dem Verein zufolge leben Zehntausende Kinder auf den Straßen der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. "Wir müssen diese Kinder aus dem Müll holen. In der Schule sollen 30 von ihnen ein Heim bekommen", sagt Wolfgang Birr. Über 20 Jahre hat er in dem südamerikanischen Land gelebt. Im vergangenen Jahr kam er zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter wieder nach Heidelberg, um für das Projekt zu werben und Spenden zu sammeln.
Das Besondere an dem Bau: Die bisherigen Arbeiten wurden ehrenamtlich geleistet. Aber wie baut man eine Schule ohne Geld? Möglich sei das nur durch die hohe Solidarität, die zwischen den Menschen vor Ort herrsche, sagt Birr. Eltern und Großeltern hätten seit 2011 an dem Schulbau gearbeitet - in einer sogenannten Minga. Dies ist eine indigene Tradition der gemeinschaftlichen Arbeit, die für das Gemeinwohl geleistet wird.
"Einer hat Baueisen gebracht, ein anderer acht Tonnen Zement, der nächste Ziegelsteine oder Essen. So ging das an 294 Sonntagen. Wir haben die extrem armen Menschen dort ehrenamtlich angeleitet", sagt Birr. Zur Jugendarbeit sei er durch seinen Glauben gekommen. Gott habe ihn im Jahr 1984 gefragt: "Wolfgang, wenn Du in 15 Minuten stirbst, was hast Du für die Armen gemacht?" Danach habe sich das Leben des damaligen Volkshochschullehrers geändert. Er erinnert sich: "Ich habe Auto und Motorrad verkauft und bin aus der schönsten Wohnung Heidelbergs - direkt am Philosophenweg - ausgezogen."
Nach einer Station als Journalist in Kolumbien kam er im Jahr 1996 in Ecuador an - mit einem Touristen-Visum. "Damals hatte ich überhaupt nicht vor, in Ecuador zu bleiben", sagt der 72-Jährige. Die Idee für eine Jugendherberge für Straßenkinder habe er aber immer im Hinterkopf gehabt.
Das Geld für die Fertigstellung der Schule soll nun der gemeinnützige "Verein für Straßenkinder in Ecuador" sammeln. Eines der Ziele des Vereins ist, Projekte zu unterstützen und zu initiieren, die einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort leisten. Das Konzept der Schule orientiert sich deshalb an den drei Grundpfeilern Herz, Hirn und Hand.
"Neben dem Unterricht in der Schule ist geplant, dass die Kinder auch in einem Krankenhaus alten Menschen oder bei der Feuerwehr vor Ort helfen", sagt Birr. Außerdem sollen sie in sieben Werkstätten einen Beruf wie Schreiner, Bäcker oder Schuster erlernen. Dazu sollen die Ausbilder vor Ort einmal im Jahr von deutschen Facharbeitern geschult werden.
Um die Arbeit vor Ort zu koordinieren, will der Verein auch Stipendien an junge Menschen vergeben. Als Volontäre sollen sie aktiv in der Schule mitarbeiten. Zu den sieben Gründungsmitgliedern gehören deshalb auch zwei Studenten und ein Abiturient. Der 23 Jahre alte Max Muser ist einer von ihnen. "Da das Projekt noch in den Kinderschuhen steckt, haben wir die Möglichkeit, uns stark einzubringen und viel mitzugestalten. Das hat mich gleich zu Beginn fasziniert", sagt Muser. Die Stimme der Studenten werde im Verein wahrgenommen und habe Gewicht.
Das ist auch so gewollt: Wolfgang Birr hat zwar den Vorsitz des Vereins übernommen - aber nur auf Zeit. In Zukunft möchte er sein Lebensprojekt in jüngere Hände geben: "Die Mission ist diese Schule. Die Vision ist aber eine andere. Sie lautet: Internationale Jugend hilft Jugend."