Heidelberger Altstadt

Antirassismus Netzwerk fordert Konsequenzen nach Erichson-Aussagen (Update)

"Kein Platz für Rassismus im Rathaus!" Es soll "eine rassismuskritische Begleitung" des weiteren Prozesses geben.

08.07.2021 UPDATE: 15.07.2021 20:28 Uhr 11 Minuten, 59 Sekunden
Ordnungs- und Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson steht in der Kritik. Foto: Rothe

Heidelberg. (RNZ) Die Situation auf der Neckarwiese und in der Altstadt sowie die Äußerung von Bürgermeister Wolfgang Erichson zu den Krawallmachern haben in den vergangenen Tagen hohe Wellen geschlagen. Auch das Antirassismus Netzwerk Heidelberg nimmt nun in einem offenen Brief Stellung dazu – und fordert: "Kein Platz für Rassismus im Heidelberger Rathaus!"

Die Stadt hatte als Reaktion auf die Krawalle Anfang letzter Woche zu einer Sitzung mit Wirten eingeladen. Bürgermeister Erichson hatte dabei gesagt, "99 Prozent" der Krawallmacher auf der Neckarwiese und in der Altstadt seien "Deutsche mit Migrationshintergrund" – am Dienstag hatte er sich dafür entschuldigt. "Als Netzwerk, das die Perspektiven von Black Indigenous People of Color (BIPoC) in Heidelberg ins Zentrum stellt, positioniert sich das Antirassismus Netzwerk entschlossen gegen diese Feindbildkonstruktionen", heißt es in dem Brief. "Besonders dann, wenn rassistische Stereotype und Stigmatisierungen von öffentlichen Stellen ausgehen, die eigentlich die gesamte Stadtbevölkerung repräsentieren sollten." Rassismus sei eine strukturelle Realität, die sich in den "stigmatisierenden Aussagen" von Erichson und im Schweigen der Anwesenden widerspiegelten.

Das Antirassismus Netzwerk fordert "eine rassismuskritische Begleitung" des weiteren Prozesses im Umgang mit den Ausschreitungen auf der Neckarwiese und der Unteren Straße. "Wir berufen uns auf den unterschriebenen ,Zehn-Punkte-Aktionsplan gegen Rassismus’, in welchem sich die Stadt unter anderem einer verstärkten Wachsamkeit gegen Rassismus, der Einrichtung eines Angebots an Konfliktmanagement und Mediationsprogrammen für Institutionen wie die Stadtverwaltung und antirassistischer Bildungsarbeit verschrieben hat." Es müsse innerhalb der kommunalen Strukturen interne Bildungsarbeit geleistet werden, die der Reproduktion von Rassismus entgegenwirke und Heidelberg als vielfältiger Stadt gerecht werde.

Darüber hinaus fordert das Netzwerk eine Untersuchung der polizeilichen Maßnahmen und Kontrollen auf der Neckarwiese und in der Unteren Straße. Und: Künftig sollen rassismuskritische Weiterbildungen für Polizei-Beamte verpflichtend sein – um auf Vorwürfe von Racial Profiling, also das polizeiliche Kontrollieren von Menschen allein aufgrund ihres physischen Erscheinungsbildes oder ethnischer Merkmale, zu reagieren.

"Wir wünschen uns eine Stadt, in der es selbstverständlich ist, auf komplexe Probleme auch komplexe Lösungsvorschläge gemeinsam mit allen beteiligten Akteurinnen und Akteuren zu erarbeiten. Eine Stadt, die auch in akuten Situationen lösungsorientiert handelt und dabei unter keinen Umständen rassistische Schuldzuweisungen reproduziert." BIPoC, so das Netzwerk, seien schon lange Teil der Stadt und gestalteten diese mit. Damit das so bleibe, müsse man "echte Konsequenzen" aus dem Vorfall rund um die Äußerung Erichsons ziehen.

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CDU steht nun doch hinter Erichson

Vor einer Woche legte die CDU-Fraktion Ordnungsbürger Wolfgang Erichson (Grüne) noch den Rücktritt nahe. Nach seinen Äußerungen, dass die Krawalle auf der Neckarwiese "zu 99 Prozent" von Deutschen mit Migrationshintergrund ausgegangen seien, schrieben sie bei Facebook, er solle sich dringend überlegen, ob er "noch der Richtige für die Aufgabe ist" – zumal er seit Jahren "nicht wirklich an Lösungen, sondern an Eskalation interessiert" sei.

Sieben Tage später klingt das in einer Pressemitteilung ganz anders: "Im Rahmen eines persönlichen Austauschs hat Bürgermeister Erichson erläutert, dass seine Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen wurden." Für die CDU-Fraktion seien die Ausführungen glaubhaft und überzeugend. Die Stadträte sehen es als eine der zentralen Herausforderungen der Stadtgesellschaft an, die gewalttätigen Ausschreitungen auf der Neckarwiese und in der Altstadt zu unterbinden. Dafür werde die Fraktion eng mit Polizei und Verwaltung zusammenarbeiten.

Update: Donnerstag, 15. Juli 2021, 20.27 Uhr


Erichson entschuldigt sich für Aussagen über Krawallmacher

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Eine Woche nach seiner viel kritisierten Aussage zur Herkunft der Krawallmacher auf der Neckarwiese und in der Altstadt hat sich Bürgermeister Wolfgang Erichson offiziell dafür entschuldigt. Zum Auftakt der Jahreshauptversammlung des Kreisverbandes seiner Partei, der Grünen, trat Erichson ans Mikrofon, um, wie er sagte, "Dinge wieder zurechtzurücken".

Die Stadt hatte als Reaktion auf die Krawalle Anfang letzter Woche zu einer gemeinsamen Sitzung mit Wirten eingeladen. Bürgermeister Erichson hatte dabei gesagt, "99 Prozent" der Krawallmacher auf der Neckarwiese und in der Altstadt seien "Deutsche mit Migrationshintergrund". Diese Äußerung hatte ihm heftige Kritik von Gastronomen, von Nachtbürgermeister Jimmy Kneipp, den Fraktionen CDU und "Die Linke", grünen Jugendgruppen, dem Studierendenrat, dem Migrationsbeirat und anderen eingebracht. Zuletzt kritisierte das Antirassismus Netzwerk Heidelberg Erichsons Aussage als "stigmatisierend" und als Ausdruck eines strukturellen Rassismus.

Erichson hatte auf mehrfache RNZ-Nachfrage zu den Vorwürfen Stellung genommen und sich verteidigt. Nun sprach er bei der Grünen-Versammlung auch erstmals eine Entschuldigung aus. Es sei bei dem Treffen mit den Wirten darum gegangen, dass Gruppen junger Menschen durch die Altstadt ziehen, erklärte er. In diesem Zusammenhang habe ein Teilnehmer gesagt, dass dies alles Ausländer seien. "Ich habe auf diese Bemerkung mit meiner Bemerkung reagiert und habe gesagt: Nein, das sind alles Deutsche. Das sind zu 99 Prozent Deutsche, aber überwiegend mit Migrationshintergrund."

Aus seiner langjährigen Erfahrung als Integrationsbürgermeister wisse er, dass es "stets schädlich" sei, pauschal ein Problem mit Migrationshintergrund in Verbindung zu bringen – egal, wie es gemeint sei. "Ich möchte mich bei all jenen, die sich durch diese Bemerkung verletzt oder angegriffen gefühlt haben, heute entschuldigen", sagte Erichson. Es sei nicht seine Absicht gewesen, Menschen mit Migrationsgeschichte anzuklagen oder gar zu verurteilen. Er bezeichnete seine Äußerung als "unpassende Verkürzung" und als "Fehler" – und entschuldigte sich auch dafür, dass die Worte dafür geeignet seien, rassistische Vorurteile und Verallgemeinerungen zu verstärken.

Gleichzeitig verwies Erichson auf seine lange Tätigkeit als Integrationsbürgermeister, aus der etwa die Gründung des Interkulturellen Zentrums oder der "Interreligiöse Dialog" hervorgegangen seien. Zudem betonte er, dass er als Sohn eines Italieners selbst eine Migrationsgeschichte habe.

Wer ihn kenne, der wisse, dass seine "Berliner Schnauze" manchmal schneller als sein Verstand sei und dass er seinen Emotionen manchmal freien Lauf lasse, sagte Erichson. "Das ist Teil meiner Persönlichkeit, die mich ausmacht, die ich auch nicht mehr ändern werde, und dir mir manchmal natürlich auch im Weg steht." Er gelobte Besserung und versprach, künftig mehr auf seine Äußerungen zu achten.

Fraktionsvorsitzender Derek Cofie-Nunoo war "froh", dass Erichson den "richtigen Schritt" gegangen sei, sich zu entschuldigen. Er betonte, dass die Fraktion Aussagen wie die von Erichson getätigte "aufs Schärfste" ablehne – und dass es "inakzeptabel" sei, die Gründe für die Krawalle am Migrationshintergrund oder Ähnlichem festzumachen. Cofie-Nunoo richtete den Blick nach vorne: Es gehe nun darum, konkrete Angebote für junge Menschen zu schaffen und deren strukturelle Benachteiligung zu beseitigen. Dafür habe man bereits konkrete Vorschläge. 

 

Update: Mittwoch, 14. Juli 2021, 15.16 Uhr


Weiterhin viel Kritik an Erichsons Aussage zu Krawallmachern scharf 

Heidelberg. (RNZ) Zum Aufenthaltsverbot auf der Neckarwiese ab 21 Uhr und zu der Aussage von Bürgermeister Wolfgang Erichson, 99 Prozent der Krawallmacher seien "Deutsche mit Migrationshintergrund", erreichten die RNZ diese Stellungnahmen.

> Grüne Jugendgruppen: Die Grüne Hochschulgruppe und die Grüne Jugend schreiben: "Stigmatisierende Schuldzuweisungen anstatt eines Dialogs auf Augenhöhe sind nicht zu dulden." Das Aufenthaltsverbot auf der Neckarwiese sei "unsolidarisch gegenüber jungen Menschen, die in der Pandemie Rücksicht auf Ältere genommen haben, und unfair gegenüber jenen, die sich Kneipen in Heidelberg nicht leisten können." Damit nicht die ganze Jugend unter einer Kollektivstrafe leiden müsse, brauche es statt Konfrontation die gezielte Arbeit von Konfliktteams, kulturelle Angebote und nicht-kommerzielle Freiräume, etwa auf dem Airfield.

> Junge Union: Die Jugendorganisation der CDU unterstützt das Aufenthaltsverbot, es dürfe aber keinesfalls Normalzustand werden. Viele Menschen nutzten Heidelberg nicht zum friedlichen Feiern, sondern zum Randalieren. "Das dulden wir in unserer Stadt nicht. Diese Leute müssen vermittelt bekommen, dass sie höchst unerwünscht sind." Doch sei das Aufenthaltsverbot ein kurzfristiger Ansatz, der den Kern des Problems nicht löse. Die Junge Union fordert ein Konzept für die Neckarwiese ohne Verbote sowie ein Gesamtkonzept für die Heidelberger Feierkultur. Dabei müssten Wirte, Clubbetreiber und Jugendvertreter "von Beginn an involviert und endlich auf ihre Vorschläge eingegangen werden". Es brauche neue Angebote für junge Leute. Eine Chance dazu habe man mit dem "Lust4Live"-Festival weitestgehend versäumt.

> Die Linke: "Wir stellen uns vehement gegen die Aussagen von Bürgermeister Erichson", schreibt die Fraktion Die Linke. Die Stadt könne nicht ständig betonen, wie vielfältig sie sei, aber erlauben, dass ihre Vertreter "den Nährboden für Hetze legen". Wenn Erichson sage, 99 Prozent der Randalierer hätten Migrationsgeschichte, wolle man die Zahlen sehen und die Definition hören: "Müssen wir etwa wieder über Stammbaumforschung wie zu Zeiten der Randale in Stuttgart diskutieren?" Stadträtin Zara Kiziltas sagt: "Die Verwaltung weigert sich, das Gewicht dieser Aussage anzuerkennen. Doch wir, die Rassismus erfahren, wissen, was solche Aussagen bewirken. Sie bestärken den strukturellen Rassismus, den Black and People of Color jeden Tag erleben müssen." Die Fraktion fordert "eine angemessene Reaktion, die Verantwortung übernimmt, eigenes falsches Handeln reflektiert und dieses aufarbeitet".

> Studierendenrat: "Offen rassistische Ausfälle des Ordnungsbürgermeisters, eine Flut an immer weiteren Einschränkungen, das Auftreten der Polizei – all das wird die Lage nur verschärfen und wirft die Frage auf, ob die Stadt andere Lösungen kennt als Repression, rassistische Zuschreibungen und Schuldzuweisungen an Auswärtige", schreibt Michèle Pfister vom Stura. Die Erichson-Aussage zeige überdeutlich, wie das Problem des strukturellen Rassismus auch in Heidelberg präsent und ungelöst sei. Man fordere die Stadt auf, die Belange junger Menschen endlich ernst zu nehmen und das Aufenthaltsverbot aufzuheben.

> Verein Alt-Heidelberg: Der Stadtteilverein Altstadt begrüßt die befristeten Maßnahmen. Die Ausschreitungen seien keineswegs neu, es habe viele Runde Tische zum Thema gegeben. "Wenn Wolfgang Erichson nach mittlerweile unzähligen jahrelangen wenig wirksamen Gesprächen Unbedachtes über die Lippen kommt, weiß dennoch jeder, der ihn kennt, dass er sich in seiner gesamten Zeit als Bürgermeister in Heidelberg lautstark gegen Diskriminierung jeglicher Art einsetzt." Dass irgendwann die Geduld ausgehe, sei verständlich. Die Kritik von Nachtbürgermeister Jimmy Kneipp an Erichson sei "ausgesprochen unpassend".

Die Neckarwiese sei nicht groß genug, um alle jungen Menschen aus dem Umland jedes Wochenende bis in die Nacht aufzunehmen. Die Heidelberger zahlten bereits für die Hinterlassenschaften und Probleme dieser Gäste mit ihrem Steuergeld. "Wir sind eine Studenten- und Kulturstadt, zu der Feiern dazugehört. Aber feiern kann man auch mit wenig oder ohne Alkohol und auch nicht nur ab 23 Uhr." Wenn viele Menschen die Neckarwiese und die Altstadt uneingeschränkt besuchen wollen, müssten alle rücksichtsvoll handeln, sich an vernünftige Regeln halten und bedenken, dass hier auch Menschen wohnen, leben, arbeiten, Steuern zahlen und nachts schlafen wollen. "Anders funktioniert eine Gemeinschaft nicht."

Update: Montag, 12. Juli 2021, 20.15 Uhr


Bürgermeister Erichson verteidigt sich

Von Anica Edinger

Heidelberg. Eine Aussage von Ordnungs- und Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson bei einem Treffen mit Altstadt-Wirten am Mittwoch (siehe unten) schlägt weiter hohe Wellen. "99 Prozent" der Krawallmacher auf der Neckarwiese und in der Altstadt seien "Deutsche mit Migrationshintergrund", hatte er nach übereinstimmenden Berichten von mehreren Gastronomen und Nachtbürgermeister Jimmy Kneipp gesagt. Zudem wurde ihm vorgeworfen, in dem Gespräch nicht an konstruktiven Lösungen für das Problem der gewaltbereiten Jugendlichen interessiert gewesen zu sein.

Die CDU-Fraktion im Gemeinderat schrieb am Freitag auf Facebook: "Wir haben schon seit Jahren den Eindruck, dass Bürgermeister Erichson nicht wirklich an Lösungen, sondern an Eskalation interessiert ist." Das habe sich bereits beim Thema "Untere Straße/Altstadt" gezeigt. "Leider halten die Grünen in Heidelberg immer ihre schützende Hand über ihn, egal, welche Ausfälle er wieder von sich gibt." Zudem findet die CDU: "Was aber gar nicht geht, sind Pauschalverurteilungen einzelner Gruppen ohne konkrete Belege. Bürgermeister Erichson sollte sich dringend überlegen, ob er unter solchen Vorzeichen noch der Richtige für die Aufgabe ist."

Auch der Migrationsbeirat der Stadt meldete sich mit einer Stellungnahme zu Wort und forderte, dass "die Krawalle in ihrer Komplexität wahrgenommen werden, anstelle von Pauschalisierungen und Vereinfachungen, die Menschen mit Migrationsgeschichte stigmatisieren". Man wünsche sich, dass die Stadt Heidelberg auch in dieser schwierigen Situation zu ihrer kulturellen Vielfalt stehe und verurteile deshalb jegliche Form von Stigmatisierung, die sich in Diskussionen rund um die Ethnien und Herkünfte der jungen Menschen auf der Neckarwiese zeige.

Erichson selbst äußerte sich indes auf neuerliche RNZ-Nachfrage am Freitag erstmals persönlich zu den Vorwürfen: Mit seiner Anmerkung habe er verdeutlichen wollen, "dass es sich eben gerade nicht um ein Problem durch Ausländer handelt". Dies habe zuvor ein anderer Gesprächsteilnehmer ins Spiel gebracht. Erichson erklärt weiter: "Die Herkunft einer Person spielt für mich keine Rolle. Gemeint war: Die Erklärung, Ausländer sind schuld, ist Quatsch." Die "99 Prozent" seien "natürlich nicht wörtlich zu nehmen". Es sei schade, "dass aus einem langen und konstruktiven Treffen mit rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine sehr selektive Ansicht in den Mittelpunkt gerückt wird".

Die Fraktion der Grünen stellte sich am Freitag hinter ihren Bürgermeister. Es sei schwierig, nachzuvollziehen, was genau bei dem Treffen gesagt worden sei, erklärten Fraktionschef Derek Cofie-Nunoo und Stadträtin Marilena Geugjes gegenüber der RNZ. Schließlich sei niemand aus der Fraktion dabei gewesen. "Was wir wissen, wissen wir nur aus zweiter Hand", so Geugjes. Cofie-Nunoo erklärte: "Wir Grünen lehnen es total ab, die Gründe für die Krawalle am Migrationshintergrund festzumachen." Und Geugjes verdeutlicht: "Das löst unser Problem nicht."

Zu den Vorwürfen einiger Wirte, Erichson habe bei dem Treffen kein Interesse an Lösungen abseits von Verboten gezeigt, betonten Geugjes und Cofie-Nunoo, es sei wichtig, die verschiedenen Ebenen der Diskussion zu unterscheiden. Erichson habe als Ordnungsbürgermeister eine andere Perspektive auf die aktuelle Situation als die Fraktion – "es ist seine Aufgabe, in der Akut-Situation für Sicherheit und Ordnung zu sorgen", so Geugjes. Die Fraktion stehe nicht hinter dem Aufenthaltsverbot ab 21 Uhr auf der Neckarwiese, das für vier Wochenenden gilt. Man benötige kreativere Lösungen und Ideen. Als Fraktion setze man sich dafür ein, jungen Menschen mehr Angebote zu machen – "etwa ein Elektrokonzert auf der Neckarwiese", so Geugjes.

Zudem müsste jungen Menschen mehr Räume und Freiflächen nicht-kommerzieller Art gegeben werden. Mit Erichson sei man zu diesen Themen im ständigen Austausch – "wir sind da auf einer Linie", so Cofie-Nunoo. Erichson erklärte am Freitag, er setze sich dafür ein, dass die Bühne des Gratis-Festivals "Lust4Live" im Tiergartenbad länger als die geplanten zehn Tage bespielt werden kann.

Auch Oberbürgermeister Eckart Würzner sprang Erichson am Freitag bei: "Die Herkunft einer Person spielt keine Rolle. Maßgeblich ist alleine das Verhalten. Darin bin ich mir mit Bürgermeister Wolfgang Erichson vollkommen einig. Hierzu bestand auch klarer Konsens in dem Gespräch mit Wirten und Polizei. Jeder, der Wolfgang Erichson und seine Arbeit kennt, weiß, wie konstruiert Vorwürfe einer Ausgrenzung gegen ihn sind. Mit seiner Politik engagiert er sich seit Jahren höchst erfolgreich für Toleranz und Integration."

Update: Freitag, 9. Juli 2021, 19.37 Uhr


Schwere Vorwürfe gegen Bürgermeister Erichson

Von Anica Edinger

Wolfgang Erichson. Foto: Alex

Heidelberg. Einen Tag nach einem Treffen der Stadt mit Gastronomen und Wirten aus der Altstadt, sieht sich Ordnungs- und Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson (Grüne) mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Das Treffen hatte die Stadt initiiert, um gemeinsam Maßnahmen für ein friedliches Miteinander in der Altstadt auf den Weg zu bringen. In den letzten Wochen gab es immer wieder Straftaten durch Gruppen aggressiver junger Erwachsener.

Doch nach übereinstimmenden Berichten aus der Runde zeigte Bürgermeister Erichson kaum Interesse an Lösungen. Als die Gastronomen etwa vorschlugen, mit einer "Awareness-Kampagne" das Bewusstsein für die unterschiedlichen Interessen aller in der Altstadt zu schärfen, soll er gesagt haben: "Awareness, awareness: Ich kann es nicht mehr hören." Dem Krawall-Klientel sei damit nicht beizukommen. Wer diese Klientel ist, darüber äußerte Erichson in der Runde laut mehrerer Teilnehmer eine eindeutige Vorstellung: "Machen wir uns nichts vor: Das sind zu 99 Prozent Deutsche mit Migrationshintergrund."

Marco Panzini, Inhaber des "Joe Molese", machte bereits am Mittwoch im Internet auf diese Aussagen Erichsons aufmerksam. Am Donnerstag sagte er der RNZ: "Diese Aussage war völlig deplatziert und inakzeptabel." Auch Kerem Kilic vom "Papi" am Marktplatz in der Altstadt bestätigte, dass diese Worte so gefallen seien. Ebenso Rico Riedmüller, einer der Betreiber des Cave.

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Nachtbürgermeister Jimmy Kneipp fragte demnach schockiert in die Runde, was denn Ethnien und Nationalitäten mit dem Thema zu tun hätten. Erichson sowie Oberbürgermeister Eckart Würzner schwiegen offenbar dazu. Auf die Frage der RNZ, weshalb Würzner nach dieser Aussage seines Bürgermeisters nicht einschritt, gab es am Donnerstag keine Antwort von der Stadt. Unbeantwortet blieb auch die Frage, welche Rolle Ethnien, Nationalitäten oder Migrationshintergrund aus Sicht von Stadt und Erichson bei den Krawallen spielen.

Erichson selbst äußerte sich gegenüber der RNZ nicht und verwies auf Stadtsprecher Achim Fischer. Dieser erklärte: "Alleine schon aufgrund seiner eigenen Vita und Lebenserfahrung, unter anderem als deutscher Staatsbürger zweier nicht-deutscher Eltern, steht Bürgermeister Erichson über jeglichem Verdacht von Ausgrenzung. Die Stadt Heidelberg misst Menschen nicht an ihrer Herkunft, sondern an ihrem Verhalten." Es habe laut Fischer Konsens in der Runde geherrscht, dass die Krawall-Touristen mit einer Awareness-Kampagne nicht erreicht werden könnten. Denn sie unterschieden sich grundlegend von konstanten Gruppen, in denen Sozialarbeiter Einfluss nehmen können. "Hierauf bezog sich die Aussage von Erichson", so Fischer. "Das schmälert in keiner Weise die Sinnhaftigkeit einer Awareness-Kampagne für die bisherigen Besucher."

Unter den friedlich Feiernden in der Unteren Straße sind vermehrt aggressive Gruppen. Einige Wirte werfen Bürgermeister Erichson deplatzierte Aussagen über einen Migrationshintergrund der Krawallmacher vor. Foto: Rothe

Nachtbürgermeister Kneipp sagt dagegen auf RNZ-Anfrage: "Diese Aussage und Haltung ist reaktionär." Menschen mit Migrationshintergrund die alleinige Schuld an den Krawallen in die Schuhe zu schieben, sei nicht zielführend – "davon möchte ich mich deutlich distanzieren", so Kneipp. Er habe bei dem Gespräch nicht den Eindruck gehabt, dass Erichson an kreativeren Lösungen für die Krawall-Problematik interessiert sei. So sei der Vorschlag, weitere Freiflächen für junge Menschen freizugeben – mit der Neckarwiese ist die größte nicht-kommerzielle Freifläche die nächsten vier Wochenenden ab 21 Uhr gesperrt – nicht aufgenommen worden. "Ich bin sicher, dass sich die Massen besser entzerren, gäbe es mehr Angebote für junge Menschen." Es nütze nichts, sich für Maßnahmen abseits von Verboten zu verschließen. "Was ist nach dem 2. August, wenn die Wiese wieder frei ist? Dann geht alles von vorne los." Kneipp fordert einen anderen Ansatz, um die Störenfriede aus dem Weg zu ziehen – und die Runde am Mittwoch habe dafür keine langfristigen Lösungen hervorgebracht.

So sieht es auch Papi-Wirt Kerem Kilic: "Erichson hat alles abgewunken." Er sei nicht bereit gewesen, zuzuhören. "Er nimmt uns nicht ernst und wirkt so, als könne er uns Gastronomen gar nicht mehr sehen." Am Ende hätten die städtischen Vertreter nur noch mitgeteilt, "sie werden viel aggressiver an die Sache rangehen".

Aus Sicht der Stadt jedoch lief das Gespräch gut. So ist in einer Pressemitteilung vom Donnerstag von einem "Maßnahmen-Paket" die Rede, mit dem Stadt, Wirte und Polizei "ein gemeinsames Zeichen gegen Krawall-Tourismus" setzen wollen. Dazu gehöre, dass sich die Gastronomen verstärkt in der Kontrolle ihres direkten Umfeldes engagieren, was die Stadt mit dem kurzfristigen Einsatz von Ordnungskräften unterstütze. Zudem soll es Verkehrs- und Personenkontrollen geben, um Krawalltouristen schon vor der Altstadt abzufangen. Darüber hinaus will die Stadt das nächtliche Alkoholverbot stärker kommunizieren und durchsetzen. Und: Eine Notfallnummer wird eingerichtet, damit Wirte bei Bedarf sehr schnell Polizeikräfte zur Hilfe rufen können. Das hatten sich einige Gastronomen explizit gewünscht.

Stadtsprecher Fischer erklärte zudem, die Stadt unterstütze wo immer möglich Angebote für junge Menschen. In der Runde am Mittwoch sei man aber übereinstimmend der Meinung gewesen, "dass mit diesen Angeboten die aggressive Klientel nicht zu befrieden ist".

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