Alpakas helfen gegen Wildschweine - aber nicht immer
Seit letztem Sommer kommen am Pferchelhang die Schwarzkittel seltener aus dem Wald - Im Dezember wüteten sie dafür umso schlimmer - Frischling lag tot im Schwimmbecken

Von Micha Hörnle
Heidelberg-Ziegelhausen. So süß und kuschelig sie auch aussehen: Die Alpakas am Pferchelhang sind keine Schmusetiere. Gargamel, das Leittier, Sam, Black Diamond und Peppino sind seit letztem Sommer auf der Weide am Waldrand, um die Wildschweine fernzuhalten. Normalerweise gelingt ihnen das auch ganz gut – bis auf einen Zwischenfall im letzten Dezember. Da schoss eine Wildschweinrotte auf die Wiese, pflügte sie um – und offenbar drangen sie dabei auch in den nahen Schleifengrundweg vor, wo sie einen Zeitungszusteller derart in Angst versetzten, dass tagelang keine RNZ in den Briefkasten geworfen werden konnte (RNZ vom 10. Januar). Anwohner deuteten damals an, dass die Alpakas doch nichts geholfen hätten – ein Vorwurf, der Tierbesitzerin Melanie Weigl empört: "Meine Alpakas haben sich bewährt. Denn seitdem sie hier sind, kommen fast keine Wildschweine mehr." Tatsächlich befanden sich die vier Alpakas im Stall, als die Sauen kamen – wären sie auf der Wiese gewesen, hätten sich die Schwarzkittel wohl nicht aus dem Wald getraut. "Ich habe bisher noch kein Alpaka mit einem Wildschwein kämpfen sehen, aber in der Regel reicht ihre Präsenz, damit sie sich hier nicht blicken lassen", berichtet Weigl. Von der Stadt wird der Einsatz der Tiere nicht vergütet: Sie verdient ihr Geld mit Alpaka-Wanderungen und -Therapien: "Die Tiere wirken auf viele Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten sehr beruhigend."

Auch Gebhard Krebs und Hannes Hormuth sind große Freunde der Andenkamele, die sogar auch auf Krebs’ eigenem Grundstück weiden: "Wir sind äußerst zufrieden. Und die Tiere stören die Anwohner überhaupt nicht – im Gegensatz zu einem Weidebetrieb mit Schafen. Von Mai bis Dezember war kein einziges Wildschwein auf dem Grundstück", berichtet Krebs. Doch dann kamen sie zwar nur ein einziges Mal – dafür aber mit Macht. "Bei mir waren sie nachts im Garten, den sie komplett umgegraben haben. Und morgens lag dann ein Frischling tot in meinem Schwimmbecken", berichtet Hormuth. Weigl, Krebs und Hormuth vermuten, dass es der große Bevölkerungsdruck ist, der die Wildschweine aus dem Wald treibt. "Die Bevölkerung ist explodiert", konstatiert Krebs. Oder vielleicht hat sich bei den schlauen Tieren die Erinnerung erhalten, dass sie auf dieser Weide mit ihren Obstbäumen viel Futter finden und sicher sind.
Tatsächlich sind die Streuobstwiesen, wie sie für den Odenwald typisch sind, ein Problem: Sie locken das Schwarzwild an – während die Alpakas kein Obst essen dürfen, weil sonst ihr Magen übersäuern würde. Sie essen nur Gras und Heu, und dabei gehen sie mit der Wiese schonend um: Durch ihre geteilte Oberlippe beißen sie die Halme sehr vorsichtig ab, sie reißen also nicht die Wurzel heraus. Außerdem haben sie keine Hufe, und so richten sie auch keine Trittschäden an. Allerdings, so Weigl, muss sie die Weide auch gezielt von Büschen freihalten, denn Brombeeren rühren die Alpakas nicht an. Eine Allzweckwaffe, um verwilderte Grundstücke wieder in Form zu bringen, sind die Tiere also nicht.

Insofern sehen Weigl und Krebs die anderen Grundstückbesitzer in der Pflicht, aber vielen scheint das egal zu sein, denn gerade in den schwierigen Hanglagen scheuen viele die Mühe, sich der wuchernden Büsche anzunehmen, die oft genug den Wildschweinen als Unterschlupf dienen. "Da wurden die Eigentümer angeschrieben, aber sie reagieren nicht", so Krebs.
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Das treibt auch den Leiter des Landschafts- und Forstamts, Ernst Baader, um: "Wir tun ja, was wir können. Wir bieten den Grundstückseigentümern sogar die Pflege der Grundstücke an, aber das Interesse ist nicht so wahnsinnig groß." Oft sind es Erbengemeinschaften, denen das Areal egal ist. Dabei wäre alles so einfach, wie Baader sagt: "Das Einzige, was die Besitzer tun müssen: Uns das Grundstück für fünf Jahre zur Verfügung stellen." Dann wird es durch die Mitarbeiter des Amtes gerodet, durchgemulcht, und schließlich wird Gras gesät, später folgen dann Tiere zur Beweidung. Aber auch dann, so sagt Baader, "kann man es nicht verhindern, dass die Wildschweine auf Futtertouren gehen". Und doch ist es für ihn der einzige Weg, um es den Wildschweinen außerhalb des Waldes so unbequem wie möglich zu machen. Erste Erfolge gebe es schon, wie beispielsweise in Handschuhsheim: Da taten sich Grundstücksbesitzer zusammen – und die Wildschweinbesuche wurden weniger. Am Pferchelhang beispielsweise wurde die Stadt tätig: Ein Nachbargrundstück wurde gerodet, im Frühjahr wird es eingesät, dann haben die Alpakas einen ganzen Hektar Weide für sich – doppelt so viel wie bisher.
Von einem groß angelegten Wildzaun-Förderprogramm, wie es Weigl und Krebs fordern, hält Baader wenig: "Wir dürfen gar keine Zuschüsse dafür geben." Denn auch rein rechtlich sei "die Stadt Heidelberg nicht für die Wildtiere verantwortlich". Außerdem sehen die Naturschutzbehörden es nicht gern, wenn in Landschaftsschutzgebieten auf einmal stabile Stahlgitter aufgestellt werden. Und sie haben auch etwas dagegen, sollte man die Obstbäume fällen, die den Wildschweinen so viel Nahrung bieten. Im Grunde, so meint Baader, seien die Pflege verwilderter Grundstücke und eine regelmäßige Bejagung momentan die einzigen Möglichkeiten, etwas gegen die Wildschweinplage zu tun.
Hintergrund
Hat jemals ein Wildschwein einen Heidelberger verletzt?
Der Stadtverwaltung ist kein Fall bekannt, bei dem ein Wildtier jemals eine Person verletzt hat – so hieß es in der RNZ vom 10. Januar. Tatsächlich, und darauf wies Hans Kratzert die RNZ
Hat jemals ein Wildschwein einen Heidelberger verletzt?
Der Stadtverwaltung ist kein Fall bekannt, bei dem ein Wildtier jemals eine Person verletzt hat – so hieß es in der RNZ vom 10. Januar. Tatsächlich, und darauf wies Hans Kratzert die RNZ in einem Leserbrief hin, attackierte Ende August 2013 in der Weststadt eine Wildsau einen damals 81-Jährigen und gefährdete sogar Kindergartenkinder.
In der RNZ vom 3. September 2013 hieß es: "Das Tier war gegen 11 Uhr in dem Gartengrundstück des Mannes in der Gaisbergstraße aufgetaucht, hatte den Mann umgerannt und ihn anschließend nochmals attackiert. Danach flüchtete das Tier durch ein Gebüsch. Aber bereits wenige Minuten später tauchte die Sau wieder in der Straße auf. Diesmal im Garten eines Kindergartens. Die Kinder waren allerdings nicht gefährdet, da die Erzieher sehr schnell reagierten und ihre Schützlinge ins Haus holten. Bis zum Eintreffen der alarmierten Polizei und eines Jägers hatte sich das Wildschwein aber wieder in seinen natürlichen Lebensraum zurückgezogen. Eine Fahndung blieb erfolglos."
Kratzert, ein Nachbar des Attackierten, schreibt der RNZ: "Nach der Attacke wurden dort auch von Seiten der Stadt Maßnahmen zur Verstärkung des Zauns ergriffen. Der Lokaltermin bei uns mit den Vertretern des Forstamts, des Jagdpächters, unseres attackierten Nachbarn und mir war wohl etwa drei bis vier Wochen später, nachdem durch eine Wildkamera, die in meinem Garten durch den Jagdpächter angebracht worden war, der ,tägliche/nächtliche Besuch’ des Keilers jeweils etwa um 5 Uhr morgens festgestellt worden war. Trotz außerordentlicher Abschussgenehmigung geschah nichts." (hö)
Den Vorwurf, die Stadt erledige nicht genügend Schwarzwild, lässt Baader nicht gelten: "Es wird geschossen auf Teufel komm raus. Im Jagdrecht sind mittlerweile fast alle Restriktionen gefallen – bis auf Bachen mit Frischlingen." Allerdings sei es, wie Baader zugibt, gerade bei solchen Grundstücken wie am Pferchelhang schwer, die Tiere zu treffen – ohne die Bewohner der nahen Häuser zu gefährden. Groß angelegte Drückjagden im Wald brächten da wenig, ist sich der Experte sicher: zu viel Aufwand und zu wenig Nutzen. "Eine Bejagung vor Ort ist da schon deutlich sinnvoller."
Und doch meint Baader: "Gegen die dramatisch wachsende Wildschweinpopulation ist kein Kraut gewachsen. Wir als Stadt können da nur an kleinen Schräubchen drehen." Denn im Grunde hatten es die Tiere noch nie so gut: Die Winter sind milde, im Heidelberger Wald mit seinen reichen Eichen- und Buchenbeständen gibt es immer viel zu essen, und gerade in den Hanglagen sind viele Grundstücke verwildert – kurz: "Die Rahmenbedingungen für das Schwarzwild waren noch nie besser." Denn natürliche Feinde kennt diese Tierart nicht, "nur der Wolf würde es den Wildschweinen ungemütlich machen". Das Einzige, was den Wildschweinen gefährlich werden könnte, ist eine Epidemie. Und die kündigt sich bereits mit der Schweinepest an, die jetzt schon in Polen wütet: "Sie wird wohl kommen", meint Baader, "und sie wird auch die Schwarzwildbestände dezimieren – aber mit dramatischen Folgen für die Schweinezuchtbetriebe."