Von Holger Buchwald
Heidelberg. Michael Pfeiffer ist ein Mensch, der gerne lacht und von sich sagt, dass er 43 Jahre gerne zur Arbeit gegangen ist – jeden Tag. Kein Wunder, die letzten 27 Jahre hat er seinen Traumjob ausgeübt – bei der Verkehrserziehung der Polizei. Viele Generationen von Schülern und Kindergartenkindern haben ihn kennengelernt, sei es beim Schulwegtraining oder der Radfahrausbildung. Oder bei einem der vielen anderen Programme, die er zum Teil mit ins Leben gerufen hat. Nun ging der 61-Jährige zum Jahresende in den Ruhestand. Als Stadtrat der Grün-Alternativen Liste (GAL) macht er aber weiter. Wie er zum Verkehrserzieher wurde und warum ihn Jugendliche mit "Alaska" grüßen, erzählt Pfeiffer im Interview.
Seit einem Monat sind Sie im Ruhestand, wobei störe ich Sie gerade?
(lacht) Beim Mittagsschlaf. Ich nehme mir jetzt immer eine halbe Stunde.
Mitten im Corona-Lockdown sind Sie in den Ruhestand gegangen. Das haben Sie sich sicherlich anders vorgestellt.
Es ist schade, dass ich meine Kolleginnen und Kollegen noch nicht einladen konnte, um schön essen zu gehen. Trotzdem hatte ich mit dem Zeitpunkt meines Ruhestands noch Glück. Mein letzter Arbeitstag war der 14. Dezember, danach hatte ich Urlaub. Es war also noch vor den Schulschließungen. In der letzten Woche durfte ich noch einmal 20 zehnte Klassen von fünf Gymnasien besuchen. Beim Projekt "junge Fahrer" geht es ums Autofahren und Alkohol. Meine Kollegen hingegen fahren derzeit nur Corona-Streife.
1977 sind Sie in die Polizei eingetreten. Es ist die Hochzeit der RAF. Was bewegt einen jungen Mann dazu, der politisch heute dem grün-alternativen Lager zugerechnet wird?
(lacht) Das glauben Sie mir nie: Meine Mutter hat die Bewerbung geschrieben. Ich war damals ziemlich lernfaul, habe in den Tag rein gelebt. Trotzdem bin ich zum Einstellungstest gegangen, denn ich wollte ihr nicht auf der Tasche liegen. Mein Vater, der auch Polizist war, war damals schon tot. Heute muss ich sagen: Zur Polizei zur gehen, war die Entscheidung meines Lebens. Ich bin jeden Tag gerne zur Arbeit gegangen. Das ist ein Gottesgeschenk.
Im Oktober 1977 hatten Sie Ihren ersten Einsatz in Uniform. Direkt nach der Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer.
Das war während der Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei, ein Tag, nachdem wir unsere Uniform bekommen hatten. Man schickte uns ins deutsch-französische Grenzgebiet nach Kehl. Dort mussten wir Handzettel mit Fahndungsfotos von den RAF-Terroristen verteilen. Dabei war jeder einzeln unterwegs. Wir hatten zwar eine Dienstwaffe, aber ohne Munition. Denn wir waren noch nicht an der Waffe ausgebildet. Wir fühlten uns wie Kanonenfutter.
Haben Sie sich da nicht gedacht, da läuft doch was falsch?
Natürlich hatten wir ein ungutes Gefühl. Auf der anderen Seite funktionierten wir wie eine Schulklasse. Ich war in einem Zug mit 29 anderen. Wir haben das als aufregendes Erlebnis abgehakt. Erst später haben wir die polizeilichen Grundprinzipien beigebracht bekommen. Dass wir zum Beispiel aus Gründen der Eigensicherung immer zu zweit unterwegs sein sollen.
Wie sind Sie in der Verkehrserziehung gelandet?
Ich war im Streifendienst in Heilbronn, als wir einen gemeinsamen Einsatz mit Verkehrserziehern hatten. Und ein Kollege hat mich direkt angesprochen: "Du würdest gut zu uns passen, du kannst gut mit den Leuten reden." Für mich war das damals eine gute Möglichkeit, in den Tagdienst zu wechseln. Vier Wochen lang durfte ich die Kollegen probeweise begleiten. Und ich gebe zu: Als ich anfangs auf den kleinen Stühlchen saß, der Kollege vor der Klasse herumalberte und die Mütze falsch rum trug, dachte ich zunächst, dass das nichts für mich ist. Ich sagte mir: Du bist doch Polizist. Dann habe ich aber schnell gemerkt, dass gerade diese lockere Art wichtig ist, damit die Kinder sich öffnen und die Angst verlieren. Und ich habe erfahren, wie wunderschön es ist, ihnen auf diese Art etwas beizubringen.
Hatten Sie Probleme mit den Kindern?
Nein. Nie. Kinder hatten schon immer schnell Vertrauen zu mir, das war schon als Jugendlicher so. Beim Unterricht im Kindergarten spiele ich zum Beispiel mit meiner Stimme, erhebe sie mal und werde dann wieder leiser. Und dann brülle ich die Kinder an, dass sie beinahe vom Stuhl fallen. Und sie krümmen sich vor Lachen.
Sie brüllen die Kinder an?
Ja, ich verbinde die Verkehrserziehung mit der Kriminalprävention. Ich erkläre den Kindern, was sie machen sollen, wenn sie ein Fremder anfasst. Sie sollen dann ganz laut schreien, so laut sie können: "Lassen Sie mich los!" Und es macht ihnen unglaublich viel Spaß, wenn sie – mit polizeilicher Erlaubnis – versuchen dürfen, genauso laut zu brüllen wie ich.
Wird man als Polizist in der Verkehrserziehung von Kollegen belächelt?
Tatsächlich hat die Verkehrserziehung polizeiintern nie die Wertschätzung erfahren, die ich mir gewünscht hätte. Früher wurden wir immer Sunshine-Police genannt. Weil wir in jedem Jahr die ersten waren, die so richtig braun gebrannt waren. Dabei ist Verkehrsprävention so vieles in einem: soziale Erziehung, Mobilitäts-, Bewegungs- und Umwelterziehung.
Dafür bekommen Sie Anerkennung von den Eltern.
Das stimmt. Und von den Kindern, den Erzieherinnen, den Medien und der Stadtverwaltung. Wir bekommen viele positive Rückmeldungen. Und was uns die Kinder alles schenken – an selbstgemalten Bildern und Gebasteltem – ist so herzlich.
Werden Sie von manchen Erwachsenen oder Jugendlichen aus früheren Schülergenerationen noch erkannt, wenn Sie heute durch die Stadt laufen?
Ja, das passiert immer wieder. Gerade letzte Woche habe ich von vier Neuntklässlern der IGH eine Interviewanfrage bekommen. Sie wollten wissen, warum ich Stadtrat geworden bin. Und wenn ich in einer zehnten Klasse Schüler treffe, die ich bereits in der Grundschule unterrichtet habe, geben sie mir schon mal "High Five" und schreien "Alaska".
Alaska?
Statt "alles klar". Damit lockere ich den Unterricht auf. Es ist toll, wenn die Jugendlichen das noch nach Jahren mit einem verbinden.
Wenn sich jemand im Straßenverkehr nicht an die Regeln hält, wird er dann von Ihnen angesprochen?
Ich versuche, mich zurückzuhalten. Auf eines reagiere ich aber allergisch: Wer einen Gehweg so zuparkt, dass man kaum noch vorbeikommt, wird von mir fotografiert und angezeigt. Oder wenn jemand unberechtigt auf einem Behindertenparkplatz sein Auto abstellt. Wenn aber jemand bei Rot über die Straße geht, sage ich nur etwas, wenn Kinder in der Nähe sind.
Und wenn Sie Radler ohne Helm sehen?
Dann hoffe ich, dass ihnen nichts passiert. Denn jeder weiß, was geschieht, wenn man auf den Kopf fällt. Mit Kindern mache ich da oft einen Test. Gehe mit ihnen runter in die Hocke, sie dürfen mit den Handknöcheln und der flachen Hand über den Straßenbelag streichen. Jedem ist klar, dass es ihm nicht gut tut, wenn er dort mit dem Kopf aufschlägt. Nach diesem Experiment hat mal eine Tochter ihren Vater so lange genervt, bis er sich einen Fahrradhelm gekauft hat. Kurz darauf hatte er einen Unfall. Ohne Helm hätte er ihn vielleicht nicht überlebt.
Sie waren bei den ersten Kinderwegeplänen in Heidelberg beteiligt, setzen sich als Stadtrat für das Sicherheitsaudit ein. Wie sicher ist der Verkehr für Kinder?
Es ist sicherer geworden, gibt aber noch viel zu tun. Das Sicherheitsaudit sieht Tausende von Maßnahmen vor: weiche und harte. Mal geht es nur darum, Hecken zurückzuschneiden, mal um teurere Straßenumbauten. Wir sind auf einem guten Weg, aber manche Ampelschaltungen sind katastrophal. In der Bergheimer Straße etwa kommt man bei Grün nur auf eine schmale Verkehrsinsel. Die Kinder haben dann hinter sich die Straßenbahn und vor sich die Autos und müssen bei Rot warten.
Was fordern Sie?
Es sollte mehr Geld eingestellt werden. Und die Maßnahmen sollten noch konsequenter und früher umgesetzt werden. Seit fünf Jahren reden wir zum Beispiel über die Poller für die Altstadt, die die Autos aus dem Stadtteil weitgehend heraushalten sollen. Jetzt wurde das Projekt wieder ausgesetzt.
Dass das Sicherheitsaudit angestoßen wurde, hat auch etwas mit dem tödlichen Unfall in der Theaterstraße zu tun.
Der Tod von Ben Bews hat mich schwer getroffen. Einen Monat vorher war er noch bei mir in der Fahrradausbildung. Er war ein Junge, wie ich früher war, ein liebenswerter Chaot. Bei so einem schrecklichen Ereignis fragt man sich, ob man nicht noch mehr hätte tun können. Für mich war das einer der schlimmsten Momente überhaupt. Neulich, zum fünften Jahrestag des Unfalls, habe ich in der Theaterstraße eine Kerze angezündet. Dieser Unfall hat mir vor Augen geführt, dass man niemals aufhören darf, sich für die Rechte von Kindern einzusetzen.