Die Rhein-Neckar-Werkstätten für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen leisten wichtige Arbeit. Auf dem Foto zu sehen sind (v.l.) Küchenleiter Michael Schlegel, Werkstattratvorsitzende Heidemarie Stange und Geschäftsbereichsleiterin Waltraud Hartmann-Lingsch. Foto: Hentschel
Von Marion Gottlob
Heidelberg. Erst in der Corona-Krise merkt man, wie genau der Alltag normalerweise organisiert ist. Denn nun ist alles anders. Darauf müssen sich auch die Rhein-Neckar-Werkstätten für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung einstellen: Aufträge wurden von einem Tag auf den anderen storniert. Plötzlich stand die Existenz der Einrichtung auf dem Spiel, es sind Ideen gefragt. Dank dem Engagement von Waltraud Hartmann-Lingsch, Geschäftsbereichsleiterin der Werkstätten für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung, und ihrem Team ist es gelungen, dass niemand entlassen und keiner in Kurzarbeit geschickt werden musste. Sie sagt: "Wir haben sofort an neuen Konzepten gearbeitet."
Das war und ist für die Beschäftigten mit psychischer Erkrankung entscheidend. Ein Beispiel: Eine Beschäftigte stammt aus der ehemaligen DDR. Nach mehrmonatiger Haft wurde sie mit ihrer Familie damals vom Westen freigekauft. Rund zehn Jahre später kam die Diagnose Schizophrenie: "Das hat mein ganzes Leben verändert." Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie nun in den Werkstätten. "Die Corona-Krise ist belastend. Wenn in der Isolation auch noch die Arbeit wegfallen würde, wäre das schlimm. Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft Arbeit haben."
Die Rhein-Neckar-Werkstätten der Johannes-Diakonie Mosbach zählt am Heidelberger Standort 160 Beschäftigte. Sie sind zwischen 18 und 65 Jahre alt und leiden an seelischen Erkrankungen wie Psychosen, Angst-Erkrankungen, Depressionen und Persönlichkeitsstörungen. In den Werkstätten üben sie die Rückkehr in den Arbeitsalltag.
"Wir tun nichts gegen den Willen der Betroffenen", erklärt Waltraud Hartmann-Lingsch. "Sobald sie sich jedoch für den neuen Weg entscheiden, helfen wir ihnen." Das ist die Aufgabe eines Teams mit 28 Mitarbeitern, die fünf Arbeitsbereiche betreuen. Kostenträger für die Maßnahmen zur beruflichen Bildung und Teilhabe am Arbeitsleben sind die Agentur für Arbeit, die Deutsche Rentenversicherung und die örtlichen Eingliederungshilfeträger.
Als die Corona-Krise vor rund einem Jahr begann, gab es für die Werkstätten keine Schonfrist. Es gab Auftraggeber, die sofort ihre Aufträge stornierten. Umgekehrt mussten in allen Bereichen die Beschäftigten zu Hause bleiben, sodass Aufträge nicht sofort abgearbeitet werden konnten. Denn auch die Werkstätten mussten damals geschlossen werden. Doch schon einen Tag später gab es eine Not-Betreuung, die sofort angenommen wurde, denn es drohten Krisen und Gedanken an Selbstmord. Betroffene waren auf eine Tagesstruktur angewiesen. Das wurde mit der Not-Gruppe, mit Telefon-Kontakten und mit dem Verschicken von Bildungspaketen aufgefangen.
Als die Werkstätten wieder geöffnet wurden, brauchte es vor allem neue Ideen, wie man die Menschen wieder oder weiter in Arbeit bringen könnte. Ein Beispiel: In normalen Zeiten versorgen die Werkstätten mit ihrer "Geschmack-Werkstatt" andere Firmen und die eigenen Leute mit rund 500 Mahlzeiten am Tag. Mit dem Homeoffice brachen die Aufträge weg. Auch im Werkstattbereich gab es erst einmal weniger zu tun. Also nähten die Beschäftigten und die Mitarbeiter für die gesamte Belegschaft der Johannes-Diakonie 20.000 Alltagsmasken aus Stoff. "Jeder hat seinen Beitrag geleistet", berichtet Hartmann-Lingsch.
Glück im Unglück: "Corona-Gewinner" haben ein Herz für die Betroffenen und vergeben Aufträge an die Werkstätten. So werden jetzt Masken und Hygienemittel konfektioniert. Doch von Normalität kann keine Rede sein. Das betrifft zum Beispiel einen Beschäftigten, der auf einem Außenarbeitsplatz in einer Kantine tätig war und die Chance gehabt hätte, in die Kantine eines Unternehmens und damit in den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln. Mit der Corona-Krise wurde die Kantine geschlossen. Doch derjenige darf nun wieder in der Großküche der Werkstätten mitarbeiten. Koch Michael Schlegel sagt: "Wir schaffen das im Team – wir sind dankbar."
Neu: Die Mitarbeiter des Bereichs für Dienstleistungen sind nun auch für Teile der coronabedingten Hygienemaßnahmen im Haus verantwortlich. Hier ist jetzt wesentlich mehr zu tun. Und die neue Sparte der Akten-Digitalisierung und Akten-Vernichtung kann Aufträge verzeichnen. "Auch die Johannes-Diakonie stellt von Papierakten auf digitale Akten um."
All diese Veränderungen sind nicht leicht zu verkraften. Milena Kaiser vom Sozialdienst: "Viele haben Angst vor einer Infektion. Wir nehmen die Ängste ernst und sprechen darüber." Eine Sorge treibt aktuell die Verantwortlichen um. Hartmann-Lingsch: "Sowohl Teilnehmer der Maßnahmen als auch unsere Mitarbeiter wurden bei den Impfempfehlungen übergangen."