Von Julia Lauer
Heidelberg. Kaum waren sie im Amt, kam schon die Pandemie: Christof Ellsiepen, Dekan der Evangelischen Kirche in Heidelberg, und Alexander Czech, katholischer Dekan von Heidelberg-Weinheim. Im RNZ-Gespräch erzählen sie, welche Corona-Maßnahmen ihnen zu schaffen machen, was sie von Weihnachtsgottesdiensten ohne gemeinsames Singen halten, und ob die Verbreitung des neuen Virus sie an Gott zweifeln ließ.
In diesem Jahr fällt Weihnachten in eine Ausnahme-Zeit. Gibt es da überhaupt eine frohe Botschaft?
Alexander Czech: Dass Gott Mensch geworden ist, ist der Kern unserer Botschaft, gerade in diesen Zeiten. Dieses Kind ist unsere Zukunft, in ihm finden wir Weite, Freude und Vertrauen.
Christof Ellsiepen: Gott kommt nicht nur zu einem Zeitpunkt in die Welt und lässt uns neue Kraft schöpfen, seine Botschaft spricht in jede Zeit hinein, auch in schwierige Zeiten wie diese.
Kommt denn da überhaupt Weihnachtsstimmung auf?
Ellsiepen: Die Stimmung ist nicht wie in anderen Jahren. Es fehlen viele Räume für Gelassenheit, und um sich fallen zu lassen. Die Menschen sind angespannt.
Czech: Ich erlebe eine große Suche, wie Weihnachten stattfinden kann. Aber die Kirchen haben Antworten darauf. Sie reichen von Präsenz-Gottesdiensten bis hin zu Andachten im Internet.
In diesem Jahr müssen die Gottesdienste ohne ein gemeinsames "O du fröhliche" oder "Stille Nacht" auskommen. Fehlt Ihnen das?
Ellsiepen: Mir fehlt das sehr, das gemeinsame Singen ist ein wichtiger Teil unserer Gottesdienste. Aber wir werden diese Lieder spielen und auf andere Art zu Gehör bringen, sodass wir darauf nicht völlig verzichten müssen.
Czech: Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass Vorsänger singen und die Gemeinde mitsummt. Auch das Mitsummen öffnet das Herz. Zu Hause, für mich persönlich, singe ich die Lieder dann aus vollem Herzen.
Das heißt in Ihrem Fall: allein?
Czech: Ja, durchaus. In den zurückliegenden Jahren habe ich das mit meiner Familie getan, aber ich singe auch alleine. Auch daraus schöpfe ich Kraft.
Wie verbringen Sie denn die Weihnachtsfeiertage? Im vergangenen Jahr waren Sie bei Ihren Eltern in Eppingen-Mühlbach zum Kaffee und haben sich mit Bezirkskantor Markus Uhl zum Essen getroffen.
Czech: Dieses Jahr mache ich das coronabedingt nicht. Ich bin aber überzeugt: Weil alle verzichten, hilft es mir, meinen persönlichen Verzicht zu leisten. Ich habe mein Zuhause weihnachtlich geschmückt, ich koche mir etwas Gutes – Gänsekeule, Rotkraut und Knödel –, und ich nehme mir Zeit für die Meditation. Die Stille hilft mir dabei, mich auf Gott einzulassen.
Und Sie, Herr Ellsiepen? Sie haben vier Kinder, so still wird es da wohl nicht.
Ellsiepen: Wir feiern gemeinsam als Familie. Morgens schmücken wir den Baum, dann halte ich eine Andacht auf dem Bergfriedhof. Es wird ruhiger sein als in den Vorjahren. Und wir fahren auch nicht weg. Die Großeltern treffen wir über Video.
Haben Sie eigentlich an Gott gezweifelt, weil er diese Krankheit schickt?
Czech: Schickt er sie denn?
Wenn es ihn gibt, nimmt er sie zumindest hin.
Czech: Eine Krankheit zu schicken, würde nicht zu meinem Gottesbild passen. Vielmehr hat er versprochen, bei uns zu sein, den Weg mit uns zu gehen, mit uns durchzuhalten.
Ellsiepen: Ich glaube nicht, dass Gott für Corona verantwortlich ist. Er gibt uns aber Kraft und Halt in allen Lebenslagen. Corona wirkt wie ein Brennglas, uns auf das Wesentliche zu besinnen, das kann unsere Verbundenheit mit Gott sein oder auch mit anderen Menschen.
Ist das auch ein Thema Ihrer Weihnachtsgottesdienste?
Ellsiepen: Ein Thema ist für mich, was es heißt, dass Gott in einem Kind auf die Welt kommt: bedürftig und verletzlich wie wir alle. Ein anderes Thema ist das Geheimnis, wie Gott sich uns zeigt. Die Pläne, die wir derzeit machen können, haben nur eine geringe Halbwertszeit.
Czech: In meinen acht Gottesdiensten habe ich eine Vielzahl von Themen. Eines stammt aus "O du fröhliche": "Welt ging verloren, Christ ist geboren". Das erleben wir gerade.
Haben Sie sich eigentlich auch persönlich eingeschränkt gefühlt durch die Maßnahmen, die Corona mit sich brachte?
Czech: In den Lockdownphasen, also im Frühling und auch jetzt, habe ich mit meiner Familie und mit Freunden abgemacht, auf Treffen zu verzichten. Das fällt schwer, denn es ist wichtig, anderen Menschen live zu begegnen. Das ist nicht ersetzbar.
Ellsiepen: Mir fehlen das Musizieren, die Chöre, Orchester und auch die Kultur überhaupt. Es ist auch schön, einfach mal im Café zu sitzen und auszuspannen. Ich spiele sonst Fußball mit den Alten Herren im Sportverein, auch das fehlt mir.
Kaum waren Sie als Dekane im Amt, kam schon die Pandemie. Bei diesem Video-Interview sehen Sie sich aber nicht zum ersten Mal, oder?
Ellsiepen: (lacht) Nein, wir haben uns regelmäßig getroffen, und wenn das nicht ging, haben wir einmal wöchentlich telefoniert. Wir haben da zum Glück einen kurzen Draht.
Dabei sind Sie erst im September vergangenen Jahres vom Bodensee nach Heidelberg gekommen.
Ellsiepen: Ich hatte ein halbes Jahr, um anzukommen und Verbindungen in der Stadt zu knüpfen. Dann wurde alles anders, und ich bin dankbar, diese Einstiegszeit noch gehabt zu haben. Aber auch im März und danach stand ich mit den anderen Pfarrern und Mitarbeitern in gutem Austausch. Zwischen den Gemeinden gab es eine wunderbare Zusammenarbeit, etwa bei den gemeinsamen Videogottesdiensten. Das hat das Wir-Gefühl gestärkt und tut vielen gut. Auch mir.
Herr Czech, Sie waren gerade erst Dekan geworden, als es mit Corona losging. Wie war das bei Ihnen?
Czech: Am 19. Januar war der große Gottesdienst, mit dem ich in mein Amt eingeführt wurde, und gut sechs Wochen später kam schon der Lockdown. Da war es schwierig, in die neuen Abläufe hineinzukommen. Über Zoom-Konferenzen pastorale Leitlinien zu entwickeln, gelingt nur begrenzt.
Sie sind ja nicht nur Dekane und stehen einer Gruppe von Pfarrern vor, sondern sind auch selbst als Pfarrer tätig. Wie ist es in Corona-Zeiten um die Nähe zur Gemeinde bestellt?
Czech: Heilung, Stärkung, Vergebung, ein Leben in Fülle sind wichtige Themen für mich als Pfarrer. Die Beschäftigung damit innerhalb der Gemeinde ging je nach Lockdownsituation besser oder auch schlechter. Seelsorgerische Begleitung, Gespräche und Beratung konnten aber immer stattfinden, auch per Zoom.
Ellsiepen: Für uns war schön, dass unsere Pfarrkonferenz Ende Oktober als Präsenzveranstaltung stattfinden konnte. Es war sehr inspirierend, Kirche aus der Perspektive von 20- und 30-Jährigen wahrzunehmen. Sie sind eine wichtige Gruppe innerhalb der Kirche.
Jetzt sind wir bei Themen jenseits von Corona. Was hat Sie im zu Ende gehenden Jahr ansonsten beschäftigt?
Ellsiepen: Die Teilhabe der jungen Menschen am kirchlichen Leben, die ich eben angesprochen habe, ist ein ganz wichtiges Thema für uns. Auch der Besuch von Esther Bejarano, die den Holocaust überlebt hat und zur Verleihung des Hermann-Maas-Preises zwei Tage hier war, ging uns sehr nahe. Sie steht dafür ein, Menschlichkeit zu leben. Das ist auch unser Auftrag.
Czech: Corona hat uns dazu gebracht, Erstkommunion und Firmungsfeiern in kleinen und persönlichen Gottesdiensten zu feiern – das hat uns alle gestärkt. Daneben hat auch uns die Kirchenentwicklung beschäftigt. Kirche und kirchliches Leben verändern sich. Wir setzen uns damit auseinander, wie wir die Menschen erreichen.
Mit Sankt Michael in der Südstadt will die katholische Kirche das erste Kirchengebäude in Heidelberg abreißen, dessen Aufrechterhaltung sich nicht mehr lohnt. Ist 2020 deshalb ein bitteres Jahr für Sie?
Czech: Noch gibt es keinen Beschluss, dass wir Sankt Michael abreißen. Aber für diejenigen, die mit dem Gebäude verbunden sind, sind diese Überlegungen herb.
Sie mussten noch keine Kirchengebäude opfern, Herr Ellsiepen. Aber auch die Kirchen der Protestanten leeren sich.
Ellsiepen: Wir schauen sorgfältig, von welchen Räumen wir uns trennen und wo wir in Neues investieren. In Rohrbach haben wir Anfang des Jahres ein Gemeindezentrum entwidmet, das war für die Gemeinde ein großer Umbruch. In Kirchheim bauen wir die Arche als Gemeindezentrum mit Kita und Jugendtreff neu auf. Aber es hängt nicht nur an Gebäuden. Es ist wichtig, dass neue Formen kirchlichen Lebens entstehen. In der Christus-Luther-Markusgemeinde konnten wir im September eine dafür geschaffene Pfarrstelle besetzen. Das ist ein Anfang.
Apropos Anfang: Haben Sie Wünsche fürs kommende Jahr?
Czech: Ich habe drei Wünsche. Für die Gesellschaft wünsche ich mir, dass wieder mehr Normalität einkehrt, für die Kirche wünsche ich mir ein Dranbleiben am Wesentlichen und für mich persönlich Weisheit für Situationen, in denen klare Antworten nicht auf dem Tisch liegen.
Ellsiepen: Ich wünsche mir, dass Menschen nicht mehr fliehen müssen und wenn doch, dass sie menschenwürdige Aufnahme finden. Und dass unser kirchliches Leben in die Gesellschaft hinein strahlt. Persönlich wünsche ich mir wieder mehr ungezwungenes Miteinander. Aber zunächst wünsche ich uns ein gesegnetes Weihnachtsfest.
Czech: Dem schließe ich mich an. Ich wünsche uns frohe Weihnachten, voller Kraft und Zuversicht.