Von Anica Edinger
Heidelberg. Seit 15 Jahren ist Martin Müller "Booker" im Karlstorbahnhof. Er macht das Programm, ist im Kontakt mit Agenturen, mit Künstlerinnen und Künstlern, holt sie nach Heidelberg. Seine Arbeit, wie er sie all die Jahre kannte, änderte sich 2020 schlagartig – als die Kultur im März aufgrund der Corona-Pandemie zum ersten Mal stillgelegt wurde.
Zehn Monate später ist das kulturelle Leben erneut zum Stillstand gekommen. Wann es wieder losgehen kann? Keiner weiß es. Was macht dieser Zustand mit dem Programmmacher im Karlstorbahnhof? Was kann geplant werden, wenn doch eigentlich kaum etwas planbar ist? Ein Gespräch über Flexibilität in Pandemie-Zeiten, über den Hunger nach Kultur – und die Hoffnung auf den Sommer.
Herr Müller, im Karlstorbahnhof sind Januar und Februar traditionell die Monate zum Lachen – dann findet normalerweise das Carambolage-Festival für Kabarett und Comedy statt. So richtig zum Lachen ist die aktuelle Situation aber nicht, und auch Carambolage wird wohl nicht stattfinden. Wie geht es Ihnen dabei?
Die Situation ist natürlich schwierig. Was dabei ganz wichtig ist, ist, dass man sich eine große Flexibilität bewahrt. Glücklicherweise ist das bei uns im Haus und im Team bisher gut gelungen. Wir haben vieles verschoben, neue Termine gesetzt, immer in angepassten Formaten. So wird das auch im Januar und Februar sein – und dann gibt es doch ein bisschen "Carambolage": online.
Auf der Karlstorbahnhof-Internetseite sind viele Veranstaltungen für die nächsten Wochen noch angekündigt – und ausverkauft. Wie lange hält man daran fest?
Wir versuchen, die Dinge aufrechtzuerhalten, bis wir von Bund und Land Vorgaben bekommen, was wir machen dürfen und was nicht. Den Maßnahmen, die der Gesetzgeber vorgibt, passen wir uns dann an.
Das heißt: Sie fahren auf Sicht. Ist das nicht manchmal furchtbar frustrierend?
Es ist anstrengend – und ein wahnsinniger Mehraufwand. Wenn man einmal eine Sache erarbeitet hat und sich dann die Infektionszahlen und damit die Regeln ändern, kann man wieder von vorne anfangen, muss sich an Hygienemaßnahmen anpassen, sich im Haus abstimmen, die Regeln genau studieren. Die Arbeit hat sich vervielfacht. Aber alles hat auch positive Effekte.
Und die wären?
Man hatte nun auch Zeit, sich seine eigene Arbeit anzuschauen und zu reflektieren. Vieles hat sich da verbessert, etwa auch flexibles Arbeiten im Homeoffice. Zudem konnten wir neue spannende Projekte anstoßen. Eines heißt "Push Forward". Dabei geht es um das Empowerment junger Künstlerinnen. Sie werden aufgerufen, sich des Werks der Künstlerinnen Cher, Jane Birkin, Dolly Parton und Patti Smith anzunehmen – die alle in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag feiern. An vier Abenden im Frühling soll das musikalische Erbe dieser Künstlerinnen gefeiert und dabei talentierte Musikerinnen gefördert werden.
Als "Booker" ist es Ihr Job, das Programm zu planen – und das in Zeiten absoluter Planungsunsicherheit. Wie machen Sie das?
Ich plane weiter. Im Moment bin ich dabei, wieder eine Sommerbühne auf die Beine zu stellen. Vorausgesetzt, wir erhalten die Zusage auch 2021, den Platz vor unserem Haus nutzen zu dürfen. Die Sommerbühne jedenfalls war im letzten Jahr ein wahnsinniger Erfolg, fast jede Veranstaltung war ausverkauft. Das war eine tolle Erfahrung für den ganzen Karlstorbahnhof, dieser Kultursommer hat gut getan – und er hat gezeigt: Auch während der Pandemie können in einem sicheren und schönen Rahmen tolle Konzerte stattfinden. Nun bin ich wieder im Austausch mit lokalen Partnern, die mitmachen wollen, und hoffe, dass es wieder so schön wird wie im letzten Jahr.
Den Platz vor dem Karlstorbahnhof zu nutzen und zu bespielen – könnte das auch nach der Pandemie eine dauerhafte Lösung sein?
Fest steht: Heidelbergerinnen und Heidelberger haben mit uns gemeinsam diesen Platz wieder neu entdeckt. Auch die Stadtverwaltung ist mit der unkomplizierten Genehmigung da gut mitgegangen. Das hat mich gefreut, dass alle dabei an einem Strang gezogen haben. Die Menschen waren dafür sehr dankbar, wir haben unglaublich viele Rückmeldungen bekommen, wie toll die Leute das Programm und die Sommerbühne fanden. Ein Highlight dabei war für mich der Auftritt von Stu Larsen, ein australischer Songwriter, der auf seiner Europa-Tournee im März vom kompletten Lockdown getroffen wurde und damit quasi in Europa gefangen war – zu unserem Glück, denn so konnte er auf der Sommerbühne auftreten. Internationale Künstlerinnen und Künstler in die Stadt zu holen, war im letzten Jahr ansonsten eigentlich unmöglich. Das hat uns schon sehr gefehlt.
Wird das dieses Jahr weiter so sein?
So langsam fängt man an, wieder mit internationalen Künstlerinnen und Künstlern zu planen, für April und Mai hoffentlich.
Die Aussichten für Frühling und Sommer sind also nicht schlecht. Aber wie schaffen wir es kulturell durch diesen dunklen Winter?
Wie bereits erwähnt, wird es drei Carambolage-Veranstaltungen online geben. Dann planen wir gemeinsam mit den Veranstaltern von "Word up!" einen großen Poetry Slam, der vom Karlstorbahnhof aus online in die Welt getragen wird. Und wir haben derzeit noch ein tolles Projekt: Jeden Freitag wird auf unserer Internetseite eine Playlist mit zeitgemäßer Musik veröffentlicht – das wird ganz toll angenommen. Wir werden auch noch mindestens zwei Streaming-Konzerte kostenfrei anbieten, in guter Qualität und direkt aus dem Karlstorbahnhof. So hoffen wir, dass wir gut durchkommen.
Was ist denn Ihr persönlicher Wunsch für dieses Jahr 2021?
In der Kulturbranche herrschte lange eine Art Resignation – jetzt ist man eher wieder hoffnungsvoll. Das trifft auch auf mich zu. Ich hoffe nun, dass die Impfbereitschaft groß ist und wir irgendwann wieder ein wenig Normalität in den Kulturbetrieb bekommen. Der Wunsch danach ist jedenfalls da. Wir bekommen ganz viele Nachrichten von Menschen aus der Stadt, die uns sagen, wie sehr wir ihnen fehlen. Wir warten sehnsüchtig darauf, gemeinsam mit ihnen wieder Kultur erleben zu können.