Theater mit Abstand: Nicht nur im Marguerre-Saal bleiben derzeit aufgrund der Coronabestimmungen viele Plätze leer. Das, aber auch die Planungsunsicherheit stellt die Kulturbetriebe in der Stadt vor große Herausforderungen. Foto: Rothe
Von Anica Edinger
Heidelberg. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kann das Festival "Geist Heidelberg" nicht eröffnen. Bei der Reihe Kammermusik Plus des "Heidelberger Frühling" muss der Pianist ausgetauscht werden. Ein französischer Jazz-Künstler kann nicht einreisen, um sein Konzert bei "Enjoy Jazz" zu spielen. Coronabedingte Absagen im Kulturbetrieb häufen sich wieder. Je mehr Länder oder auch Städte zu Risikogebieten erklärt werden, desto schwieriger wird es. Und dennoch schaffen die Veranstaltungshäuser, was unter den aktuellen Bedingungen geradezu unmöglich scheint: einen Kulturbetrieb unter Pandemiebedingungen.
Diese Leistung ist außergewöhnlich. "Die Planung ist wirklich die Hölle", sagt Holger Schultze, Intendant des Theaters und Orchesters. Planen: Das heiße im Moment, immer drei Alternativen in der Hinterhand zu haben. Doch die Lust auf Kultur, auf Theater, ist da, auch das weiß Schultze. "Die Auslastung ist enorm", sagt er. Vorstellungen seien häufig sofort nach Ankündigung ausverkauft – "zum Teil auch schon in der Weihnachtszeit", berichtet Schultze. Dabei fällt gerade eine wichtige Säule im Theater komplett weg: die Internationalität. "Es ist ganz schwierig, Leute zu holen", so Schultze. Für Gastspiele, aber etwa auch fürs Musiktheater, für besondere Bühnenbilder oder gar Kostüme.
Vor diesen Problemen steht auch das Deutsch-Amerikanische Institut (DAI). "Die Situation spitzt sich zu", sagt Vanessa Wagner, Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit im DAI. "Gestern haben allein fünf Referenten angerufen, die unsicher sind, ob sie in der derzeitigen Situation reisen sollten." Viele wollten nun wieder aufs Internet ausweichen. Dabei hat der Präsenzbetrieb im Kulturbereich gerade wieder Fahrt aufgenommen. Einen Teil der Veranstaltungen filmt das DAI schon jetzt live mit und stellt die Vorträge ins Internet – teilweise kostenlos, teilweise hinter der Bezahlschranke. Finanziell gesehen stehen Kulturhäuser ohnehin schlecht da in der Krise. "Die Einbußen sind massiv", sagt Wagner.
Von den normalerweise 400 Plätzen im Großen Saal könne man derzeit 98 besetzen – durchschnittlich seien aber zwischen 60 und 70 Gäste bei den DAI-Veranstaltungen. "Einige kommen nicht, andere haben Zweierplätze gebucht, besuchen die Veranstaltung aber alleine", berichtet Wagner. Das reißt eine Lücke ins Budget. "Wir sind auch auf Spenden angewiesen", so Wagner.
Die geringen Platzkapazitäten und die finanziellen Auswirkungen dessen sind auch eine der großen Sorgen von Cora Maria Malik, Geschäftsführerin im Karlstorbahnhof. Zwischen 50 und 70 Besucher können derzeit in den Saal im Karlstorbahnhof, normalerweise sind es 220. Auch Malik berichtet von einer "guten Nachfrage". Allerdings sei in den letzten Tagen auch zu spüren gewesen, dass die Zurückhaltung, was Konzertbesuche angeht, wieder zunimmt. Gekaufte Tickets würden häufiger als zuvor nicht eingelöst. "Vermutlich", so Malik, "weil viele zuhause bleiben, wenn sie kränkeln oder sich unsicher fühlen." Malik will dennoch zuversichtlich bleiben: "Sicherheit geht absolut vor." Man müsse sich auf die Situation einstellen, kreativ damit umgehen – "und im Zweifel lieber absagen". Zudem habe die Krise noch einen ganz anderen, positiven Nebeneffekt: "Die Wertschätzung für Kultur wächst spürbar. Wir hatten dieses Jahr schon über 30 neue Anmeldungen für unseren Förderverein, das gab es in dieser Form noch nie."
So gut es geht, müsse der Kulturbetrieb deshalb aufrecht erhalten werden. Daran arbeitet auch das Team des "Heidelberger Frühling" mit Hochdruck – insbesondere im Hinblick auf das Festival 2021. "Dabei sind wir extrem betroffen von der Schließung der Stadthalle", sagt Annett Baumeister, Leiterin Kunst und Innovation beim "Frühling". Ausweichspielstätten mussten gefunden werden – die noch dazu groß genug sind, um Konzerte mit Abstand stattfinden zu lassen. So weicht der "Frühling" 2021 in die Alte und Neue Aula der Uni aus, ins Schloss, in Kirchen, ins Dezernat 16, das Theater, aber etwa auch in die neue Großsporthalle, wie Baumeister verrät – den SNP Dome.
Bei den Konzerten gilt dann: Auf große Orchester wird gänzlich verzichtet, es gibt keine Pausen. "Eine enorme Herausforderung für Künstlerinnen und Künstler", sagt Baumeister. Sie seien es ohnehin, die unter der aktuellen Situation besonders litten. "Die Bedingungen in den europäischen Nachbarländern sind noch viel schlechter als in Deutschland", weiß Baumeister. Häufig gebe es dort keinerlei Unterstützung für Musikerinnen und Musiker. Deshalb bemüht sich der "Frühling", trotz Reisebeschränkungen international zu bleiben.
Auf Kosten des Festivals seien erst kürzlich Künstler, die aus Berlin gekommen sind, auf Sars-CoV-2 express-getestet worden. "Das sind enorme Kosten", so Baumeister. Ähnliches könnte auch wieder bevorstehen, wenn im Januar das Streichquartettfest gefeiert werden soll. Dabei wiegt eines besonders schwer: die ständige Unsicherheit. Täglich steigende Infektionszahlen, neue Risikogebiete und Verordnungen machen das Planen für Kulturbetriebe schwer. Was jeder Einzelne derzeit leiste, sagt auch Schultze, das sei "unvorstellbar".