Schwimmen lernen kann Leben retten. In Deutschland können sich aber immer weniger Kinder über Wasser halten. Verschärft wird die Situation durch die Corona-Krise – auch in Heidelberg. Foto: dpa/Rolf Vennenbernd
Von Sarah Hinney
Heidelberg. Die Situation ist besorgniserregend – seit Jahren lernen immer weniger Kinder in Deutschland schwimmen. Eigentlich sind Heidelberger Kinder von diesem Trend kaum betroffen, auch weil es zahlreiche Schwimmbäder im Stadtgebiet gibt und das Schulschwimmkonzept "Schwimmfix" seit rund 15 Jahren etabliert ist. Durch die Coronakrise spitzt sich aber auch hier die Lage zu, denn seit Monaten sind die Hallenbäder im Stadtgebiet geschlossen, und in den Freibädern herrscht Sonderbetrieb.
Das Ergebnis: Allein beim SV Nikar warten im Moment 200 bis 300 Kinder auf einen Schwimmkursplatz. Das berichtet Maike Hannowsky, Leiterin der Geschäftsstelle des Vereins und Sportwissenschaftlerin, auf Nachfrage der RNZ. "Normalerweise haben wir 1500 Schwimmkursplätze im Jahr und die sind immer voll. Wir könnten auch 2000 vergeben", so Hannowsky. Jene 1500 Platze betreffen ausschließlich Kinderschwimmkurse – vom Babyschwimmen bis zu Kursen für Kinder im Alter von etwa neun Jahren. Seit Beginn der Corona-Krise konnte nur ein Bruchteil davon durchgeführt werden.
Dabei hat der SV Nikar noch Glück "wir haben das Bad im Olympiastützpunkt", erklärt Hannowsky. Dort würden seit Juli wieder Kurse angeboten – allerdings in deutlich reduzierter Form. "Wir haben das riesige Problem, dass wir deutlich mehr Anfragen haben." Problematisch sei das aus zweierlei Gründen. "Da ist einmal der gesellschaftliche Aspekt, die Situation bedroht uns aber auch als Verein, weil die Kurse ein wichtiges finanzielles Standbein sind", so die Sportwissenschaftlerin. Das drängendere Problem sieht sie allerdings darin, dass Kinder aktuell so gut wie nicht schwimmen lernen können.
"Das wird uns spätestens nächstes Jahr auf die Füße fallen", befürchtet Hannowsky. Im Freibad Kurse zu geben, sei schwierig. Die einzige Option des SV Nikar war das Bad im Olympiastützpunkt. "Allerdings müssen wir auch dem normalen Vereinsbetrieb mit seinen 1200 Mitgliedern Rechnung tragen, wir können nicht alles mit Kursen vollklatschen", erklärt sie den Interessenkonflikt. Auch den allgemeinen Trend, dass Kinder insgesamt weniger schwimmen lernen, bestätigt die Sportwissenschaftlerin. Betroffen seien vor allem kleinere Gemeinden, in denen Bäder aus Kostengründen geschlossen werden. "In der Rhein-Neckar-Region ist das Problem weniger präsent, deutlandweit aber ein Fakt." Zumal durch den Bädermangel auch das Schulschwimmen nicht mehr flächendeckend stattfinde. Bezogen auf Heidelberg sieht Hannowsky jetzt vor allem im kommenden Jahr ein großes Problem. Die aktuelle Warteliste wieder aufzufangen, hält sie für ein "Ding der Unmöglichkeit".
Gleichzeitig würden die Leute ja trotzdem im Sommer an Flüsse oder Seen gehen – das seien alles Gefahrensituationen. Hannowsky hofft jetzt, dass die Hallenbäder bald wieder öffnen. Sie verspricht: "Wir tun, was wir können. Wenn uns die Stadtwerke Optionen bieten, nutzen wir alle Kapazitäten, die wir haben. Wir brauchen nur die Wasserflächen." Ähnlich sieht es bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) aus, die ebenfalls in den Heidelberger Bädern Schwimmkurse für Kinder anbietet. Auch hier sind die Wartelisten grundsätzlich gut gefüllt, am 8. März hatte die DLRG dann sämtliche Schwimmtrainings gestoppt. Im Sommer habe man nur mit einer Handvoll Kinder Training im Freibad machen können. Die Warteliste auf einen Schwimmkurs bei der DLRG liege im "hohen zweistelligen Bereich", heißt es vonseiten der Heidelberger DLRG.
Die Rettungsdienstorganisation ist über die aktuelle Entwicklung sehr besorgt. "Wir sollten es unbedingt vermeiden, wieder zu Kindergärten und Schulschließungen zu kommen. Dies würde uns als DLRG durch Badschließungen ebenfalls betreffen und damit die Anzahl an Kindern, die nicht oder nicht ausreichend schwimmen können, weiter erhöhen", sagt Lucas Schütz, Vorsitzender der DLRG Stadtgruppe Heidelberg. Und weiter: "Das wäre eine Situation, die man nur sehr schwer mit den normalen Zeiten und Ausbildungskapazitäten auffangen könnte."
Jetzt müssen die Hallenbäder aber erst mal wieder öffnen. Bei den ersten soll das – laut Stadtwerke – nächste Woche geschehen. Konkretere Informationen gibt es noch nicht. Sicher ist indes: Organisatorisch kommt einiges auf alle Beteiligten zu. Denn die Voraussetzungen sind laut Corona-Verordnung dieselben wie in den Freibädern. Es gelten die bisherigen Abstandsregeln, auch wird es weiterhin Online-Reservierungen geben.