Julia Stemmler, Fachpflegekraft für Intensivpflege und Anästhesie an der Chirurgie der Universitätsklinik, steht in Heidelberg vor dem Gebäude der Chirurgie. Am Donnerstag (25.01.) sind Warnstreiks an allen Unikliniken im Südwesten geplant. Foto: Uwe Anspach/dpa
Von Wolfgang Jung, dpa
Heidelberg. (dpa/lsw) Wenn Julia Stemmler über ihren Beruf als Fachpflegekraft in der Heidelberger Uniklinik spricht, glänzen ihre Augen. "Wir arbeiten gerne mit Patienten, wir freuen uns an ihnen und ihrer Genesung. Wir hören ihre Lebensgeschichten gerne und helfen ihnen, wieder Perspektive und Selbstständigkeit zu erlangen", sagt die 28-Jährige. Doch wenn Stemmler über ihre Arbeitsbedingungen spricht, verfliegt die Freude im Nu. "Wir versuchen zwar mit aller Macht, den Patienten im Mittelpunkt zu behalten. Aber das System zwingt uns zur Akkordarbeit. Letztendlich sind wir frustriert und härten ab. Das ist nicht das, warum wir Pflegende geworden sind."
An diesem Donnerstag treten vier Unikliniken im Südwesten in einem ganztägigen Warnstreik - außer Freiburg, Ulm und Tübingen auch Stemmlers "Heimat" Heidelberg. Mit der Aktion will die Gewerkschaft Verdi kurz vor den nächsten Verhandlungen am Freitag (26.) in Stuttgart den Druck für eine Entlastung des Pflegepersonals erhöhen.
Die Arbeitgeber kritisieren die geplante Arbeitsniederlegung. Für Stemmler ist sie aber notwendig. "Viele Politiker verschließen im gewissen Sinne die Augen, da die Pflegesituation in deutschen Krankenhäusern ein Mammutprojekt ist", sagt sie. Die Pflegekräfte hätten geduldig darauf gewartet, dass die Missstände beseitigt werden - diese seien aber Alltag geworden. "Wir können die Personalnot nicht mehr kompensieren. Und in Deutschland wird nun mal der gehört, der am lautesten schreit – und bisher war die Pflege offenbar nicht laut genug", sagt die Fachpflegekraft für Intensivpflege und Anästhesie.
Seit 2008 arbeitet Stemmler, die aus dem Raum Tauberbischofsheim stammt, in der Heidelberger Uniklinik. Ihr Berufsalltag hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. "Viele Kollegen reduzieren oder wechseln den Beruf, weil sie in der Pflege die Belastungen einer 100-Prozent-Tätigkeit nicht mehr aushalten. Und weil sie auch durch den Schichtdienst zu wenig Privatleben haben. Der Ausgleich fehlt."
Immer wieder komme es vor, dass in Dienstzeiten keine oder nur eine kurze Pause gemacht werden könne, schildert Stemmler. Manchmal sei es nicht einmal möglich, zur Toilette zu gehen. "Dies alles erhöht die Fehlerwahrscheinlichkeit enorm", erzählt die 28-Jährige. "Wir pflegen alle nach besten Wissen und Gewissen", betont sie. Wichtige Dinge wie ein Gespräch mit Patienten würden aber oft unter den Tisch fallen.
Im regulären Nachtdienst im Zwischenintensivbereich sei sie zum Beispiel für vier Patienten zuständig. "Hierbei muss ich über zwei Zimmer laufen. Das ist manchmal problematisch, da Patienten nach einer Operation verwirrt sein können. Dann muss eine Pflegeperson fast konstant im Zimmer sein - in der Folge müssen die anderen Patienten von Kollegen mitbetreut werden." Durch den Notstand müssten die Pflegenden mehr arbeiten, erzählt Stemmler - sie müssten in ihrer Freizeit öfter einspringen, und schnell sammelten sich Überstunden an.
"Wir brauchen weniger Arbeit oder mehr Personal", sagt Gewerkschaftssekretärin Silke Hansen. Verdi fordert einen Tarifvertrag mit festgeschriebenen personellen Mindeststandards. Der Gewerkschaft sei ein weitreichendes und bislang bundesweit einzigartiges Angebot vorgelegt worden, sagt der Arbeitgeberverband der Universitätsklinika dazu. "Wir sind überdies schon heute besser aufgestellt als viele andere Krankenhäuser in Deutschland und erfüllen viele der von Verdi-Berlin aufgestellten Forderungen schon."
"Das Privatleben leidet - auch, weil keine Zeit ist zur Verarbeitung der Schicksale der Patienten durch Gespräche mit Kollegen", sagt Stemmler, bevor sie sich fertigmacht für die nächste Schicht. Die mangelnde Verarbeitung habe durchaus Auswirkungen auf die Belastbarkeit der Pflegenden. "Zum Beispiel, wenn nicht genügend Ausgleich stattfindet zwischen Arbeitsbelastung und Privatleben." Dies spiegele sich dann im Umgang mit Schicksalen und Leid, meint die Fachpflegekraft. "Wir sind auch nur Menschen und keine Maschinen."