Von Birgit Sommer
Heidelberg. Während seiner Promotion in Theologie war Christof Ellsiepen (49) kurz versucht, Wissenschaftler und nicht Pfarrer zu werden. Der niederländische Philosoph Spinoza und dessen Einfluss auf Friedrich Schleiermacher faszinierten ihn, als er ihnen seine Doktorarbeit widmete: "Die spinozistischen Grundlagen von Schleiermachers früher Religionstheorie". Doch dann besann er sich auf seinen ursprünglichen Berufswunsch.
Nach zehn Jahren als Pfarrer am Bodensee - die Blumeninsel Mainau etwa gehörte zu seinem Bezirk Konstanz-Litzelstetten - wurde er im April zum Dekan der Evangelischen Kirche in Heidelberg gewählt. Im RNZ-Gespräch äußerte er sich jetzt über die Zukunft der Kirche und seine Anfänge in Heidelberg.
Im Gespräch
Herr Dr. Ellsiepen, wie geht es Ihnen in Heidelberg?
Gut. Vieles ist mir schon ganz vertraut. Ich habe mich auf den Weg gemacht, die Gemeinden und die Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Kliniken zu besuchen. Es gibt Tage, an denen ich von Ziegelhausen bis nach Rohrbach radle. So lernt man die Stadt kennen.
Eigentlich steckt die Kirche in der Krise. Die Gotteshäuser sind leer. Bei Ihrer ersten Predigt in Heiliggeist saß nur ein kleines Häuflein in den Kirchenbänken.
Es waren schon 60 oder 70 Gottesdienstbesucher da. Es kommt mir auf jeden Einzelnen an, nicht auf die Menge.
Gibt es die Kirche in fünf Jahren noch?
Ich bin froher Hoffnung. Nicht, weil wir so gut wirtschaften, sondern weil uns die Botschaft von Jesus Christus zusammenführt und es Menschen gibt, die sagen, das ist wichtig für uns.
Kann es neue Formen von Kirche geben? Wie wird sie zukunftsoffen?
Da sind wir dran. Wir werden aber nur dann eine neue Form von Kirche bekommen, wenn wir Leute, die gestalten wollen, mit einbeziehen.
Für die Kirche in neuer Form wurden jetzt zwei Pfarrstellen geschaffen. Gibt es auch schon Ideen?
Es gibt eine Arbeitsgruppe um Pfarrer Heßlein und viele engagierte Gemeindeglieder in der Christus-Luther-Markus-Gemeinde, die sich mit dem Thema beschäftigen und bereits Ideen entwickelt haben, die in der nächsten Zeit umgesetzt werden.
Sie haben sich an der Demo zum Aktionstag für das Klima am 20. September beteiligt. Church for Future? Was kann speziell die Kirche für die Zukunft tun? Oder sind Sie da einfach als Mensch mitgelaufen?
Zunächst einmal als Mensch, weil mir am Herzen liegt, wie wir mit der Umwelt umgehen und dass wir auch in Zukunft gut leben können. Achtung gegenüber Gottes Schöpfung zu entwickeln und entsprechend zu handeln, finde ich auch für die Kirche wichtig. Energie sparen, Energie nachhaltig produzieren und das Ganze möglichst fair und sozial - es ist auch ein Teil meiner Aufgaben hier, zu schauen, wie wir als Evangelische Kirche in Heidelberg dazu beitragen können.
Kann die Kirche etwas gegen die Zukunftsängste der Menschen tun?
Wir dürfen nicht aus Angst den Kopf in den Sand stecken und sagen, wir können sowieso nichts machen. Es scheint mir wichtig, anzufangen und unsere Haltung zu ändern.
Gibt es eigentlich noch genügend Pfarrer? Und glauben die alle noch, was sie verkünden?
Das sind zwei Fragen. In den nächsten Jahren werden viele Pfarrerinnen und Pfarrer aus den geburtenstarken Jahrgängen in Pension gehen. Es dauert ein wenig, bis alle Stellen mit jungen Kolleginnen und Kollegen wiederbesetzt werden können. Aber da bin ich zuversichtlich.
Und glauben die heutigen Pfarrer selbst, was sie sagen?
Das will ich hoffen. Es ist wichtig, dass wir das leben, wofür wir brennen. Aus der Tradition, aus einem Schatz an Büchern, an geistlichem und wissenschaftlich-theologischem Reichtum können wir über den Glauben nachdenken und daraus etwas für unsere Zeit gewinnen.
Während die Christen immer mehr vom Glauben abfallen, sind im Gegensatz dazu die Moscheen in Deutschland meistens voll.
Ich würde am Gottesdienstbesuch nicht die innere Beteiligung festmachen wollen. Wenn Menschen sich nicht angesprochen und einbezogen fühlen, kommen sie nicht in die Kirche. Aber deshalb würde ich niemandem seinen Glauben absprechen. Das Evangelium soll jeder in Freiheit für sich finden. Als Pfarrer in der Kirche zu sitzen und zu warten, ob die Leute kommen, ist auch nicht mein Ding. Ich spreche die Leute an: Wollen wir nicht gemeinsam feiern? Außerdem macht der Gottesdienst nur einen relativ kleinen Teil des Dienstes aus. Pfarrerinnen und Pfarrer sind auch in der Schule, bei den Konfirmanden, in der Klinik, bei Freizeitveranstaltungen, in der Erwachsenenbildung. Ich will als Dekan mit dafür sorgen, dass alle Mitarbeitenden in den Gemeinden und Diensten unserer Kirche gute Arbeit machen können.
Die Evangelische Kirche in Heidelberg wollte ihre Hausaufgaben erledigen, ehe der neue Dekan seinen Dienst antritt. Sie wollte Strukturen so ändern, dass ein Dekan nicht mehr für jeden kleinen Verwaltungsakt zuständig ist, dass die Entscheidungskompetenzen klar verteilt sind und das Controlling über die Ausgaben funktioniert. Ist jetzt alles klar geregelt?
Im Juli wurde eine neue Geschäftsordnung verabschiedet. Sie tritt allerdings erst im März 2020 in Kraft, nach den Kirchenwahlen im Dezember, nach der Konstituierung von Synode und Stadtkirchenrat. Zum Beispiel werden wir eine klarere Aufgabenteilung haben zwischen dem Dekan und der Geschäftsführerin. Die Arbeit soll künftig dort erledigt werden, wo die Fachkenntnis sitzt.
Was die Konzepte für die Gebäude betrifft, gibt es noch Kontroversen in der Altstadt und in Neuenheim. In der Altstadt soll ein Gemeindehaus an der Providenzkirche entstehen. In Neuenheim will die Kirche das üppige Gebäudeangebot nicht mehr finanzieren.
Wir wollen ein Gemeindehaus an Providenz, das ein Schaufenster der Kirche in die Stadt sein soll, eine Einladung auch an die Passanten. Neuenheim war bereits auf dem Weg zu einer Fusion, dann kam die Frage nach der Nutzung der Gemeindehäuser auf und es ging wieder rückwärts. Aber ich glaube, dass eine gemeinsame Richtung möglich ist. In Heidelberg insgesamt kann noch viel entstehen, da haben wir viele Konzepte in der Schublade.
Wo werden Sie die Schwerpunkte Ihrer Arbeit setzen?
Im Moment lerne ich die Evangelische Kirche in Heidelberg kennen. Im Grunde ist es ein Zuhören. Der nächste Schritt ist, zu schauen, wo man etwas verbessern kann. Unsere nächste Pfarrkonferenz mit Pfarrern, auch in der Klinikseelsorge und im Schuldienst, Diakonen, Kantoren, Sozialarbeitern und Jugendreferenten dreht sich darum, wie wir Kirche gemeinsam gestalten. Mir sind der Weg und das Miteinander wichtig. Wenn das stimmt, können wir über Ziele sprechen.
Macht Ihnen die Arbeit Spaß?
Es ist toll. Ich bin nachmittags immer in Gesprächen unterwegs und lasse mir von den Mitarbeitern in den Gemeinden, in der Klinikseelsorge, in der Studierendengemeinde erzählen, was sie tun, was sie begeistert. Ich sehe großartige Arbeit.
Sie haben acht Jahre lang einen Gospelchor geleitet. Wo singen Sie jetzt?
In jedem Gottesdienst. Wo ich bin, singe ich mit.
Info: Am Sonntag, 27. Oktober, 15 Uhr, wird Dekan Christof Ellsiepen in einem Gottesdienst in der Heiliggeistkirche von Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh offiziell in sein Amt eingeführt.