Michaela Schadeck ist Geschäftsführerin der Individualhilfe Heidelberg, die in diesem Jahr ihr 40. Jubiläum hat. Foto: Hentschel
Von Marion Gottlob
Heidelberg. Mut und Zuversicht strahlt Michaela Schadeck aus. Ist das selbstverständlich? Vermutlich nicht. Die Geschäftsführerin der Individualhilfe Heidelberg ist seit ihrer Geburt spastisch gelähmt und auf Hilfe angewiesen: "Ich bin Geschäftsführerin und Kundin der Individualhilfe zugleich." Die Individualhilfe feiert in diesem Jahr ihr 40. Jubiläum. Michaela Schadeck lächelt: "Vielleicht feiern wir digital, aber hoffentlich holen wir unsere große Feier im nächsten Jahr nach."
Die Anfänge der Individualhilfe reichen weiter zurück: Lange hatten schwerstbehinderte Menschen keine Alternative zum Heim. Sie konnten weder selbstständig in einer Wohnung leben noch öffentliche Verkehrsmittel nutzen, arbeiten oder spontan Freunde besuchen. Erst in den 1970er Jahren entstand das Modell zur Betreuung von schwerbehinderten Menschen zu Hause. Als der Träger "Betreuungsverband Zivildienst" aufgelöst wurde, war die Betreuung von fast 20 behinderten Menschen in Heidelberg ungewiss. So gründeten die Betroffenen in einer Selbsthilfe-Bewegung 1981 den Verein "Individualhilfe für Schwerbehinderte". Der Verein war mit dem Paritätischen Bildungswerk viele Jahre Träger der Individualhilfe Ambulanter Dienst gGmbH, inzwischen ist der Verein der alleinige Träger.
In eine Krise geriet die Initiative, als der Zivildienst in seiner Dauer gekürzt und dann abgeschafft wurde. Michaela Schadeck sagt: "Wir vermissen die Zivis immer noch." Doch die Individualhilfe hat die Krise gemeistert. Sie bietet Möglichkeiten für FSJler (Freiwilliges Soziales Jahr) genauso wie für Studierende und Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten möchten. In der Corona-Krise nutzen unter anderem Künstler diese Chance, um zu überleben. "Wir sind systemrelevant", erklärt Schadeck, "unsere Kunden brauchen Hilfe, unabhängig von einer Corona-Krise."
Was bedeutet Individualhilfe konkret? Ein Beispiel ist Michaela Schadeck selbst. Die 52-jährige Rollstuhlfahrerin hat trotz körperlicher Beeinträchtigungen die Regelschule besucht. Schadeck erinnert sich: "Mitschüler haben mich die Treppe hinauf- und hinuntergetragen." Später studierte sie "Soziale Arbeit" an der SRH-Hochschule in Heidelberg und absolvierte nebenberuflich den Master Soziale Arbeit. Schon morgens benötigt sie Hilfe bei der Toilette, beim Duschen, Anziehen und Frühstück: "Wenn das Brot in kleine Stücke geschnitten ist, kann ich selbstständig essen." Aus ihrem Team von sieben Mitarbeitern ist praktisch immer jemand in Rufnähe, fährt das Auto, ist am Arbeitsplatz beim Hochfahren des PCs behilflich und auch in der Freizeit dabei. "Aber ich kann alleine am Computer schreiben und telefonieren", so Schadeck. Dazu kommt, dass sie ihre Aufgabe als Geschäftsführerin mit ihrer Kollegin Stella Vögele teilt.
Die Individualhilfe zählt mehr als 40 Kunden, darunter drei Studierende und fünf Schulkinder. Das Alter liegt zwischen drei und über 70 Jahren. Seit kurzem ist auch ein Kindergarten-Kind dabei. Jeder Kunde ist "wie eine Außenfiliale der Individualhilfe", so Schadeck. Die Betroffenen erstellen für ihr Team von bis zu sieben Mitarbeitern jeden Monat einen Dienstplan, der von der Individualhilfe überprüft wird. Oft benötigen die Kunden Unterstützung rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr.
"Die Mitarbeiter ersetzen unsere Hände und Füße", erklärt Schadeck. Die Begleiter sind beim Kochen, Waschen, Saubermachen, bei der Arbeit, Ausflügen oder im Urlaub dabei. Schadeck berichtet: "Ich brauche Hilfe, wenn ich zu Verhandlungen nach Stuttgart fahre, aber auch wenn ich in Nicht-Corona-Zeiten beim Beschwerde-Chor unter der Leitung von Bernhard Bentgens singe." Schüler wiederum brauchen Unterstützung in der Schule, Studierende an der Universität. "Man geht Hand-in-Hand durch den Tag – immer auf Augenhöhe. Der Kunde ist von dem Helfer abhängig und umgekehrt. Wenn jeder die Grenzen des anderen achtet, dann profitieren alle vom Miteinander."
In den vergangenen 40 Jahren hat sich vieles geändert: Der öffentliche Personenverkehr ist oft (nicht immer) für behinderte Menschen zugänglich. "Dafür haben wir gekämpft", so Schadeck. Die Heidelberger waren behilflich bei der Gründung ähnlicher Einrichtungen in anderen Städten. "Wir sind gut vernetzt." Jetzt muss die Individualhilfe die Corona-Krise wie alle anderen auch meistern. Das bedeutet viel Homeoffice. Auch hier erkennt Michaela Schadeck etwas Gutes: "Wir werden Teile des Homeoffice nach der Krise beibehalten, zum Beispiel für Arbeiten, die eine hohe Konzentration erfordern." Doch sie vermisst das selbstverständliche Miteinander im Büro schmerzlich. "Wir sehnen uns danach, in den Pausen gemeinsam Kaffee zu trinken, selbst gebackene Cantuccini einer Mitarbeiterin zu genießen und zu plaudern, von Angesicht zu Angesicht."