Die RNZ vom 17. März 1980: Der Weg ins Wahllokal war damals noch mit Plakaten von Erhard Eppler und Lothar Späth gesäumt. Heute ist Wahlwerbung so nah an der Urne verboten.
Von Holger Buchwald
Heidelberg. Wahlsonntage sind für Redakteurinnen und Redakteure ganz besondere Arbeitstage. Mit Spannung werden im Internet und am Fernseher die ersten Hochrechnungen verfolgt – und dann geht es raus ins Rathaus zur Wahlpräsentation und zu den Wahlpartys, wo die großen Parteien mit ihren Kandidaten jubeln oder trauern. Wer hat es in den Landtag geschafft? Wer nicht? Zitate werden gesammelt, Stimmen eingefangen. Normalerweise. In diesem Corona-Jahr wird all dies nicht in gewohnter Weise möglich sein. Stattdessen verabreden sich Journalisten und Politiker in Zoom-Konferenzen und am Telefon. Und daher wagen wir heute einen kleinen Streifzug durch die Geschichte – und blicken zurück, wie sich die Wahlberichterstattung und die Ergebnisse in den letzten Jahrzehnten verändert haben.
> Die 1950er Jahre: Die erste Wahl für einen baden-württembergischen Landtag ist älter als das Bundesland selbst und war am 9. März 1952 die Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung. Der ehemalige Oberbürgermeister Carl Neinhaus (CDU), der 1945, damals noch NSDAP-Mitglied, von der amerikanischen Militärregierung abgesetzt worden war, erzielte mehr als 15.000 Stimmen, unterlag aber knapp Karl Ebert (SPD). Während die RNZ nach dieser Wahl nüchtern nur das Ergebnis verkündete, schauten sich die Redakteure in den folgenden Jahren vor allem in den Wahllokalen um. Es war immer auch ein bisschen ein Wetterbericht: "Strömender Regen in den Vormittagsstunden hielt viele Wähler in ihren Wohnungen zurück", schrieb die RNZ nach der zweiten Wahl vom 4. März 1956. Auch hier hießen die Landtagsabgeordneten aus Heidelberg wieder Carl Neinhaus, Karl Ebert und Otto Gönnenwein (FDP/DVP).
> Die 1960er: "Die Schlacht ist geschlagen, könnte man sagen, wenn es wirklich eine Schlacht gewesen wäre. Leider war es ein müder Wahlkampf und Seine Majestät, der Wähler, erschien nur mit 2,1 Prozent über der Hälfte", kritisierten die Berichterstatter am 16. Mai 1960 die niedrige Wahlbeteiligung. "Ein Beispiel und gutes Vorbild aber gab Heidelbergs älteste Einwohnerin, Frau Gertrud Betz, die wir in Anbetracht ihrer 105 Jahre am frühen Nachmittag abholen wollten, um sie zur Wahlurne zu fahren", hieß es weiter: "Wir waren ehrlich erstaunt, als wir hörten, dass sie schon morgens um 9 Uhr gewählt hatte." Vier Jahre später freuten sich die Heidelberger über einen neuen Stadtteil: "Zum ersten Mal hatten auch die Boxbergianer die Gelegenheit zur Wahl." Politisch aufgeladen war die Stimmung dann am 28. April 1968: Mit der NPD erreichte erstmals eine rechtsextreme Partei nach dem Zweiten Weltkrieg in Heidelberg ein zweistelliges Ergebnis. "Das starke Anwachsen der NPD gerade in Heidelberg über dem Landesdurchschnitt, kann nur als Reaktion zahlreicher Bürger auf die vom SDS gelenkten Unruhen innerhalb der Studentenschaft zurückgeführt werden", gab der direkt gewählte Landtagsabgeordnete Wilhelm Hahn (CDU), der zugleich Kultusminister war, am Tag nach der Wahl seine Sichtweise zu Protokoll.
> Die 1970er: "Der heißeste Wahlkampf, der je in Baden-Württemberg seit 1952 geführt worden ist, hat auch in Heidelberg die Wähler mobilisiert", analysierte die RNZ am 24. April 1972: 73,5 Prozent der insgesamt 90.211 Wahlberechtigten gingen zur Wahlurne. Ein Rekord. "Der bisher längste und aufwendigste Wahlkampf war vor allem von der Ostpolitik geprägt", hieß es. Nach der Eingemeindung von Ziegelhausen erhielt die CDU vier Jahre später das einzige Mal in der Geschichte Heidelbergs mehr als 50 Prozent.
> Die 1980er: Am 17. März 1980 steht fest, dass die Grünen zum ersten Mal in den Landtag einziehen. Der direkt gewählte Karl Weber (CDU) befand: "Bei dem Wahlergebnis für die ,Grünen’ ist es offensichtlich, dass frühere DKP- und KBW-Anhänger nahezu geschlossen ,grün‘ gewählt haben." Nach Holger Heimann schafft es auch vier Jahre später ein zweiter Heidelberger Grüner in den Landtag: Andreas von Bernstorff. Und 1988 setzt sich der Siegeszug der neuen Umweltpartei fort: "Gewinner der Landtagswahl 1988 im Wahlkreis Heidelberg-Stadt sind wieder einmal, gemessen am Stimmenzuwachs, die Grünen. Die Partei und ihr Kandidat Reinhard Bütikofer haben in der Universitätsstadt erneut zugelegt."
> Die 1990er: 1992 gelingt Brigitte Unger-Soyka (SPD) die Überraschung. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten nimmt sie der CDU das Direktmandat ab, Karl A. Lamers unterliegt. Für Entsetzen sorgt aber das gute Abschneiden der rechtsextremen Republikaner: "Bei der ersten Hochrechnung wurde Oberbürgermeisterin Beate Weber blass im Gesicht, um kurz nach halb acht konnte sie dann doch ,hocherfreut’ ihrer Parteifreundin zum Sieg gratulieren. Im RNZ-Interview zeigte sich OB Weber anschließend unzufrieden über das Abschneiden der Republikaner." 1996 stürzten dann Webers Sozialdemokraten das erste Mal seit 1968 unter die 30 Prozent-Marke. "Die zweite Überraschung dieser Wahl in Heidelberg ist der Stimmenzuwachs, den die Bündnisgrünen und mit ihnen der Kandidat Dietrich Hildebrandt für sich verbuchen können", schreibt die RNZ.
> Die 2000er: Die Berichterstattung in der Stadtredaktion wird moderner. 2001 gab es erstmals eine Reportage von der Wahlpräsentation im Rathaus: "Wer hat denn diesen Krimi hier geschrieben?", stöhnt der SPD-Bundestagsabgeordnete Lothar Binding am 25. März um 18.50 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt liegt Claus Wichmann (SPD) noch hauchdünn in Führung vor dem späteren Direktmandatsgewinner Werner Pfisterer (CDU). Ein viel traurigeres Bild gab Wichmann dann vier Jahre später ab, als er alleine im Ebert-Haus das sich anbahnende Wahldebakel verfolgte. Zeitgleich feierte Pfisterer im gleichnamigen Spanferkelhof. Und auch Theresia Bauer, die es zum zweiten Mal in den Landtag schaffte, "feierte bis in die Puppen".
> Die 2010er: Die Übermacht der Grünen erdrückt die anderen Parteien. Seit 2011 ist Heidelberg im Landtag nur noch mit Theresia Bauer vertreten. "Was für ein Tag: Im völlig überfüllten ,Kulturfenster’ brandet bei den Grünen immer wieder Beifall auf, rhythmisches Klatschen beherrscht die Szene", heißt es in der RNZ, als Bauer 36,7 Prozent holt. Zwar toppte sie dieses Ergebnis fünf Jahre später noch einmal. Doch die Freude am 13. März 2016 wurde auch getrübt: "Was sich von diesem denkwürdigen Wahlabend einprägen wird: Dass es die AfD in einer liberalen und weltoffenen Stadt wie Heidelberg geschafft hat, zweistellig zu werden."