Rund 50 Menschen demonstrierten am Sonntag auf dem Karlsplatz gegen den türkischen Präsidenten Erdogan. Foto: Rothe
Von Julia Schulte
Heidelberg. Seit Jahresbeginn protestieren in Istanbul Studierende und Absolventen der Bogaziçi-Universität täglich gegen die Ernennung des neuen Universitätsrektors Melih Bulu durch Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Am Sonntag erreichte dieser Protest Heidelberg: Etwa 50 Demonstranten kamen auf dem Karlsplatz zusammen, um für akademische Freiheit und gegen politische Einmischung in das Hochschulwesen zu protestieren. Auf den Plakaten standen auf Türkisch Slogans wie "Die Wissenschaft beugt sich nicht" oder "Wir wollen keine Zwangsverwaltung".
Hintergrund des Protests: Bislang wurde der Uni-Rektor stets von Fakultätsmitgliedern gewählt, doch per Gesetzesänderung nahm Erdogan sich 2017 das Recht, Rektoren selbst einzusetzen – und machte davon vor sechs Wochen auch an der international renommierten Bogaziçi-Universität Gebrauch. Mit Bulu ernannte er ein Mitglied seiner Partei, der AKP, das wenig akademische Qualifikation mitbringt.
"Wissenschaft geht nicht ohne Freiheit", sagte einer der Organisatorinnen, Asli Kayserili. Die Molekularbiologin hat an der Istanbuler Uni studiert und arbeitet inzwischen am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Die Einmischung Erdogans ist für sie ein "Angriff auf die akademische Freiheit". Mit der Demo will Kayserili ihre Solidarität mit den Protestierenden in der Türkei ausdrücken – und eine Botschaft senden: "Wir sind überall!" Proteste gegen Erdogans Einmischung gibt es seit Wochen weltweit.
Zeynep Arikan Yilmaz ist eigens aus Mainz angereist, um mit zu demonstrieren. Sie hatte 2016 die Petition "Akademiker für Frieden" unterschrieben und kam aus Angst vor Verfolgung nach Deutschland, wo sie heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitet.
Auch der Physikprofessor Selim Jochim ist dabei: Die Bogaziçi-Uni und die Uni Heidelberg hätten viel gemeinsam, sagt er, allem voran den "freien Geist". Die Protestaktion zeige das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Absolventen. Auch Berkay Özdin studierte einst an der Bogaziçi. Von Freunden vor Ort hat er gehört, wie sich die Atmosphäre auf dem Campus geändert habe: "Jetzt ist jeden Tag Polizei dort." Früher sei dies undenkbar gewesen. Auch Cihan Cicek schwärmt vom früheren Uni-Leben, das ganz besonders gewesen sei. "Alle Menschen waren willkommen", es habe im Vergleich zu anderen keine Spaltung und Polarisierung gegeben. Dies sei mit dem neuen Rektor vorbei.
Auf dem Karlsplatz sind auch viele Regenbogenflaggen zu sehen. Auf Anweisung von Melih Bulu habe der LGBT-Studentenclub schließen müssen, erklärte Kayserili. Ihr Plakat mit der Aufschrift "LGBTIQ gibt es sehr wohl!" beziehe sich auf einen Tweet der AKP, in dem es hieß, Menschen, die LGBT (Lesbisch, schwul, bisexuell, transgender) seien, gebe es nicht.
Auch Felix Diener von der Heidelberger Hochschulgruppe "Die Linke.SDS" ist gekommen, um seine Solidarität mit den Studierenden und der LGBT-Bewegung auszudrücken. Das Vorgehen in der Türkei bezeichnet der Lehramtsstudent als "Entmündigung" und "eine der massivsten Einmischungen in Hochschulangelegenheiten". Er unterstütze die Forderungen der Protestierenden – darunter die Freilassung der bei den Protesten festgenommenen Studenten, der Rücktritt des Rektors und der Rückzug der Polizei vom Campus.