Symbolfoto: Angelika Warmuth/dpa
Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Es ist Freitag, der 23. Oktober, als Heidelberg zum Risikogebiet wird: An diesem Tag schnellt die Sieben-Tage-Inzidenz in der Stadt auf über 60. Und es ist auch der Tag, an dem das Seniorenheim Agaplesion Maria von Graimberg in Rohrbach einen Corona-Ausbruch meldet: 13 Bewohner der Wohngruppe "Rohrbach Markt" haben sich mit dem Virus infiziert.
Monatelang war Heidelberg zuvor von Ausbrüchen in Seniorenheimen verschont geblieben. Im April hatten sich zwölf Bewohner und zwei Mitarbeiter im Agaplesion Bethanien Lindenhof – ebenfalls in Rohrbach – infiziert. Sie alle überstanden die Infektion. Im Maria von Graimberg steckten sich insgesamt 31 Personen an, davon 22 Bewohner und neun Mitarbeiter. Drei Bewohner starben, zwei liegen noch im Krankenhaus. Mittlerweile gelten nur noch neun Personen – sechs Bewohner und zwei Mitarbeiter – als infiziert. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Heidelberg liegt heute bei knapp 130.
Anders als in der ersten Hochphase der Corona-Pandemie sind die Altenheime heute nicht mehr komplett abgeriegelt. Die Bewohner dürfen Besuch empfangen – auch auf ihren Zimmern. Mobile Senioren können in die Stadt gehen, Freunde und Verwandte besuchen. Das alles birgt Risiken, wie der Fall des Agaplesion Maria von Graimberg zeigt. Die RNZ hat mit der Leitung des Heimes über die schwierige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit der Bewohner gesprochen.
Kurz nachdem im Heim die 13 ersten positiven Tests vorliegen, zeigt sich, dass auch andere Bewohner des Wohnbereichs "Rohrbach Markt" sich infiziert haben – genauso wie acht Mitarbeiter. Und wenige Tage später treten auch noch in zwei weiteren Wohnbereichen Corona-Fälle auf: In einem werden ein Mitarbeiter und ein Bewohner positiv getestet, im anderen zwei Bewohner. Die Wohngruppen werden sofort unter Quarantäne gestellt, Besuche sind verboten, die Senioren werden auf ihren Zimmern versorgt. Das Heim steht in ständigem Kontakt mit dem Gesundheitsamt, in den Krisenstäben wird die Lage täglich bewertet.
Bei wem sich die Bewohner angesteckt haben, ist nicht klar. Sie sind viel freier als noch im Frühjahr. Man wolle trotzdem nicht zurück zu den Maßnahmen im März, als die Angehörigen gar nicht mehr reingelassen wurden, erklärt Michael Thomas im Gespräch mit der RNZ. Er ist Geschäftsführer der sechs Agaplesion-Heime im Rhein-Neckar-Raum. Auf der einen Seite gehe es um den Schutz der Bewohner, auf der anderen aber auch um deren Selbstbestimmung. "Das ist ein Riesenspagat", so Thomas.
Dieser Spagat sei eine tägliche Herausforderung, sagt auch Annemarie Stroh, stellvertretende Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin von Agaplesion. Denn: "Eines der größten Risiken ist der Besucher." Für die gibt es viele Vorschriften: Sie müssen Kontaktdaten und Zeitpunkt des Besuchs vermerken. Seitdem die Zahlen wieder steigen, würde auch regelmäßig am Eingang Fieber gemessen. Sie müssen einen Mund-Nasen-Schutz tragen und Abstand halten.
Doch es gibt Ausnahmen: Wenn der Ehepartner oder ein naher Verwandter zu Besuch kommen, gilt die Abstandsregel nicht. So steht es in der Corona-Verordnung des Landes. Ob im Zimmer die ganze Zeit Maske getragen wird, weiß die Heimleitung auch nicht. "Da haben wir keine Kontrolle", erklärt Stroh. Die wolle man auch nicht, weil es zu sehr in die Privatsphäre eingreifen würde. Und die Bewohner, die selbst draußen unterwegs sind und andere Menschen treffen, könne man auch nicht kontrollieren.
Auch bei den Mitarbeitern besteht trotz Maske ein Restrisiko. "Das ist nicht zu unterschätzen", so Stroh. So könnten sich in der Freizeit auch Mitarbeiter zweier Wohnbereiche treffen, die miteinander befreundet sind – obwohl sie sich auf der Arbeit nicht begegnen dürfen, damit das Virus nicht von einer auf die andere Gruppe überspringt. "Aber wir haben keinen totalen Lockdown", so Stroh. Es könne den Mitarbeitern also auch nicht verboten werden, jemanden zu sehen. Für sie wie für die Bewohner gelte: "Es wird niemand eingesperrt", so Stroh.
"Wir testen, testen, testen", sagt Heimleiter Wolfgang Merkel der RNZ. Doch mittlerweile müssten sie lange auf die Ergebnisse warten. "Das ist für uns ein Horror. Wir sind da sehr unglücklich drüber", so Merkel. Er habe inzwischen das Gefühl, die Ergebnisse vom Hausarzt seien schneller da als die von den Testzentren. Auch Geschäftsführer Thomas setzt die Situation zu. "In so einer Ausbruchssituation gibt es kein Wochenende", sagt er. Als die Todesfälle bekannt wurden, erklärte der Geschäftsführer: "Wir sind tief betroffen und wissen um den schmerzlichen Verlust."