Ulrike Duchrow setzt sich seit Jahrzehnten für Flüchtlinge ein. Nun hat sie wichtige Schritte der hiesigen Asylarbeit zusammengetragen. „Die Motivation, sich für Flüchtlinge zu engagieren, ist humanitär und karitativ“, sagt sie. Foto: Hentschel
Von Marion Gottlob
Heidelberg. Wenn man sich nur für einen Augenblick vorstellt, selbst fliehen zu müssen – dann wäre man froh, in der Not Hilfe beim Heidelberger Asylarbeitskreis (AK) zu finden. Seit 40 Jahren engagieren sich in Heidelberg Menschen ehrenamtlich für Flüchtlinge. Ulrike Duchrow hat für das "Heidelberg Jahrbuch zur Geschichte der Stadt" Fakten der Asylarbeit recherchiert und einen Aufsatz geschrieben. Sie sagt: "Ich habe die Corona-Isolation genutzt."
Zur Flüchtlingsarbeit fand Duchrow durch die Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Mit ihrer Familie stellte sie in den 1990er-Jahren Flüchtlingen eine Unterkunft bereit. Auf ihre Anregung hin wurde es 2009 Flüchtlingen möglich, schon während des Asylverfahrens zu studieren. Davon, sagt sie, hätten damals vor allem Syrer profitiert, die bereits in ihrer Heimat ein Studium begonnen hatten. "Die Motivation, sich für Flüchtlinge zu engagieren, ist humanitär und karitativ. Hilfe geschieht meist unauffällig. Doch wo Einzelne handeln, trägt das zur Mitmenschlichkeit in einer Stadt bei", sagt Duchrow.
Vor 40 Jahren startete das Engagement bei Amnesty International. Durch Verfolgungen im Iran, in Äthiopien und in der Türkei stieg die Zahl der Asylbewerber. 1980 appellierte der Anwalt Berthold Münch an die Stadt, einen Flüchtling vor Abschiebung zu bewahren. Ein vergeblicher Aufruf. "Heftige Emotionen löste das ,Heidelberger Manifest’ aus, das rassistische Grundsätze vertrat", so Duchrow. Bei der Podiumsdiskussion "Asylrecht in Gefahr" mit Berthold Münch und Pfarrer Wolfgang Weber hieß es: "Flüchtlinge sind in Gefahr – nicht gefährlich."
In den folgenden Jahren boten verschiedene Gruppen ehrenamtlich Sprachkurse und soziale Betreuung an. 1986 engagierte sich die Amnesty-Asyl-Gruppe für zwei Eritreer, die aus Heidelberg abgeschoben werden sollten. Im folgenden Jahr entstand der "Asylarbeitskreis Humanes Exil", der eng mit Amnesty International zusammenarbeitete. 1991 kam es zur Krise: Ein Mitarbeiter verschuldete den Arbeitskreis wohl aufgrund mangelnder interner Kontrolle. Doch es gelang, finanzielle Probleme zu lösen, auch dank Spenden.
Gleichzeitig stieg aufgrund des Krieges im ehemaligen Jugoslawien die Zahl der Flüchtlinge. Mitglieder von "Humanes Asyl" gründeten 1991 einen eingetragenen Verein. Die Stadt brachte Migranten dezentral unter, beispielsweise im Oftersheimer Weg. Der offene Brief "Es sind Menschen wie du und ich" bat um Mitgefühl, als es Proteste gegen eine Unterkunft in der Blumenthalstraße gab. Mehrfach wurde Kirchenasyl gewährt, auch einem jungen Kurden, der in der Türkei inhaftiert und gefoltert worden war, da er die Trauerfeier eines ermordeten Rechtsanwalts besuchte. 9000 Unterschriften wurden für den Flüchtling gesammelt – und er durfte bleiben.
Manche Heidelberger Ideen fanden bundesweit ein Echo: Dazu gehörte die Aktion "Gegessen wie Asylbewerber", bei der 58 Testesser eine Woche lang von Lebensmittelpaketen der Asylbewerber lebten, um gegen diese Abschreckungsmaßnahme zu protestieren. Ebenso wurde das Schicksal der 16-jährigen Neshe diskutiert. Die Schwester eines kurdischen Oppositionellen wurde in die Türkei abgeschoben, obwohl sie zur Schule ging und einen Ausbildungsplatz hatte.
Mit Oberbürgermeisterin Beate Weber entstanden im Jahr 2000 wichtige "Leitlinien zur Betreuung ausländischer Flüchtlinge". Ein Jahr später gab es zwischen Asyl-AK und der Stadt einen Kooperationsvertrag. Die Arbeit des Asyl-AKs wurde mit dem Friedenspreis der Stiftung Heidelberger Friedenskreuz ausgezeichnet. 2019 wurde ein Projekt der Hotelfachschule zur Ausbildung von Flüchtlingen mit dem Integrationspreis des Landes gewürdigt. Sogar drei Gemeinderatsbeschlüsse zu europaweiten Flüchtlingsaktionen bewirkte man. "Für uns ist Zusammenarbeit wichtig", so Duchrow, "das wirkt in die Zukunft." Ihr Essay wird im November erscheinen.