Dr. Michael Hadulla ließ der RNZ eine Erwiderung auf Grams’ Thesen zukommen. Foto: privat
RNZ. Das Interview mit Natalie Grams "Homöopathie hat keine arzneiliche Wirkung" führte zu lebhaften Diskussionen - sei es am Telefon der Stadtredaktion, in Leserbriefen oder als Kommentare auf der RNZ-Internetseite. Dr. Michael Hadulla ließ der RNZ eine Erwiderung auf Grams’ Thesen zukommen. Hadulla führt seit 25 Jahren eine kinderärztliche und homöopathische Praxis in der Altstadt und schrieb Bücher zu dem Thema. Er sagt über sich: "Als ehemaliger überzeugter Schulmediziner - von der Universitätskinderklinik Heidelberg kommend - habe ich den gegenteiligen Weg wie die geschätzte Kollegin Natalie Grams beschritten." Hadulla schreibt im Einzelnen:
"1. Der Einwand einer Placebo-Therapie stimmt und stimmt doch nicht. Wir wissen, dass sogar bei einem streng schulmedizinischen Design Placebo- und sogar nur Nocebo-Effekte auftreten. Hierzu gibt es eine umfangreiche methodenkritische Diskussion.
2. Annahme und Denkmodelle von vor über 200 Jahren müssen nicht per se schlecht sein: Lesen wir hierzu die Politeia von Platon oder die Erkenntnisse eines Avicenna zur Psychosomatik, die hochmodern anmuten. Ganz im Gegenteil: Eine so lang sich bewährt habende Methode - quasi über die Moden des Zeitgeistes erhaben - trägt in sich ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und Evidenz: nach der ursprünglich lateinischen Übersetzung (= unmittelbar ersichtlich). Dieser Begriff der Evidenz ist nicht zu verwechseln mit dem modernen Anglizismus einer evidence based medicine.
3. Die Verfasserin hat recht: Eine umschriebene wissenschaftliche Theorie für die Homöopathie und insbesondere für die Hochpotenzen im Sinne der Naturwissenschaften gibt es bis heute nicht. Aber sie besteht auch nicht für die psychosomatische Medizin und/oder Psychotherapie, die die Kollegin in Zukunft ausüben möchte.
4. Auch streng wissenschaftliche Studien zur Homöopathie - auch hier hat die Kollegin wieder Recht - liegen nicht vor, aber sehr gut dokumentierte und repertorisierte Einzelfallstudien in hoher Zahl und Qualität.
5. Die Homöopathie hat ihre Möglichkeiten und Grenzen. Insbesondere auf diese Grenzen weisen wir als verantwortliche Fachärzte in unseren Supervisionen und Publikationen immer wieder hin. Aber auch die Schulmedizin - diesen Begriff betone ich mit aller Hochachtung - und die Psychotherapie tragen in sich Möglichkeiten und Grenzen.
6. Wir als Homöopathen brauchen uns wahrlich nicht zu verstecken angesichts der Meldung: Die dritthäufigste Todesursache in den USA sind die verordneten Medikamente der Ärzte (Lancet 2006). Auch müssen wir uns nicht in Opposition zur Psychotherapie stellen: Ebnen doch homöopathische Kummermittel wie Ignatia und Natrium Muriaticum, homöopathische Kränkungsmittel wie Staphisagria, Schreck- und Angstmittel wie Aconitum und Opium auf unschätzbare Weise den Weg einer lebensgeschichtlichen Deutung und/oder flankieren eine Psychotherapie.
7. Wenn man die Sprachlosigkeit und Anonymisierung unserer heutigen Universitätsbetriebe erlebt und erlitten hat, wird man die Homöopathie als kostbare Bereicherung schätzen."