Von Ingrid Thoms-Hoffmann
So muss es sein: Die Kandidaten rollen die Augen, unterbrechen sich, korrigieren sich gegenseitig, stöhnen auf, sparen nicht mit Sticheleien, und manchmal geht's auch unter die Gürtellinie (muss nicht sein). Was die rund 250 Zuhörer, darunter viele junge Leute, am Mittwochabend im Alten Theatersaal erlebten, hätte jeder Fernsehdebatte Ehre gemacht. Der kleine, aber bedeutende Unterschied: Die Bundestagskandidaten des Wahlkreises Heidelberg/Weinheim kamen angemessen zu Wort. Eingeladen hatte die Rhein-Neckar-Zeitung die fünf Vertreter der im Bundestag vertretenen Parteien. Und es war die einzige Veranstaltung während des Wahlkampfes, an dem alle an einem Tisch saßen, wie Moderator Klaus Welzel eingangs nicht ohne Stolz betonte.
Der RNZ-Chefredakteur war es auch, der bei seiner kurzen Vorstellungs- und ersten Fragerunde gleich für gute Stimmung sorgte. Die sollte auch während des ganzen, äußerst unterhaltsamen Abends anhalten, auch wenn es hie und da Buh-Rufe für die Politiker gab. Karl A. Lamers (CDU), Lothar Binding (SPD), Dirk Niebel (FDP), Franziska Brantner (Grüne) und Sahra Mirow (Linke) gaben Antworten auf Fragen, welche Leser im Vorfeld an die RNZ geschickt hatten. Und die reichten von Konversion über Steuern bis Europapolitik, Energiewende oder Mütterrenten. Bei aller Unterschiedlichkeit in den Aussagen einte die Profis auf dem Podium eines: Das Beantworten von konkreten Fragen ist ihre Sache nicht. Sie wollen die Botschaften ihrer Parteien unters Volk bringen.
Karl A. Lamers (62): Der Jurist, seit 1994 im Bundestag, wirkte an diesem Abend ziemlich nervös. Kein Wunder, muss er doch das Direktmandat holen, um wieder in Berlin vertreten zu sein. Punkten konnte der CDU-Politiker mit der "klaren Zusage" der Umsetzung der Mütterrente (da war er der einzige). Und auch, als er zugab, in Sachen Energiewende "dazugelernt" zu haben. Er prangerte die "unsägliche Steuererhöhungsorgie" seiner politischen Gegner an, die vor allem den Mittelstand und die Mittelschicht erreichten, und sprach vom "Verlust von 100 000 Arbeitsplätzen". Dafür bekam er Applaus wie auch Gegenwind.
Lothar Binding (63): Seit 1998 sitzt der Elektriker und Mathematiker im Bundestag, im Theatersaal war der SPD-Mann in Hochform und erwies sich durchaus als Unterhaltungstalent. Sätze wie "Wenn jemand richtig viel Geld hat, dann kann er doch 0,2 Prozent davon abgeben", kamen bestens an. Ein Großteil des Publikums war offenbar mit ihm einer Meinung, dass Deutschland an der "Krise der armen Länder auch noch verdient". Applaus für den Kandidaten. Auch wenn seine Wortwahl nicht immer ganz lupenrein war.
Dirk Niebel (50): Der Entwicklungsminister schaffte es innerhalb kürzester Zeit, die meisten Zuhörer gegen sich aufzubringen. Offenbar steckt in ihm immer noch der FDP-Generalsekretär, der mit seinen Kontrahenten nicht immer pfleglich umgeht. Aussagen wie "Das eigentliche Umweltministerium, das bin ich", provozierten. Dabei hatte er gute Gründe zu erklären, weshalb es keine Gelder für Ecuadors Nationalpark Yasuní gibt. Für Niebel - seit 1998 im Bundestag - und seine Partei geht es am Sonntag ums politische Überleben.
Franziska Brantner (34): Die grüne Europa-Abgeordnete will die Nachfolge von Fritz Kuhn antreten. Die ehemalige Lebensgefährtin von Boris Palmer kam sympathisch rüber. Beifall selbst für die Steuererhöhung ihrer Partei und auch für ihr Plädoyer, das Ehegattensplitting abzuschaffen, schließlich wolle man "Kinder fördern und nicht den Trauschein".
Sahra Mirow (29): Die Sinologin machte ihre Sache für die "Linke" gut. Sie hatte es mit vier Profis auf dem Podium zu tun. Da darf sie auch ein bisschen aufgeregt und nassforsch sein. Das Programm ihrer Partei kannte sie bestens. Sprach von einer "unglaublichen Altersarmut", der mit einer "menschenwürdigen Rente" entgegengesteuert werden müsse.
Das Publikum: Kompliment! Außer einem Krakeeler und ein paar Zwischenrufen verfolgte es den zweieinhalbstündigen politischen Schlagabtausch höchst interessiert. Und mit Beifall für die einzelnen Aussagen aller Teilnehmer geizte es auch nicht.