"MetropolInk-Festival"

Wie Kunst das Gesicht einer Stadt verändert (plus Fotogalerie)

Das Künstlerduo "Quintessenz" eröffnet das Festival für urbane Kunst "Metropolink" - Es kombiniert auf dem Bismarckplatz Design und Graffiti

23.06.2017 UPDATE: 24.06.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 33 Sekunden

"Ich wache jeden Morgen mit einer verrückten Idee auf", sagt Tomislav Topic (l.). Mit ihrer Design-Agentur verdienten sie Geld, um im Sommer "Street Art" zu machen, berichtet Thomas Granseuer. Gemeinsam haben sie eine Skulptur im Bismarckpark gestaltet. Foto: Philipp Rothe

Von Alexander R. Wenisch

Heidelberg. Sie haben zwei Kilometer Holz verarbeitet, 280 Dosen Farbe und 4000 Schrauben. Die bunte Holzskulptur des Künstlerduos "Quintessenz" hat bereits in den vergangenen Tagen die Blicke der Passanten auf sich gezogen. Wie ein gebrochener Regenbogen bildete das Kunstwerk einen spannenden Kontrast zu den schattigen Bäumen des Bismarckparks. Es ist das erste "Ausstellungsstück" der aktuell dritten Auflage des Festivals für urbane Kunst "Metropolink". Elf Hauswände und einige Trafohäuschen werden in den kommenden Wochen in Stadt und Region bemalt.

Hinter "Quintessenz" stecken zwei studierte Künstler: Thomas Granseuer (35) und Tomislav Topic (32). Wie fast alle "Street Art"-Protagonisten kommen die beiden aus der Graffiti-Szene, haben als Jugendliche illegal gesprayt. Dann aber ihr Faible für "Schrift, Formen und Design", wie Granseuer sagt, auf ordentliche Beine gestellt: Während des Grafik-Studiums an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim haben sie sich kennengelernt. Seit 2008 arbeiten sie zusammen.

Und das nicht nur als "Street-Art"-Künstler wie nun in Heidelberg, sondern auch in den Bereichen Film, Installation und Malerei. Sie betreiben - auch unter dem Namen "Quintessenz" - ein gemeinsames Grafikstudio in Berlin und Hannover, mit dem sie Design-Aufträge von Firmen annehmen oder für Industrie-Werbung Kunstevents gestalten, beispielsweise für die Kleidermarke Converse. Von einer New Yorker Foto-Agentur wurde "Quintessenz" kürzlich als "eines von zehn wegweisenden Kreativstudios" gekürt.

Kunst und Kommerz - geht das zusammen? Topic sieht für sich sogar Vorteile. "Für die Industrieaufträge kommt es darauf an, effektiv und zielorientiert zu arbeiten." Das helfe ihm bei der Planung der eigenen Kunstprojekte. Und Ideen wiederum, die sich für kommerzielle Kunden nicht verwirklichen ließen, könne er in eigene "Street Art"-Projekte einbringen. "Ich wache jeden Morgen mit einer verrückten Idee auf", sagt Topic. Und Granseuer ergänzt zu ihrem Geschäftsmodell: "Wir machen Design für die Kunst." Im Studio verdienen sie das Geld, das ihnen den Freiraum gibt, die Frühlings- und Sommermonate auf "Street Art"-Festivals zu verbringen.

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Und das Duo kommt herum. Im Dezember waren die beiden in Port Louis auf Mauritius und haben den 30 Meter hohen Turm eines Wohnhauses mit einem abstrakten Design versehen. "Die Einheimischen sagen, das sei die höchste Fassade im Indischen Ozean", schmunzelt Topic. Nach ihrer Aktion in Heidelberg werden "Quintessenz" in der Schweiz und in Südfrankreich arbeiten.

"Wir mögen es, draußen zu arbeiten", erzählt Granseuer. Weil sie so direkt "in Kontakt mit den Leuten" kommen. Das Publikum im Bismarckpark sei vor allem nach 22 Uhr "sehr spannend", sagen die beiden: Studenten, Nachtschwärmer, Anwohner, Theatergänger. Und der Obdachlose, der im Schatten eines Baumes ein Nickerchen hält, während Topic und Granseuer hämmern, schrauben, sägen und sprühen, der sei mittlerweile "ein guter Freund". Aber natürlich würden ihnen Passanten schon auch mal zurufen, was "der Scheiß" jetzt soll, erzählt Topic - und man merkt, dass es ihm gefällt, wenn seine Kunst Widerspruch auslöst.

Bürger in Kontakt mit Kunst bringen - das gefällt auch Oberbürgermeister Eckart Würzner, Schirmherr von Metropolink. Die Stadt unterstützt das Festival mit 21.000 Euro. Würzner findet es spannend, wenn "Street Art" das Gesicht der Stadt verändert. Und Kulturbürgermeister Joachim Gerner sagt: "Die junge Generation hat das Recht, den öffentlichen Raum mit ihrer Kunst umzugestalten."

Die Künstler indes bekommen eine kleine Aufwandsentschädigung, keine echte Gage. Und Festival-Macher Pascal Baumgärtner hat einige Sponsoren aus der Region an der Hand, die mit Catering, Material oder Hebebühnen unterstützen. Trotzdem müsse er immer wieder Missverständnisse klären. "Manche sagen: ,Stell doch einen Hut auf, die Passanten sollen was reinwerfen’." Dabei ist es Baumgärtner gelungen, namhafte Sprayer aus der "Street Art"-Szene an den Neckar zu holen.

Im vergangenen Jahr war das Duo Herakut aktiv. Jetzt kommen Zest aus Montpellier und Markus Genesius alias Wow123. Während der Malaktionen kann man den Künstlern über die Schulter schauen, und jede der elf Wände wird mit einer eigenen Vernissage-Party eröffnet. Die erste schon am heutigen Samstagabend (19 Uhr) am ehemaligen Bordell in der Bahnstadt - gestaltet vom in Heidelberg lebenden Sprayer Limow.