Masterplan Neuenheimer Feld

Bergheim verliert, Wieblingen gewinnt

Die angrenzende Stadtteile durften sich zu den Verkehrskonzepten für das Neuenheimer Feld äußern. Handschuhsheim sieht Chancen, Neuenheim macht sich Sorgen.

06.10.2021 UPDATE: 07.10.2021 06:00 Uhr 4 Minuten, 2 Sekunden
So stellt sich Kerstin Höger die Zukunft des Campus Neuenheimer Feld aus der Vogelperspektive vor. Die Ernst-Walz-Brücke bleibt das Nadelöhr für Busse, Bahnen und Autos. Höger sieht aber auch neben der neuen Radbrücke am Wehrsteg eine Fünfte Neckarquerung in Holzbauweise für Radler und Fußgänger vor (unterer linker Bildrand). Visualisierung: Höger

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Jetzt haben die Stadtteile das Wort: Was halten die Vertreter von Handschuhsheim, Neuenheim, Bergheim und Wieblingen von den Verkehrslösungen, die die Planungsteams von Astoc und Kerstin Höger in ihren Entwürfen für einen Masterplan Neuenheimer Feld vorschlagen? Darum ging es am Dienstagabend im voll besetzten Dezernat 16. Die vorgeschlagenen Konzepte stießen dabei auf ein geteiltes Echo: Während die Wieblinger begrüßen, dass eine Fünfte Neckarquerung über den Altneckar weitgehend vom Tisch ist und die Handschuhsheimer froh sind, dass der befürchtete Nordzubringer von der Autobahnabfahrt Dossenheim durch das Handschuhsheimer Feld wohl nicht kommen wird, sorgen sich die Neuenheimer und die Bergheimer, dass sie weiterhin im Stau ersticken. Die Einschätzungen der Stadtteilvereine im Überblick:

Welche Grundannahmen bilden die Basis für die Verkehrskonzepte? Die Stadt rechnet mit einer Zunahme der Bevölkerung in der gesamten Region um sechs Prozent bis 2050, in Heidelberg gar um 20 Prozent. Im Betrachtungszeitraum könnten im Neuenheimer Feld 12.300 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen und der Verkehr insgesamt um 35 Prozent zunehmen. Vor diesem Hintergrund forderten die Projektträger von Stadt, Land und Universität, dass im Campus auch in Zukunft 7100 Autostellplätze vorgehalten werden, die Parkgebühren sollten nur um den Inflationsausgleich steigen. Zehn unterschiedliche Verkehrsvarianten wurden von den Gutachterbüros IVAS und VCDB modelliert und berechnet, sowohl Astoc als auch Höger wählten dieselbe Variante mit leichten Unterschieden (siehe Artikel unten).

Was sagen die Bergheimer zu den Konzepten? Jo-Hannes Bauer gab für den Stadtteilverein das Statement ab. Für ihn sind die vorgeschlagenen Verkehrslösungen eine "verpasste Chance". "Ich sehe keine Vorschläge, die Bergheim in irgendeiner Weise entlasten." Der komplette Autoverkehr werde nach wie vor über die Ernst-Walz-Brücke geführt. Indem die Parkgebühren kaum erhöht werden sollen, würden Autofahrer nicht abgeschreckt. Hinzu komme, dass wegen der fehlenden Fünften Neckarquerung noch mehr Busse und Straßenbahnen durch Bergheim fahren müssten.

"Die Haltestelle Betriebshof", so Bauer, "wird dadurch noch stärker belastet". Für Bergheim sei dies eine schlechte Nachricht. Noch häufiger als sonst werde die Kreuzung Mittermaier / Bergheimer Straße von Bahnen blockiert. Der Stau werde dadurch in diesem Bereich noch schlimmer als heute. "Für uns ist das alles eine deutliche Verschlechterung", so Bauers Fazit. Ähnlich sehen das auch Michael Braum, Direktor der Internationalen Bauausstellung (IBA), und Felix Berschin, Vorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland Heidelberg (VCD). Bergheim bleibe so der "Verkehrsmülleimer" Heidelbergs, so Berschin.

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Die Kreuzung Mittermaier-  / Bergheimer Straße könnte noch stärker belastet werden, als sie es heute schon ist, fürchtet der Stadtteilverein Bergheim. Foto: Philipp Rothe

Stefan Stockmann vom Stadtteilverein Bergheim wies überdies darauf hin, dass der Autoverkehr an zentralen Kreuzungen je nach Variante Astoc oder Höger nur um ein oder drei Prozent im Vergleich zu heute abnehme. Ein klein wenig Entlastung erhoffen sich die Bewohner des Stadtteils hingegen von der geplanten Fuß- und Radwegebrücke östlich des Wehrstegs. Aber ein Zuhörer wies auch darauf hin, dass man im Masterplanprozess ein Sommer- und ein Winterszenario berechnen müsste. "Schließlich fahren ja nicht alle bei schlechtem Wetter Rad."

Wie reagieren die Handschuhsheimer? Jürgen Grieser, zweiter Vorsitzender des Stadtteilvereins empfindet die bisherigen Ergebnisse des Masterplanverfahrens als "bemerkenswert", vor allem da sich die beiden Entwürfe so ähnelten. "Der Prozess hat sich gelohnt", so Grieser. Astoc habe sich der Idee des klimafreundlichen und flächenschonenden Entwurfs von Höger angeschlossen. Grieser begrüßt, dass das Gespenst vom Nordzubringer durch das Handschuhsheimer Feld vom Tisch ist.

Und er ist auch ein Fan des Straßenbahn-Campusrings, wies aber darauf hin, dass eine Haltestelle näher an das Mathematikon gelegt werden müsse, da sich dort das wichtigste Nahversorgungszentrum für viele Handschuhsheimer befinde. Ein Park-and-Ride-Platz südlich von Dossenheim, wie von Astoc vorgeschlagen, sei überflüssig. Hinter der Ablehnung steht die Befürchtung, dass durch solch einen Parkplatz der Weg für einen Nordzubringer durch das Handschuhsheimer Feld geebnet werden könnte – zuerst genutzt von einem Shuttlebus, später vielleicht sogar von Autos. Grieser ärgert sich überdies, dass am Rande des Campus Stellplätze geplant sind. Dadurch werde weiterhin Autoverkehr angezogen. Grieser: "Bisher wird nur die letzte Meile im Umweltverbund zurückgelegt."

Eine Fuß- und Radwegebrücke über den Altneckar, wie von Höger vorgeschlagen, wäre für den Handschuhsheimer hingegen ein guter Kompromiss, um den S-Bahnhof Pfaffengrund/Wieblingen, den SRH-Campus und das Neuenheimer Feld umweltfreundlich miteinander zu verbinden. Albrecht Kern vom Verein Urban Innovation kritisierte hingegen Griesers Ablehnung des Park-and-Ride-Platzes: "Ich bin fassungslos, dass ein Vertreter aus Handschuhsheim eine Variante bevorzugt, die die Dossenheimer Landstraße weiterhin so stark belastet."

Eine weitgehend autofreie Campusmitte stellt sich auch das Planungsteam Astoc vor. So wie auf dieser Visualisierung könnte die Kirschnerstraße mit Straßenbahnhaltestelle (im Hintergrund) aus der Fußgängerperspektive aussehen. Der Radverkehr wird auf der Straße geführt. Visualisierung: Astoc

Welche Sorgen haben die Neuenheimer? Andreas Knorn, Vorsitzender des Stadtteilvereins, zeigte sich enttäuscht: "Wir haben jetzt zwei Entwürfe, die beinahe identisch sind." Knorn kritisierte, dass einige Interessengruppen zu viel Druck aufgebaut hätten. Die Planungsteams hätten somit keine Wahl gehabt, als die nun gewählte Variante zu favorisieren, sonst wären sie im weiteren Prozess ausgeschieden. "Schon seit Jahren häuft sich der Verkehr in Neuenheim". Staus in der Dossenheimer Landstraße und in der Berliner Straße seien an der Tagesordnung. Eine Fünfte Neckarquerung oder ein Nordzubringer würden den Stadtteil deutlich entlasten. Knorn bedauert, dass weiterhin der gesamte Verkehr über die Ernst-Walz-Brücke im Süden und den Hans-Thoma-Platz im Norden abgewickelt werden soll.

Hintergrund

Wie wird der Campus autofrei?

So ähnlich sich die Verkehrskonzepte von Astoc und Kerstin Höger auch sind, gibt es doch ein paar kleine Unterschiede. Die Eckpunkte:

> Straßenbahn: Der "kleine Campusring" über die Straßen "Im Neuenheimer Feld",

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Wie wird der Campus autofrei?

So ähnlich sich die Verkehrskonzepte von Astoc und Kerstin Höger auch sind, gibt es doch ein paar kleine Unterschiede. Die Eckpunkte:

> Straßenbahn: Der "kleine Campusring" über die Straßen "Im Neuenheimer Feld", Hofmeisterweg und Kirschnerstraße bildet bei beiden Teams den wichtigsten Kern des Verkehrskonzepts. Die Idee dahinter: Fahrgästen aus Richtung Weinheim und aus dem Patrick-Henry-Village soll es ermöglicht werden, ohne Umstieg von ihrem Wohnort direkt ins Neuenheimer Feld zu kommen. Mit welcher Linienführung dies geschehen soll, ist unterschiedlich. Höger schlägt zum Beispiel vor, die Linie 26 aus Kirchheim immer im Wechsel einmal zum Bismarckplatz und einmal ins Neuenheimer Feld fahren zu lassen. Mehrere Linien sollen im Campus fahren.

> Autofreie Campusmitte: Um die Straße "Im Neuenheimer Feld" zu entlasten, soll nördlich davon eine neue Straße gebaut werden. Der meiste "motorisierte Individualverkehr" soll allerdings zu den Parkhäusern am Rand des Gebiets gelenkt werden. Allein die Patienten und ihre Angehörigen sollen mit ihren Autos zu den Kliniken fahren dürfen, ebenso wie Familien, die den Zoo besuchen.

> Mobilitätshubs: An den Parkhäusern mit E-Ladesäulen sind Fahrradabstellplätze, Leihfahrräder, E-Roller und später vielleicht auch mal Haltestellen für autonom fahrende Minibusse vorgesehen.

> Radverkehr: Er wird ausgebaut. Gelingen soll dies unter anderem durch die geplante Fuß- und Radbrücke östlich des Wehrstegs. Höger sieht überdies eine weitere Neckarquerung von Wieblingen ins Neuenheimer Feld vor.

> Reduzierung der Stellplätze: Beide Teams glauben, dass die Anzahl der Stellplätze im "Feld" noch einmal deutlich reduziert werden könnte. Dafür müsste es aber noch unattraktiver werden, mit dem Auto anzureisen. Die Parkgebühren müssten steigen.

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Warum freuen sich die Wieblinger? Am wichtigsten ist für die Bewohner des Stadtteils, dass die Fünfte Neckarquerung für Autos, Busse und Bahnen vom Tisch ist. Dagegen kritisiert Inge Winkler-Hauser, dass Kerstin Höger am S-Bahnhof Pfaffengrund/Wieblingen einen Mobilitätshub vorsieht, der neben einer Schnellbushaltestelle auch Parkplätze beinhaltet. "Damit wird der Pendlerverkehr nach Wieblingen gelockt", so Winkler-Hauser. Auch eine schlanke Fuß- und Radwegebrücke, wie Höger sie gerne hätte, sei ein Verstoß gegen das Naturschutzgesetz.

Der Bau und die nächtliche Beleuchtung hätten negative Auswirkungen auf den Artenschutz und brächten nur eine geringe verkehrliche Entlastung. Nach den Berechnungen von Astoc würde der Autoverkehr im Neuenheimer Feld dadurch nur um 400 Fahrten reduziert. Bei 120.000 Wegen, die täglich im Campus zurückgelegt werden, sei dies zu gering, angesichts der 6,5 Millionen Euro Investitionskosten. Ingrid Herrwerth vom Stadtteilverein Wieblingen wie auch viele andere Redner forderten, dass noch mehr regionale Verkehrslösungen Eingang in den Masterplanprozess finden sollten.

Was ist der kleinste gemeinsame Nenner? Alle Stadtteile sind sich in einem Punkt einig. Es müsse im weiteren Prozess noch viel mehr getan werden, um den Autoverkehr weit vor den Toren Heidelbergs abzufangen. Die Menschen müssten zum Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel bewegt werden.

Info: Die Entwürfe können noch an diesem Donnerstag von 16 bis 17 Uhr im Dezernat 16, Emil-Maier-Straße 16, studiert werden. Ebenfalls nur noch an diesem Donnerstag kann man sich online an der Diskussion beteiligen: www.masterplan-neuenheimer-feld.de

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