Apfelbäume auf dem Breitenstein, am Tag bevor der Schnee kam. Die Äpfel sind chemie- und trotzdem wurmfrei. Foto: Elisabeth Murr-Brück
Von Elisabeth Murr-Brück
Eberbach. Schiller hätte möglicherweise gefallen, was der Kollege Chef "einen Schmarren” nannte: Das Projekt der "kuriosen Feiertage” mit dem heutigen "Tag des deutschen Apfels”. Für Friedrich, den Dichter spielte der Deutschen liebstes Obst nur im "Tell" eine (allerdings entscheidende) Rolle, faulig "in der Schiebelade" brauchte er sie angeblich, um sich sowas ausdenken zu können. Es war der Vater Johann Caspar, den den Obstbau und die Sortenvielfalt vor allem der Äpfel im Südwesten entscheidend voranbrachte. "Allein bey der Übersicht des Ganzen können gar noch Millionen Bäume und besonders an den Haupt- und Landstraßen füglich Platz finden und Deutschland zu dem angenehmsten Garten bilden", schreibt er dem Sohn. Seit 1775 leitet er die herzoglichen Hofgärten, die Baumschule bringt Geld, welches der chronisch klamme Herzog Carl Eugen gut brauchen kann.
Breitenstein-Apfel unter blauem Himmel. Foto: Elisabeth Murr-BrückStreuobstwiesen, Obstgürtel um Ortschaften gehen wesentlich auf seine Initiative zurück. Sie waren nicht nur wichtiger Bestandteil der Ernährung, sondern auch wichtig als Schutz vor eisigen Winden. Wie auf dem Winterhauch. Unter den Bedingungen dort brauchte man allerdings Äpfel, bei denen der Frost nicht regelmäßig die Ernte schon im Frühling ruinierte, einen wie den Taffetapfel, der hier Spätblüher heißt, weil er erst im Mai blüht, wenn alle anderen damit längst durch sind. Hier deshalb, ein reiner Mostapfel, den man so nicht essen kann, aber einer mit hohem Ertrag. "Ähnlich wie der Kumpfenapfel auf dem Breitenstein", sagt Eberbachs Umweltbeauftragter Klemens Bernecker. Den "Frankfurter” hingegen kann man durchaus essen. Trotzdem war der vor allem wichtig als Exportware nach Frankfurt, damit dort der Äppelwoi nicht ausging. Ein richtiger Allrounder war auch der Eberbacher Seitenrück, Buckelapfel genannt, von Bernecker sozusagen in letzter Minute gerettet und in einer konzertierten Aktion wieder auf dem Breitenstein angesiedelt.
Drei von etwa 60 Apfelsorten auf dem Breitenstein, Bernecker entdeckte sie auf einer Liste der Beratungsstelle für Obst- und Gartenbau aus dem Jahr 1986, über Obstsorten im Rhein-Neckar-Kreis. Dort finden sich Namen wie Krummstiel, Schafsnase, Winterprinz und Christkindelsapfel, Champagnerrenette, Gelber Richard und Gottesacker, Neckartaler und Breitarsch.
Heute heißen Äpfel Pink Lady, Fuji, Braeburn und Royal Gala; am besten verkauft sich derzeit Elstar (17 Prozent). Verbraucher wünschen sich angeblich überwiegend rote und makellose Schneewittchenäpfel, für den Handel sollen sie möglichst unempfindlich sein und gut zu lagern.
Auf dem Markt sind kaum mehr als 15 Sorten, an die 300 Sorten können gute Baumschulen liefern, Schillers Sortiment umfasste mehr als 1500. Für jeden Boden, jedes Klima, jeden Bedarf den passende Baum. Die Menschen damals hatten in aller Regel nur begrenzte Möglichkeiten der Versorgung. Man hat also zugesehen, dass so früh wie möglich und so lange wie möglich was da war, sagt Klemens Bernecker. "Die ersten Klaräpfel reifen schon Anfang August, da macht es nichts, wenn sie nach wenigen Tagen mehlig schmecken". Der Eichenapfel, eine der ältesten Sorten überhaupt, hält bis zum März oder April; wichtig war, dass es auch Bäume gab, die an schlechten Standorten, mit schlechten Böden und wenig Wasser zurechtkamen: meistens eben Mostäpfel, die oft viel Ertrag brachten.
Wobei Most eben nicht gleich Most ist: im Odenwald nennt man so den süßen Saft, im Hessischen ist er vergoren und hat Promille und war durchaus Alltags-Getränk zu einer Zeit, als Trinkwasser noch öfter verunreinigt war. Den passenden Vierzeiler dazu kennt Bernecker auch: "Ein guter Most heilt jeden Schmerz, er ist des Odenwälders Perle. Der Wein erfreut des Menschen Herz, der Most den ganzen Kerle."
Den "Tag des Deutschen Apfels" hat die Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse vor elf Jahren ersonnen und auf den 11. Januar platziert. Elf Apfel-Trucks sind im ganzen Land unterwegs, wer einen fotografiert und auf facebook hochlädt, soll mit etwas Glück eine Tasche mit Äpfeln gewinnen können. Das kann man in Eberbach einfacher haben: auf dem Breitenstein.
Am Tag bevor der Schnee kam habe ich ein paar aufgesammelt, chemie- und trotzdem wurmfrei, erst im Auto, dann im Kühlschrank bringen sie ein noch nie gekanntes Duft-Erlebnis. "Könnte ein Gewürzluiken sein", vermutet Klemens Bernecker.