Blick in den Wohnraum von Günter Wiedemer in seinem Haus am Scheuerberg. An den Wänden zu sehen sind (rechts) Bilder von Heiner Knaub, in der Mitte (l.) ein Ölgemälde von Armin Stähle, links daneben Sonnenblumen von Wilhelm Guntermann. Foto: Biener-Drews
Von Jutta Biener-Drews
Eberbach. Günter Wiedemer ist ein stadtbekannter Mann. Bekannt aus seiner Zeit als Stadtrat, Bürgermeisterstellvertreter, Lehrer und langjähriger Direktor des Hohenstaufen-Gymnasiums, als Vorstandsmitglied der Stiftung Altersheim und der Eberbacher Kunstfreunde. Weniger bekannt ist Günter Wiedemer als Kunstsammler. Aber er ist es. Der Mann, der als studierter Mathematiker, Physiker und Chemiker besonders gut mit Zahlen kann, umgibt sich in seinem Zuhause mit Bildern, wo immer er sitzt, steht und liegt. An die zwanzig Zeichnungen, Aquarelle, Ölgemälde hat er mit seiner verstorbenen Frau Rosemarie über die Jahre zusammengetragen und an den Wänden von zwölf Räumen platziert. Gezählt hat er sie nicht. Bilder, höchst unterschiedlich in Art, Ausdruck und Motivik, aber mit einer entscheidenden Gemeinsamkeit: Die Künstler sind allesamt Eberbacher – und Günter Wiedemer, Jahrgang 1939, kennt sie alle persönlich. Manfred Garstka, Heiner Knaub, Manfred Riederer, Armin Stähle, Fred Henk. Die persönlichen Beziehungen zu ihnen reichen weit zurück im Leben des Günter Wiedemer, das seit über 80 Jahren in Eberbach seine Mitte hat. Dies ist auch der Schlüssel zu seiner privaten Kunstsammlung.
Das Wiedemer-Haus liegt am Scheuerberg, der Blick auf die Neckarstadt vom Wohnraum und vom Schreibtisch im Arbeitszimmer ist atemberaubend. 1960, da war Wiedemer noch Student in Heidelberg, heiratete er seine Frau Rosemarie und bezog dieses Haus mit ihr. Auch sie studierte damals in Heidelberg Mathematik, aber auch Kunst, und beide sollten fünf Jahre später schon Lehrer sein am Hohenstaufen-Gymnasium. Günter Wiedemer kannte die Schule, in der er 1958 Abitur gemacht hatte, schon aus Schülertagen. Armin Stähle war ein Klassenkamerad, Ricarda, die Tochter des Bauhäuslers Heiner Knaub, war eine Klasse unter ihm.
„Wenn ich die Bilder nicht hätte, würde mir was fehlen“: Kunstsammler Günter Wiedemer. Foto: Biener-DrewsManfred Riederer unterrichtete Kunst am HSG, ebenso Waltraud Garstka und Rosemarie Wiedemer, sie alle waren zunächst Lehrerkollegen. Wenn es um künstlerische Fragen zu seiner Bilderkollektion geht, zieht sich Günter Wiedemer gern auf seine Frau zurück. Das expressive Ölgemälde von Stähle, ein großes, aufwühlendes Bild des Gekreuzigten über dem Ledersofa, das die Stirnwand des Wohnzimmers dominiert? "Das hat vermutlich meine Frau ausgewählt", sagt Wiedemer leise lächelnd und hält sich mit jeder Art künstlerischer Einlassung diskret zurück: "Das künstlerische Verständnis hatte meine Frau!".
Seine Sache: Das sind die Eberbach-Motive, das sind die Bilder, mit denen er eigenes Erleben verknüpft, die Erinnerungen wach werden lassen. Die Sonnenblumen von Wilhelm Guntermann zum Beispiel, die neben dem Kruzifix-Bild hängen. "Guntermann war Mitglied der Hollerbacher Malerkolonie", erzählt Wiedemer. In diesem Odenwalddorf bei Buchen durfte er in Kindertagen die Ferien verbringen. Wiedemer schlägt ein Buch mit einem Foto des Malers auf – und eines der "Engel"-Wirtin, die in ihrem Dorfgasthaus die Künstler verköstigte und dafür den Nebenraum ihrer Wirtschaft künstlerisch ausgestaltet bekam. "Guntermann hat in Eberbach auch eine Ausstellung gemacht!"
Ein Bild von Heiner Knaub zeigt ein Gartenhaus im heutigen Neubaugebiet Wolfsacker in leuchtendem Blau, Wiedemer erfreut sich am Anblick des längst verschwundenen Häuschens und an der Aussicht, die man da hatte: "Das stand auf dem Weg zum Ohrsbergturm".
Als einer der Ersten erwarb der heute 81-Jährige ein Bild des jungen Manfred Garstka. Wie überhaupt das Eberbacher Künstlertrio Garstka-Riederer-Stähle damals, als Wiedemers den Grundstein ihrer Sammlung legten, noch genauso jung war wie sie selbst. In gewisser Weise ist die Sammlung über die Jahre mitgewachsen mit ihren Künstlern. "Wir sind zu den Ausstellungen gegangen und haben da Bilder gekauft". Das, was ihnen zusagte. Ob diese Werke in ihr Zuhause passten, wo genau man sie zur Geltung bringen wollte: Solche Fragen, sagt Wiedemer, hätten sich nie gestellt. "Es hat sich immer ein Platz gefunden!" Eine der Garstka-Ausstellungen habe er als Bürgermeister-Stellvertreter sogar selbst eröffnet, erinnert er sich.
Apropos Hollerbach. Im Flur deutet Wiedemer auf ein Hollerbach-Bild von Manfred Riederer, das die Feier seines 60. Geburtstags im "Engel" in ihm wachruft. Da war er längst HSG-Direktor und Riederer, der zur Feier eingeladen war, machte es ihm zum Geschenk. Bei Fred Henk gab der Sammler später noch ein Werk in Auftrag: den malerischsten Blick auf dieses Dorf als Aquarell.
Keine Frage: Günter Wiedemer liebt diese Bilder, "man entdeckt darin immer wieder was Neues". Sie nicht um sich zu haben, "da würde mir was fehlen", sagt er. Dass die Sammlung in Familienbesitz bleibt, ist ihm ein Anliegen. Weitere Stücke zu erwerben, beabsichtige er aber nicht. Obwohl: Bei der unlängst im Haus Cajeth in Heidelberg veranstalteten Bilderschau von Heiner Knaub entdeckte Wiedemer eine Zeichnung des Pulverturms und der Neckarfront. "Ja", beschloss er spontan, "das kannsch mal kaufen". Und kaufte.