"Odenwaldhuhn"

In Allemühl gibt es ein Paradies für alte Legehennen (Fotogalerie)

Isabel Wolfs Projekt "Odenwaldhuhn" bietet Hühnerpatenschaften und -vermietungen. Trotz Corona wird das Angebot gut angenommen.

15.10.2020 UPDATE: 16.10.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 52 Sekunden
Isabel Wolf inmitten ihres „Hühnerparadieses“ in Allemühl. Der Hahn und die Hühner leben bei ihr in Freiheit. Foto: Martina Birkelbach

Von Martina Birkelbach

Allemühl. King Chicken ist ein Hahn der Rasse "Ostfriesische Möwen", mit schlichter aber nicht plumper Form. In der Alten Schönbrunner Straße im idyllischen Allemühl hat er allerhand zu tun. Auf dem über 3000 Quadratmeter großen Grundstück von Isabel Wolf, Ehemann Alexander und Töchterchen Salome (9) passt er auf einige Hühnerdamen auf, schlichtet Streit und warnt vor Greifvögeln. Bei den Hühnern handelt es sich um ausgediente Legehennen und alte Hühnerrassen; alle laufen frei herum.

Und bei Isabel Wolf heißt frei auch "wirklich frei". Die Hühner haben Stallungen, können aber wann immer sie wollen im riesigen grün bepflanzten Garten scharren. Und das tun sie auch, wenn es nicht gerade in Strömen regnet. Was sie nicht tun, ist, die Eier in die extra gebauten und teilweise auch gekauften Legeboxen legen. Die meisten bevorzugen dazu schlichte Eimer. In einem sitzt gerade "Snow" und legt ein Ei. Allerdings möchte "HeyHey" (ein Lohmann Leghorn, welches in sehr schlechtem Zustand bei Wolf ankam) auch in genau diesem Eimer und in diesem Moment ein Ei ablegen – und tut dies laut gackernd kund.

Snow lässt sich aber vom potenziellen Eimer-Nachfolger nicht aus der Ruhe bringen. Sie legt und legt und rührt sich dabei nicht. "Die Dauer des Legens ist bei jedem Huhn verschieden. Manche sind schnell, andere langsam", erklärt Wolf. Wenn sie das Ei gelegt haben, erfolgt wieder ein Gackern, allerdings in völlig anderen Tonlagen. Wolf weiß, was Hühner wollen, kennt dazu noch die besonderen Eigenarten eines jeden.

Die 44-Jährige hat im März kurz vor dem Lockdown das Projekt "Odenwaldhuhn" gestartet, mit Hühnerpatenschaften und -vermietungen – und es läuft trotz Corona. Besonders der Eierverkauf läuft gerade wegen Corona bestens "da die Menschen sich besinnen und wieder mehr regional einkaufen".

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Wolf ist in Wiesbaden mit Pferden groß geworden, war "schon als Kind fast nur im Stall anzutreffen". Seit fast sieben Jahren wohnt die Familie in Allemühl, auch jetzt begleiten sie noch drei Ponys. "Eines davon kommt aus einem Freizeitpark, wo es elf Jahre nur im Kreis gelaufen ist". Dazu beherbergt sie vier Kaninchen, einen Hund und neun Katzen. "Die Katzen und die Hühner bilden eine Symbiose", erklärt Wolf. Die Katzen fangen Mäuse und halten auch die Räuber ab. Die Hühner liegen ihr besonders am Herzen, weil sie oft in der Gesellschaft untergehen. "Man macht sich wenig Gedanken. Man isst die Eier und gut. Dabei sind Hühner auch sehr neugierig und aufgeschlossen."

Angefangen hat Wolf mit drei Hühnern im vergangenen Jahr "aus Spaß an der Freude". Dann wurden es immer mehr. Sie hat die Hühner aber nicht einfach beim Züchter gekauft, sondern sich um die "ausgedienten Legehühner" gekümmert. Sie hat sich bei dem deutschlandweit aktiven Verein "Rettet das Huhn" informiert, dann direkt bei Legebetrieben in der Umgebung nachgefragt.

"Nach 15 Monaten haben Hühner für finanzielle Zwecke ausgedient", erklärt sie. Manche Hühner kamen völlig gerupft bei ihr an. So auch HeyHey, deren Bauch komplett nackig war. "Wenn Hühner so eine Mega-Leistung erbringen müssen, haben sie natürlich Stress, ihre Körper sind dann ausgezehrt." Den völlig nackten Hühnern hat die Schwiegermutter dann bunte Pullis genäht, in allen Größen und mit hübschen Aufdrucken. Viele der Hühner legen jetzt "nur" noch zwei bis drei Eier die Woche.

Unter Wolfs Hühnern befinden sich auch seltene Rassen, wie etwa "Deutsche Reichshühner" (Kaiserreich) oder russische Orloff-Hühner. "Wegen Corona gibt es dieses Jahr wenig Rassehühner, da die Geflügelschauen abgesagt wurden."

Die Eier sind völlig unterschiedlich, von Grün und Blau über Weiß bis hin zu Schokobraun. "Bei älteren Hühnern ist die Schale oft rau, am Geschmack ändert das aber gar nichts", erklärt Wolf. Sie betont: "Der Geschmack richtet sich nach dem Futter. Und das ist natürlich im Sommer mit frischem Gras anders als im Winter." Sie erklärt auch, dass man an der Ohrscheibe der Hühner erkennt, welche Farben die Eier haben, die sie legen, "ob hell oder dunkel".

Die Hühnervermietung war eigentlich für Schulen, Kindergärten oder Altenheime gedacht. "Das hat dann wegen Corona überhaupt nicht funktioniert." Allerdings haben einige Privatpersonen die Vermietung getestet – Landleben auf Zeit im eigenen Garten. Wolf liefert dazu das "All-Inclusive-Paket": drei bis vier Hennen samt Stall, Steckzaun Futternapf und Tränke, Einstreu, Futter. Mit dabei sind Aufbau und Einweisung, Abbau und Endreinigung. "Wegen Corona hat die Selbstversorgung besonders im April geboomt, irgendwann gab es auch keine Hühner mehr zu kaufen", erinnert sich Wolf. Die Privatpersonen, die bei ihr die "Vermietung" gebucht hatten, wollten testen, ob Hühner zu ihnen passen. "Viele fanden es toll, haben sich aber dann doch gegen die Anschaffung eigener Hühner entschieden, da sie sich das alles für die nächsten Jahre nicht vorstellen konnten." Hühner wollen nämlich unter anderem jeden Tag um die gleiche Zeit raus und auch wieder rein – auch an den Wochenenden.

Der "normale" Eierverkauf lief richtig gut an. Ebenso die Patenschaften. Hühnerpaten bekommen einmal die Woche acht Freilandeier, es gibt zwei Abholstationen in Wald Michelbach und in Schönbrunn. Paten bekommen die Eier sicher. "Wenn sich noch mehr Paten anmelden sollten, reduziert sich der Normalverkauf", erklärt Wolf. Denn noch mehr Tiere kann und will sie derzeit nicht aufnehmen.

Viel Unterstützung hat die Tierretterin auch von ihrer Tochter Salome. Die Neunjährige ist die Namensgeberin für jedes Huhn und sie hilft fleißig mit, kennt sich mit den Rassen und den Eigenarten fast so gut aus wie die Mutter. So sind etwa weiße Hühner agiler als braune, die eher etwas ruhiger und pummeliger sind. Vor einiger Zeit hat Wolf das Angebot noch erweitert. Die Eierkunden können jetzt noch Gemüse bekommen, welches sie bei Bauern holt.

"Wir suchen einen Hof im Odenwald mit festen Stallungen, haben aber noch nichts gefunden", sagt Wolf. Gerne würde sie auch Richtung Wald-Michelbach ziehen, wo sie als Hausmeisterin in der "Drachenschule Odenwald" arbeitet. Sollte die Familie ein geeignetes Objekt finden, will Wolf vielleicht einen "richtigen" Gnadenhof gründen. Wobei ihr derzeitiges Projekt dem auch schon sehr nahe kommt.

Übrigens hat Snow am Ende unseres Besuchs ihr Ei gelegt und HeyHey hat erhobenen Hauptes den Platz im Eimer bekommen.

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