Der 52-jährige an Kehlkopfkrebs erkrankte Oliver Trelenberg (l.) mit seinem Fahrrad vor dem Eberbacher Rathaus, wo er von Bürgermeister Peter Reichert (r.) und Tina Schönleber mit dem Wünschewagen in Empfang genommen wird. Foto: Martina Birkelbach
Von Martina Birkelbach
Eberbach. "Draußen sein, Zeit genießen und die Lebenszeit nutzen", dass bedeutet das Radfahren für Oliver Trelenberg. "Denn mit dem Krebs hat zum ersten Mal der Tod bei mir angeklopft", so der 52-Jährige aus Hagen. Er redet ganz offen über sein Leben mit einer "desolaten Kindheit und Jugend", seinen Alkoholkonsum (den er inzwischen besiegt hat), Freiheitsstrafen, Zeiten der Obdachlosigkeit, zwei gescheiterte Ehen, die Krankheit Kehlkopfkrebs, über seine Depressionen und Zwangsstörungen - und darüber, was ihm das Radfahren jetzt bringt.
Doch Trelenberg radelt nicht einfach nur so: Seit dem Jahr 2015 verbindet er es mit einem guten Zweck. In diesem Jahr ist das der "Wünschewagen" des Arbeiter-Samariter-Bundes Baden-Württemberg, der sich ausschließlich über Spenden- und Sponsorenmittel sowie über freiwillige Mitarbeit und Eigenmittel finanziert. Der Wünschewagen begleitet und betreut schwerstkranke Menschen bei der Erfüllung ihres letzten Wunsches.
Unter dem Motto "Oli radelt für den Wünschewagen!" ist Trelenberg am Dienstag in Stuttgart mit dem Fahrrad gestartet. Bis zum 30. Juni will er 2500 Kilometer von Baden-Württemberg über Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern bis in die Bundeshauptstadt Berlin zurücklegen. Von Besigheim über Heilbronn und Obrigheim radelte Oli am Mittwoch nach Eberbach, wo er nachmittags von Bürgermeister Peter Reichert empfangen wurde. "Das ist eine gute Sache für die Gesellschaft; die Krankheit Krebs kann jeden treffen", zeigte sich Reichert von der Aktion beeindruckt. Die Stadt hat die Übernachtungskosten in Eberbach übernommen, zudem gab es für den Wünschewagen einen "kleinen Geldbetrag".
Ein solcher Wagen stand zur Überraschung von Oli auch vor dem Rathaus. "Wir versuchen bei allen Stopps von Oli vor Ort zu sein, schaffen es vielleicht nicht immer - und Wunschfahrten gehen natürlich immer vor", erklärt Projektleiterin Tina Schönleber, zuständig für die Region Mannheim/Rhein-Neckar.
Die Aktion "Wünschewagen" startete im Jahr 2014, inzwischen gibt es bundesweit 18 Fahrzeuge. "Der Mannheimer Wagen war seit September 2016 schon mit 35 Wunschfahrten auf Tour", so Schönleber. Außerdem seien 20 Fahrten bereits geplant gewesen, aber nicht mehr zustande gekommen, weil die Personen "es nicht mehr geschafft haben".
Der Wünschewagen ist ein speziell für diesen Zweck konzipierter Krankentransportwagen. Die medizinischen Geräte sind etwas versteckt, es gibt Sternenbettwäsche und einen LED-Sternenhimmel sowie Panoramaverglasung. "Bei den Fahrten geht es um Herzenswünsche für Menschen in der letzten Lebensphase, nicht um Krankentransporte", betont Schönleber. Ausnahmen werden bei Kindern gemacht, wobei der Mannheimer Wünschewagen eher auch mal Jugendliche fährt, der Münchner Wagen hingegen oft Einsätze mit Kindern hat.
Atteste und Einwilligung eines Arztes muss vorliegen; Auslandsfahrten werden derzeit noch abgelehnt. Die Wünsche der Fahrgäste (die bewusst nicht als Patienten bezeichnet werden) sind unterschiedlich: Musical- oder Fußballspielbesuche waren bislang dabei, viele wollen beispielsweise nochmal ans Meer. Schönleber: "Eine Dame wollte einen Affen streicheln. Der Affe war bereit, die Fahrt organisiert - leider hat es nicht mehr geklappt." Ein schwerstkranker Mann habe es sich nicht leisten können, bei der Beerdigung seines Sohnes dabei zu sein - der Wünschewagen machte es möglich.
Für Oktober liegen ebenfalls schon Wünsche vor: Zwei Schwerkranke wollen die Hochzeit ihrer Kinder erleben. Der Altersdurchschnitt der Fahrgäste liegt zwischen 50 und 60 Jahre, die meisten sind an Krebs erkrankt. Insgesamt werden die Wünsche laut Schönleber bei Menschen am Ende der Lebensphase immer kleiner. Die Fahrten werden immer von zwei oder drei ausgebildeten Fachkräften - Ärzten, Rettungssanitätern und Krankenschwestern - ehrenamtlich begleitet; für den Fahrgast und dessen mögliche Begleitung entstehen keine Kosten.
Oli Trelenberg nimmt auf seiner Benefiztour kein Bargeld für den Wünschewagen entgegen; er bittet um direkte Überweisungen. Er begann 2015 mit Spendenradeln in 92 Tagestouren zugunsten des Deutschen Kinderhospizvereins und fuhr 2016 eine Spendentour quer durch Deutschland (3115 Kilometer). 2017 legte er 1460 Kilometer für eine "Vier-Flüsse-Spenden-Radreise" zurück. "In den vergangenen zwei Jahren habe ich 13.000 Euro für gute Zwecke gesammelt", freut er sich.
Trelenberg radelt immer alleine. "An Bergen muss ich oft schieben, weil ich dann schlecht Luft bekomme. Das würde Mitfahrer stören", sagt er. Er will auch nicht unter Leistungsdruck fahren, sondern die Zeit genießen. Regen stört ihn nicht, er hat eine gute Ausrüstung, für die er Sponsoren gefunden hat. Er freut sich, wenn er die Kosten für die Übernachtungen erstattet bekommt, ansonsten zahlt er alles selber "von einer kleinen Rente, die in etwa Hartz IV entspricht".
"Ich habe für mich in meiner langjährigen Krankheitsgeschichte einen Weg gefunden, mir trotz Armut mit wenig finanziellen Mitteln und geringer körperlicher Anstrengung ein Stück verlorene Lebensqualität zurückzuerobern und zu erhalten. Deshalb radel ich, wann immer ich dazu körperlich und gesundheitlich in der Lage bin, aus dem Sumpf meiner Erkrankung in ein erträgliches Leben."
Auf seiner derzeitigen Tour hat er zusätzlich noch Vorträge eingeplant, mit denen er den Menschen Mut machen will: "Bewegung trotz Erkrankung, aktives Leben mit Krebs."
Bürgermeister Peter Reichert, der selber gerade eine größere Radtour plant, ließ sich noch einige fachliche Tipps geben. Vor allem aber wünschte er Trelenberg eine gute Reise und dass "auf diese Weise viele Menschen erfahren, dass es den Wünschewagen gibt und diesen auch in Anspruch nehmen". Für Oli ging es am Donnerstag weiter nach Ludwigshafen, heute radelt er über Oggersheim und Worms nach Oppenheim.