Von Elisabeth Murr-Brück
Eberbach. Überleg mal: Richtig viel Kohle verdienen, ein eigenes Schloss, steinalt werden und mit 90 aussehen wie 50. Und natürlich Familie, Freunde. "Hast du auch realistische Träume", fragt der Mitschüler? Hm, schwierig, das so genau zu sagen, obwohl sie mittendrin sind im Unterrichtsfach "Glück".
Kann man Glück lernen wie Mathe, Englisch oder Erdkunde? Einfache Antwort: Ja. Vielleicht nimmt am Ende nicht jeder gleich viel mit, aber das ist auch in Mathe nicht anders. Nur: Einfach die Stunde absitzen, ist hier nicht möglich, im Gegenteil, es geht an die Substanz.
Michael Leisinger, Lehrer für Wirtschaft, Sport und Glück hat das Fach an die Theodor-Frey-Schule nach Eberbach gebracht. Er hat dafür eine spezielle Ausbildung durchlaufen, nachdem er an der Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg erste Erfahrungen damit gemacht hatte. Dort wurde das Konzept erfunden und entwickelt, weit über hundert Schulen auch außerhalb Deutschlands, haben es mittlerweile übernommen.
Rektor Martin Staniczek sah darin von Beginn an eine Chance: "Jugendlichen sagt man heute nach, dass sie keine Verantwortung für ihr Leben übernehmen wollen. In Schule und Erziehung stehen üblicherweise Defizite und Fehler im Vordergrund. Wenn sie lernen, ihre Stärken überhaupt erst mal wahrzunehmen, können sie auch realistische Ziele in Angriff nehmen."
Wenn man Michael Leisinger fragt, wie man Glück beschreiben könne, greift er zum Bild vom Meer: endlose Weite, ständige Bewegung, Wellen, die tragen und Wellentäler. Wie das Leben: Tiefs gehören dazu.
Weniger auf die Probleme als auf Lösungswege konzentriert sich die systemische Psychologie, auf der das Konzept des Glücks-Unterrichts basiert. Stärke entwickelt sich in der Gemeinschaft, im positiven Miteinander. Ungeschützt, mit dem Rücken zur Klasse, sitzt ein Schüler und jeder der anderen muss ihm ein ehrlich gemeintes Kompliment sagen. Verdammt schwierig, wenn zwei sich absolut nicht ausstehen können, wenn einer seit Jahren in der Rolle des Opfers ist. Wer gewohnt ist, sich über andere hinwegzusetzen, kann auf einmal ganz hilflos da stehen. Oder sitzen.
Leisinger: "Manche halten es kaum aus, wenn jemand nett zu ihnen ist". Hautnah erleben, was das mit einem macht. Michael Leisinger hat erlebt, wie Mobber und Mobbing-Opfer zwar nicht grade Freunde geworden sind, aber zu einem normalen Umgang gefunden haben. Es geht nicht mehr um Sieg oder Niederlage, freundlich sein fühlt sich gut an, auch für den früheren Täter. "Glücks-Unterricht ist kein Fach für den Kopf", sagt Michael Leisinger.
Aber die Köpfe rauchen in der ersten Stunde nach den Weihnachtsferien. Welchen Stellenwert hatten im vergangenen Jahr die verschiedenen Lebensbereiche, wieviel Zeit ging drauf mit Daddeln und Chillen, welche Bedeutung hatten Freunde? Die Familie? Schule, Sport, Träume?
Sie teilen einen Kreis auf wie eine Torte, ein Stück für jeden Bereich, jeder kriegt eine Farbe: die aktuelle Lebenspizza. So manchem wird erst jetzt klar, wofür die Zeit draufgeht. Wie soll die Pizza 2017 aussehen? "Weniger Abhängen, mehr für mich tun und für die Schule." Sieht erst mal gut aus. Michael Leisinger lässt Dreiergruppen bilden.
Einer fragt, einer führt Protokoll, es geht darum, möglichst genau zu erklären, was sich ändern soll und vor allem wie. Der Interviewer hakt nach: Mehr Sport: welchen? Wo? Wie oft? Geht das überhaupt? Weniger rumhängen: Wieviel ist noch ok? Wie beenden? In welchem Fach willst du besser werden, was ist dein Ziel? Was tust du dafür? Wie oft? Die Antworten werden schriftlich festgehalten, das Protokoll als realistischer Plan, direkt umsetzbar.
Später wird es um Fernziele gehen, sagt Michael Leisinger, jeder muss abschätzen, wie weit er davon noch entfernt ist, sichtbar gemacht mit einem Maßband. Welche Etappenziele steuert man an, wo und wie anfangen? Wie bleibe ich dran, welche Hindernisse sehe ich? Bildhaft sollen sie sie beschreiben: wie sehen sie aus, wie groß sind sie? Wer freut sich mit mir, wenn ich sie überwinde? Schritt für Schritt erleben die Schüler, dass sie ihr Leben unmittelbar gestalten können, dass jede Handlung und jede Unterlassung Konsequenzen hat.
Verändert das wirklich etwas? "Das Klassenklima wird merkbar besser", sagt der Rektor, er ist überzeugt, dass jeder davon profitiert. Einen der eindrücklichsten Fälle hat er bei einem der ersten Kursteilnehmer erlebt. Der Hauptschüler war passiv, in der Klasse ein Außenseiter: "Man hat kaum mal eine Antwort von ihm gekriegt".
Im Glück-Unterricht blühte er auf, entwickelte zunehmend Selbstvertrauen, er schrieb bessere Noten, schaffte den Übertritt auf die Wirtschafts-Oberschule und legte schließlich ein Abitur mit einem Einser-Notenschnitt hin. Und sagte später, dass er es ohne dieses Fach sicher nie geschafft hätte.