Zwischen 40 und 60 Kriminalitätsopfern helfen die Ansprechpartner vom Weißen Ring im Neckar-Odenwald-Kreis pro Jahr. In 80 bis 90 Prozent der Fälle geht es um häusliche Gewalt, sexuellen Missbrauch und Stalking. Symbolfoto: dpa
Von Caspar Oesterreich
Neckar-Odenwald-Kreis. Manfred Beuchert ist für seine Mitmenschen da. Das sei nicht immer einfach, aber "anderen zu helfen, wenn sie Hilfe benötigen – das steckt einfach in mir drin", erklärt der 61-Jährige im Gespräch mit der RNZ. Vor wenigen Monaten hat er die ehrenamtliche Leitung des "Weißen Ring" im Neckar-Odenwald-Kreis übernommen, einer in mehreren Ländern Europas aktiven Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und deren Familien.
"Da braucht man schon ein dickes Fell. Manche Schicksale gehen einem wirklich unter die Haut", sagt Beuchert. Zwischen 40 und 60 Fälle bearbeiten er und sein sechsköpfiges Team in der Außenstelle pro Jahr. Häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch und das Thema Stalking machen etwa 80 bis 90 Prozent ihrer Arbeit aus. Nur wenige seien für dieses spezielle Ehrenamt geeignet, betont der gebürtige Mosbacher, der sich für seine Heimat auch als Stadt- und Kreisrat einsetzt. "Ab und zu nimmt man ein Päckle mit nach Hause. Man muss die Tragik, mit der man konfrontiert wird, verarbeiten können." Für die Helfer gebe es ausgezeichnete Schulungsangebote durch den Weißen Ring, "und auch im Team sprechen wir regelmäßig über die Fälle, die einen selbst aktuell belasten".
Hauptberuflich ist Beuchert Polizist, leitet den Führungs- und Einsatzstab des Polizeipräsidiums Mannheim. Rund ein Drittel der Ansprechpartner im Weißen Ring seien Polizeibeamte, schätzt der 61-Jährige. Auch Hugo Brenner, vor Beuchert Leiter der Außenstelle im Kreis, war während seiner Dienstzeit bei der Kripo als Chef-Ermittler für Kapitaldelikte zuständig. "Berufsbedingt haben wir viel Erfahrung mit Tätern und Opfern – wobei wir im Job natürlich eher täterorientiert arbeiten", erklärt Beuchert. Für eine umfangreiche Betreuung der Opfer sei meist nicht ausreichend Zeit, weshalb die Beamten häufig auf Hilfsorganisationen wie den Weißen Ring verweisen.
Manfred Beuchert leitet ehrenamtlich den "Weißen Ring Neckar-Odenwald-Kreis. Foto:Meldet sich ein Opfer beim Weißen Ring, sind die Hilfsmöglichkeiten vielfältig, reichen von der Begleitung zu Terminen bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder der Zeugenaussage vor Gericht bis hin zur finanziellen Unterstützung für Anwaltskosten, psychotraumatologische Erstberatung oder einer rechtsmedizinischen Untersuchung. "Im Extremfall helfen wir sogar bei der Namensänderung", berichtet Beuchert. Am wichtigsten für die Betroffenen sei aber nicht die Lotsenfunktion oder die finanzielle Unterstützung, sondern das offene Ohr, das der neue Außenstellenleiter und sein Team haben. "Das Zuhören an sich hilft oft am meisten."
Manche Fälle seien nach drei oder vier Wochen erledigt, "andere beschäftigen uns über Jahre", verdeutlicht der Polizeidirektor das Ausmaß der möglichen Unterstützung. Die leiste man so lange, "wie es nötig ist". Das Hilfsangebot ist für alle Betroffenen kostenlos.
Jeder Fall werde stets anonym behandelt, verspricht Beuchert. "Wir richten uns komplett nach den Bedürfnissen des Opfers, drängen auf keinen Fall irgendwelche Lösungsstrategien auf." Per Gesetz ist er als Polizist eigentlich verpflichtet, jeder bekannten Straftat auch nachzugehen, was nicht immer dem Wunsch der Betroffenen entspricht. Deshalb finde jedes Erstgespräch am Telefon auch nie mit ihm statt, sondern mit einem seiner Teammitglieder, die keine Polizeibeamten sind, erklärt der neue Außenstellenleiter. So ließen sich Konflikte zwischen Beruf und Ehrenamt gut vermeiden. Der Kontaktaufnahme folge dann ein persönliches Treffen, meist an einem neutralen Ort, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Auch wenn 60 Tragödien im Jahr eigentlich 60 zu viele sind, die Manfred Beuchert und sein Team zu lindern versuchen, schätzt der Außenstellenleiter die Dunkelziffer aller Kriminalitätsopfer im Kreis, denen professionelle Unterstützung helfen könnte, "um einiges höher" ein. "Leider überwiegt hin und wieder auch die Angst vor den Tätern", weshalb Beuchert die anonyme und opferorientierte Arbeit des Weißen Rings noch bekannter machen möchte. "Wir haben gut zu tun, sind aber ein stark aufgestelltes Team und haben noch etwas Luft nach oben", betont er.
Info: Mehr zum Weißen Ring unter www.weisser-ring.de. Das bundesweite Opfertelefon ist unter der Rufnummer 11 60 06 zu erreichen. Die Außenstelle im Neckar-Odenwald-Kreis meldet sich unter der Telefonnummer (0 15 15) 5 16 46 15.