Auch für die Jugendvollzugsanstalt in Adelsheim bringt Corona gewaltige Veränderungen mit sich. Foto: Gina Kurle
Von Gina Kurle
Adelsheim. Kontaktverbot, Mindestabstand, "Social Distancing" – viele fühlen sich zurzeit in ihren Freiheiten eingeschränkt. Doch wie ergeht es den Insassen in der JVA Adelsheim, die ohnehin schon in einem isolierten System leben? In einem Telefoninterview mit der Rhein-Neckar-Zeitung berichtet Katja Fritsche, Leiterin der JVA Adelsheim, über die aktuelle Situation.
Unter den Inhaftierten wurde noch kein Covid-19-Fall bestätigt, alle vorgenommenen Tests waren negativ. Doch für den Ernstfall hat man in der JVA schon Vorkehrungen getroffen: "Im Bereich des Krankenreviers haben wir ein Gebäude vorgesehen, das wir als Isolationsstation nutzen können, um dort eventuell Infizierte unterzubringen", so die Gefängnisleiterin.
Die Sorge der Inhaftierten über eine mögliche Infektion halte sich in Grenzen, zählen doch nur drei aufgrund einer Vorerkrankung zur Risikogruppe. Viel schwerer wiege die Sorge um die Mitmenschen. "Sie sorgen sich um ihre Familien und Angehörigen – mehr als um ihre eigene Gesundheit." Durch das Besuchsverbot fehlt der direkte Kontakt und damit die Gewissheit, dass es allen gut geht.
Wegen des Coronavirus bleibt die Eingangstür der JVA zurzeit für Besuche von Angehörigen geschlossen. Das ist gerade auch für die Inhaftierten schlimm, da sie sich um ihre Familien sorgen – und zwar „mehr als um ihre Gesundheit“. Foto: JVA AdelsheimIn der JVA gelten bereits seit einiger Zeit strengere Auflagen. Besuche von Angehörigen sind bis auf Weiteres abgesagt, und auch die vollzugsöffnenden Maßnahmen wie Besuche bei Familie und Angehörigen gegen Ende der Haftzeit fallen aus. "Wir versuchen, das Besuchsverbot durch vermehrtes Telefonieren zu kompensieren", erklärt Fritsche. Durften die Inhaftierten früher nur einmal im Monat telefonieren, sind nun mehrere Telefonate im Monat gestattet.
Viele schreiben Briefe, und man schaffe auch die Möglichkeit, bereits ausgefallene Besuche durch Skype-Anrufe nachzuholen. Die Technik sei vorhanden und eingerichtet, nun gehe es um die Abwicklung, wie die Anstaltsleiterin informiert: "Wir stehen in den Startlöchern. Ich glaube, dass wir mit den Skype-Anrufen den Gefangenen viele Sorgen nehmen können, und das wird zu einer gewissen Entspannung führen."
Doch wie gehen die Inhaftierten und ihre Angehörigen mit der neuen Situation um? "Auf beiden Seiten besteht sehr viel Verständnis für das Besuchsverbot. Das ist bewundernswert, denn das ist nicht selbstverständlich."
Da auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter die JVA in Adelsheim derzeit nicht besuchen können, fallen viele gemeinsame Gruppenaktivitäten aus. "Besonders im Jugendvollzug sind solche sozialpädagogischen Maßnahmen wichtig. Viele der ehrenamtlichen Mitarbeiter sind schon seit Jahren bei uns. Es herrscht großes Vertrauen zueinander. Nun fehlen den Jungs die ,Ersatzmütter‘ oder ,Ersatzomis‘."
Zahlreiche Behörden wie das Arbeitsamt oder die Jugendgerichtshilfe haben Dienstreisen untersagt. Strafverteidiger telefonieren mit ihren Mandanten. Durch die Krise habe die Digitalisierung im Strafvollzug neue Fahrt aufgenommen. "Die Vorbereitungen zu richterlichen Anhörungen zum Beispiel per Videokonferenz abzuhalten, sind im Gange, und das Ministerium ist dabei, uns mehr Möglichkeiten zu bieten."
So könnten zukünftig Fahrten zu Gerichtsterminen reduziert werden. Das würde vielerlei Ressourcen schonen. "Eine positive Nebenwirkung für den Vollzug ist, dass wir im Bereich der Digitalisierung Fortschritte machen – auch wenn es aus der aktuellen Not heraus geschieht. Zum Beispiel haben wir uns schon seit Längerem mit dem Thema Skype beschäftigt, doch jetzt hat es Gestalt angenommen." Vereinzelt finden allerdings noch Gerichtstermine statt, da die Fristen der Prozessordnung eingehalten werden müssen.
Trotz all der Widrigkeiten sind die Belegschaft, die Insassen und die Leitung gemeinsam gut durch diese Krise gegangen. "Unsere Mitarbeiter sind pflichtbewusst und nehmen ihre Aufgabe sehr ernst. Es freut mich für die Jugendvollzugsanstalt in Adelsheim, dass alle zusammenhalten. Wir sind gut aufgestellt."
Nach mehreren Wochen des Kontaktverbotes macht sich bei den Menschen in der Bevölkerung das Gefühl breit, sich eingesperrt zu fühlen. Ist das nun eine Möglichkeit, ein besseres Verständnis für die Situation der Inhaftierten zu entwickeln? "Wir können nun ein Stück weit erahnen und nachfühlen, was die Haft für die Jugendlichen bedeutet. Ich hoffe, dass man nun etwas mehr Verständnis für die Insassen aufbringen kann. Doch ich befürchte, dass dieses Verständnis nach der Krise wieder in den Hintergrund rückt", schätzt die Anstaltsleiterin die Situation ein.
Eine ihrer größten Sorgen ist, dass die Menschen nach der Krise alle Erkenntnisse, die sie während dieser Zeit gewonnen haben, schnell wieder vergessen und zu ihrem gewohnten Alltag zurückkehren. Eine wahrscheinlich berechtigte Sorge und vielleicht auch ein kleiner "gedanklicher Post-it" für alle, einige Dinge aus der Krise mitzunehmen und beizubehalten.