Ab 1875 hatte die jüdische Gemeinde in Hardheim ihren eigenen Friedhof am Schmalberg. Dort wurden bis 1939 insgesamt 93 Grabsteine aufgestellt, die heute noch von den jüdischen Familien zeugen. 1940 wurden die letzten Juden aus Hardheim deportiert. Foto: Rüdiger Busch
Hardheim. (hs/ahn) "Wir mussten am 22. Oktober in einer Stunde die Heimat verlassen und kamen am 25. hier an", schrieb die aus Hardheim stammende Jüdin Lina Selig am 4. November 1940 aus dem französischen Barackenlager Gurs an ihren Sohn Max. In dieses Internierungslager, in das die Nationalsozialisten sämtliche Juden aus Südwestdeutschland im Oktober 1940 deportierten, wurde auch sie mit ihrem Mann Abraham Selig gebracht - zusammen mit 15 anderen Juden aus Hardheim. Sie waren die letzten Mitglieder der jüdischen Familien, die dort ansässig waren - von ehemals 158 um das Jahr 1880, die damals 6,7 Prozent der Hardheimer Bevölkerung ausmachten.
Abraham Selig wurde 1869 in Hardheim geboren, wo er mit seiner Familie in der Walldürner Straße 28 wohnte. Bereits sein Vater Moses Selig begann mit dem Bau eines Hauses mit Lagerhalle und Werkstätte für Landmaschinen - dort, wo sich heute das Autohaus Günther befindet. Abraham übernahm das Geschäft und baute den Betrieb zur größten Eisenwaren- und Landmaschinenhandlung zwischen Heidelberg und Würzburg aus.
Wie viele Juden lebte er - auch nach dem Edikt von 1809 zur Gleichstellung der Juden Badens - vom Handel. Davor durften sie nämlich in der Landwirtschaft und im Handwerk gar keine Berufe ausüben. So fanden sich Anfang des 20. Jahrhunderts in der Hardheimer jüdischen Gemeinde einige Viehhändler wie etwa Liebmund Rosenthal und sein Sohn Sigmund, der zugleich noch eine Metzgerei betrieb. Doch es gab nicht nur Händler: Moses und Jeanette Hanft hatten eine koschere Gaststätte in der Holzgasse, Pfeifer Billigheimer war Gerber und Lederhändler, außerdem gab es noch einige jüdische Einzelhandelsgeschäfte.
Die Anfänge der Juden in Hardheim lassen sich durch Quellenbelege bis 1318 zurückverfolgen. Es liegt nahe, dass die jüdische Gemeinde schon damals eine gewisse Größe hatte. 1679 wird zum ersten Mal eine Synagoge genannt. Damals hatte ein aus dem Mainzer Gebiet verwiesener Jude in Hardheim Unterschlupf gefunden, nach einem Brief des Fürstbischofs von Würzburg vielleicht in der "daselbsten uffgerichteten Synagogii".
Die Hardheimer Synagoge vor 1933 ... Foto: Sieber
Wegen der wachsenden jüdischen Gemeinde wurde die bisherige Synagoge zu klein, weshalb 1805 die Hardheimer Juden eine Synagoge in der Judengasse, der heutigen Inselgasse, errichteten. Sie war ein einfacher Bau und bis zur Pogromnacht am 9. November 1938 der Mittelpunkt der jüdischen Gemeinde, die dort jeden Tag abends und morgens ihre Gottesdienste abhalten konnte.
Die Synagoge war in einem dreistöckigen Bau untergebracht. Im ersten Stock befand sich das Schulzimmer, wo den fünf- bis 13-jährigen Jungen das Lesen der hebräischen Texte beigebracht wurde. In dieser "Judenschul" blieben die Kinder bis zur Bar-Mizwa; daneben besuchten die jüdischen Kinder, wie die christlichen auch, die allgemeine Elementarschule (Volksschule) der Gemeinde. Die Gesamtanzahl der Schüler betrug nach einer Meldung der Gemeinde vom 19. August 1907 an den badischen Oberschulrat in Karlsruhe am 1. Dezember 1905.318, davon waren 28 jüdische Kinder.
... und heute. Foto: A. Hanel
Im zweiten Stock war der Betraum für die Männer und ein abgetrennter, kleinerer Raum für die Frauen. Im dritten Stock gab es neben einem kleinen Betraum noch einen weiteren Raum, wo unter anderem in einer Bibliothek religiöse Schriften sowie wichtige Bücher jüdischer Gelehrter aufbewahrt wurden. Dort fand auch der "Kiddusch", ein feierliches Essen, statt, das für die Gemeindemitglieder aus besonderem Anlass gereicht wurde.
Im Erdgeschoss war in einer Remise der Leichenwagen der jüdischen Gemeinde eingestellt. Die Inneneinrichtung war schlicht und den Verhältnissen der jüdischen Bevölkerung angepasst. An der Ostwand der Synagoge stand der "Aron haKodesch", der heilige Schrank, in dem die Thorarollen aufbewahrt wurden. In der Mitte befand sich die Bima, die Empore mit dem Tisch, auf dem die Thorarollen zum Vortrag gelegt werden.
1904 wurden Pläne für einen Neubau der Synagoge erstellt. Da die Gemeinde aber klein und daher nicht leistungsfähig genug war, konnte sie den Bau einer neuen Synagoge nicht stemmen.
Ein weiterer wichtiger Punkt des jüdischen Lebens stellt die "Mikwe", das rituelle Bad zur Wiedererlangung der Reinheit, dar. Zu deren Durchführung standen in Hardheim Badehäuser zur Verfügung. Einige davon waren privat, wie zum Beispiel auch im Haus der eingangs erwähnten Familie Selig. Abraham Seligs Vater, Moses, der 1898 starb, liegt auf dem Hardheimer Judenfriedhof begraben.
Dieser wird heute noch vom Gemeindebauhof Hardheim gepflegt. Bestatteten die Hardheimer Juden ihre toten Mitbürger vor 1875 noch auf dem Friedhof in Kühlsheim, kauften sie dann Grund und Boden außerhalb der Ortschaft am Schmalberg. Die letzte Beerdigung fand am 29. Januar 1939 statt, insgesamt lassen sich dort 93 Grabsteine finden.
Die Kontakte zwischen den Mitgliedern der christlichen und jüdischen Kirchengemeinde in Hardheim waren freundschaftlich und von gegenseitigem Respekt geprägt: Man spielte im Wirtshaus Karten, schwatzte miteinander und war zusammen in der Feuerwehr tätig. Auch die Seligs waren in Hardheim beliebt, wie noch lebende Nachbarn berichten: Als beispielsweise das Kind eines Nachbarn krank wurde und operiert werden musste, fuhr ihn Max Selig, Abrahams Sohn, nach Würzburg ins Krankenhaus, außerdem übernahm die Familie die Krankenhauskosten.
Allerdings änderte sich das alles schrittweise nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Bereits Mitte der 20er Jahre - so berichten Zeitzeugen - kam es auch in Hardheim zu einer anwachsenden Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung, zu einem latenten Judenhass und in der Folge zu Wegzügen. So lebten im Jahr der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 in Hardheim nur noch 55 Juden ...