Hans-Georg Vleugels legt in seinem Betrieb Wert darauf, so viel wie möglich von alten Orgeln zu erhalten, wie hier die Registratur einer Orgel. Foto: Jana Schnetz
Hardheim. (jasch) Das Jahr begann für Hans-Georg Vleugels, Geschäftsführer der Orgelmanufactur Vleugels, schwierig: "Ostern und Weihnachten sind Saisonhöhepunkte für uns, weil jede Pfarrei die Orgel in perfektem Zustand haben will." Normalerweise sei das die Zeit gewesen, in der seine Mitarbeiter ständig unterwegs zu den Orgeln seien, sie reinigen oder reparieren. Als die Corona-Pandemie im März Fahrt aufnahm, brach Vleugels das gesamte Ostergeschäft weg. "Die Pfarreien haben sich gefragt, warum sie die Orgel richten lassen sollen, wenn nichts stattfindet." Als Geschäftsführer in zweiter Generation mit 20 Arbeitnehmern im Betrieb, stand Vleugels vor der Entscheidung, zum ersten Mal Kurzarbeit anmelden zu müssen.
Doch die Senkung der Mehrwertsteuer auf 16 Prozent brachte die Kehrtwende. "Bei einer Orgel, wo es um 20.000 oder 50.000 Euro geht, macht das schon viel aus. Viele Kirchengemeinden, die Projekte vor sich hergeschoben haben, haben die Chance ergriffen, es dieses Jahr anzugehen", so Vleugels. Manchmal sei zum Zeitpunkt eines Orgel-Neubaus nicht genug Geld vorhanden, dann lasse man manche Reihen an Klangfarben unbesetzt, die zwar schön, aber nicht notwendig seien. Nach einigen Jahren würden die Pfeifen dann ergänzt. "So einen Fall haben wir jetzt in Freiburg: Drei Register wurden damals unbesetzt gelassen, und die bauen wir dieses Jahr noch ein", erklärt Vleugels. "Das war für uns kurios – da macht man sich im April noch Gedanken über Kurzarbeit, und auf einmal war das schlagartig weg."
Das kürzlich abgeschlossene Projekt in Windischbergerdorf sei auf andere Art und Weise "kurios" gewesen: Die Pfarrkirche St. Michael hatte noch nie eine Orgel. Man behalf sich mit einer elektronischen Orgel oder dem Harmonium. Vleugels entwarf einen ungewöhnlichen Neubau mit schräg stehenden Pfeifen sowie Holz- und Metallpfeifen im Orgelprospekt. "Das Ziel ist es, eine zeitgenössische Orgel zu liefern. Eine Orgel, die in unsere Zeit passt." Darunter versteht Vleugels auch die farbige Gestaltung des Orgelgehäuses. "Da kann man sagen, dass wir weltweit führend sind. Die erste farbige Orgel kam 1996, inzwischen haben wir 15 Orgeln mit Künstlern gemacht." Ungefähr alle zwei Jahre komme eine Orgel auf den Markt, die farbig sei. Die meisten jedoch würden das Gehäuse immer noch traditionell gestalten, erklärt Vleugels.
Grundsätzlich würde man immer versuchen, das Alte zu bewahren, so wie bei der Orgel aus Herrenbreitungen in Thüringen – ein weiteres Projekt aus diesem Jahr: "Da war noch sehr viel originale Substanz von 1735 vorhanden. Da entscheidet man sich nicht für einen Neubau, sondern man restauriert. Notdürftig haben wir acht Register spielbar gemacht bis es weitergehen kann."
Im Zuge der Mehrwertsteuersenkung nehmen nun viele Gemeinden die Restaurierung ihrer Orgeln in Angriff. Foto: Jana SchnetzFalls es Höhepunkte für Vleugels gibt, der jede Orgel als "sein eigenes Kind", bezeichnet, so war es die Generalüberholung der Orgel im Dom von Limburg. Vleugels schwärmte: "Das war eines der Highlights in diesem Jahr. Es war einfach schön, in einem Dom zu arbeiten und dass eine bedeutende Persönlichkeit wie der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Dr. Georg Bätzing, die Montagetechniker besucht hat. Er interessiert sich dafür und spielt selbst Orgel."
Derartige Geschichten begegnen Vleugels in seiner Arbeit ständig, und sie sind möglicherweise der Grund dafür, warum er das Handwerk enorm wertschätzen kann: "Jede Orgel ist individuell. Es gibt kaum zwei Orgeln, die gleich sind. Außer man baut zum Beispiel eine Tonorgel. Die Kirchenorgeln jedoch werden immer separat geplant und gestaltet." Das finge schon damit an, dass jeder Kirchenraum anders sei und jede Kirchengemeinde andere Voraussetzungen und Wünsche habe. Monatelang seien die Mitarbeiter damit beschäftigt, Zeichnungen der Orgel anzulegen und den Fertigungsprozess zu planen. "Dann kommt es zum Zusammenbau der Teile in der Montagehalle. Die Orgel wird hier komplett zerlegt und in der Kirche endgültig aufgebaut", fasst Vleugels zusammen. Dort, in der Kirche, überdauert die Orgel im besten Fall Jahrzehnte und Jahrhunderte.
Vleugel werde immer gefragt, was seine liebste Orgel sei, aber die gibt es in seinen Augen nicht: "Es ist immer die jüngste Orgel, in der das ganze Herzblut liegt." Aktuell ist dies Windischbergerdorf, und am geplanten Abschlusstermin am vierten Advent sei es die Orgel in Volkach bei Würzburg, so der Geschäftsführer.
Aber das ein oder andere Projekt blieb ihm in besonders guter Erinnerung: "Vor zwei, drei Jahren haben wir in Bayreuth die Orgel der Stadtkirche überholt und erweitert. Das sind zwei Orgeln – eine Hauptorgel und eine Chororgel. Beide hat man erweitert und einen mobilen Spieltisch gebaut. Man kann jetzt vom Hauptspieltisch und dem mobilen Spieltisch im Chorraum beide Orgeln gleichzeitig spielen. Das sind 92 Register." Vleugels hat es außerdem geschafft, dass ein Eigenbau in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul steht – der weiteste Ort, den eine Vleugels-Orgel bisher zurückgelegt hat.
Als Vleugels eines der zukünftigen Projekte aufzählt, leuchten seine Augen: "Eine neue Orgel im Konzertsaal der Karlsuniversität in Prag." Bei solchen Projekten werde Vleugels bewusst, dass man Teil der Kulturgeschichte des Landes sei. In diesem Sinne wolle man die "Vleugels-Orgel des 21. Jahrhunderts bauen und eine Neuschöpfung machen." Die Kunst des Orgelbaus ist weltweit begehrt. 2019 wurde das Handwerk sogar als Weltkulturerbe ausgezeichnet.