Flüchtlinge bauten 2015 eine Treppe an der Erstaufnahmeeinrichtung.
Hardheim. (adb) Im Spätsommer 2015 erlangte Hardheim ein bundesweites Medienecho. Grund dafür war die Unterbringung von stellenweise bis zu 1000 Asylsuchenden im Zuge der Flüchtlingskrise. Was fünf Jahre später nachwirkt und was sich in der Gesellschaft vielleicht veränderte, erörterte die Rhein-Neckar-Zeitung im Gespräch mit Holger Kniehl, Fachdienstleiter Ordnung und Verkehr am Landratsamt des Neckar-Odenwald-Kreises.
Wie viele Personen lebten maximal in der Bedarfsorientierten Erstaufnahmeeinrichtung (BEA) und in der Gemeinschaftsunterbringung (GU)?
Die dem Regierungspräsidium Karlsruhe unterstehende Erstaufnahmeeinrichtung in der Carl-Schurz-Kaserne war ab September 2015 bis einschließlich August 2016 in Betrieb. Die durchschnittliche Belegung der Einrichtung lag dabei im Jahr 2015 bei 523 Personen und im Jahr 2016 bei 150 Personen. Als Einrichtung des Landkreises versteht sich die Gemeinschaftsunterkunft. Sie verfügt derzeit über 195 Plätze, von denen aktuell 150 belegt sind. Im September 2015 konnten aufgrund der damals geltenden Regelung von 4,5 Quadratmetern Wohn- und Schlaffläche pro Bewohner – später waren es sieben Quadratmeter – insgesamt maximal 303 Personen in Hardheim untergebracht werden. Zum damaligen Zeitpunkt betrug die Gesamtkapazität aller elf Gemeinschaftsunterkünfte sowie der vom Landkreis angemieteten Wohnungen 1021 Plätze für die vorläufige Unterbringung. Die höchste Gesamtkapazität des Landkreises mit 35 Gemeinschafts- und Interimsunterkünften im August 2016 betrug 2678 Plätze.
Was war im Nachhinein besonders bemerkenswert?
Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, insbesondere der ehrenamtlichen Unterstützer, deren Hilfe wesentlich dazu beitrug, dass die Herausforderung bewältigt werden konnte. Ferner nahm der Landkreis, dem Leitsatz "Der Neckar-Odenwald-Kreis zeigt Herz" folgend, über seine Verpflichtung hinaus Geflüchtete auf und half damit, die Situation bei den Erstaufnahmeeinrichtungen zu entspannen. Auch wäre zu erwähnen, dass der Landkreis, um der monatlichen Aufnahmeverpflichtung nachzukommen, im Herbst 2016/Frühjahr 2017 neben bestehenden Gebäuden übergangsweise auch sogenannte Interimsunterkünfte errichtet und betrieben hat. So entstanden in Obrigheim, Buchen und Mosbach weitere 626 Plätze für männliche Einzelpersonen in Form von Zelthallen und einer umfunktionierten Möbelhalle. Die Belegung von anderen Objekten wie etwa Turnhallen wurde daher nicht erforderlich.
Sie haben die ehrenamtliche Unterstützung thematisiert. Welche Rolle spielten die Ehrenamtlichen – und vor allem auch die, die sich über einen längeren Zeitraum engagierten?
Wie bereits erwähnt, haben die ehrenamtlich Tätigen einen großen Beitrag geleistet und dafür gesorgt, dass die Flüchtlingsaufnahme im Landkreis funktionierte und die Geflüchteten im Landkreis ankommen und integriert werden konnten. In den Jahren 2015 und 2016 sind viele Ehrenamtliche engagiert gewesen beziehungsweise sind es heute noch. Hieraus haben sich zwölf noch heute aktive Ehrenamtskreise gebildet, welche die Geflüchteten aktiv unterstützen und sich im Rahmen von Netzwerktreffen gegenseitig austauschen.
Inwiefern war die Situation in Hardheim beispielgebend?
Die Kenntnisse und Erfahrungen der dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halfen bei der Einrichtung und dem Betrieb weiterer Unterkünfte.
Was wurde aus den Hardheimer Flüchtlingen?
Entsprechend den geltenden Regelungen des Flüchtlingsaufnahmegesetzes folgt spätestens 24 Monate nach Aufnahme des Geflüchteten durch den Landkreis die Zuweisung in die kommunale Anschlussunterbringung. Das heißt, der Geflüchtete verlässt die Unterkunft des Landkreises und wird von einer kreisangehörigen Kommune untergebracht, wenn er zwischenzeitlich selbst keinen entsprechenden Wohnraum im Landkreis gefunden hat. Nach unserer Einschätzung haben viele zwischenzeitlich eine zweite Heimat im Neckar-Odenwald-Kreis gefunden, dem Landkreis, in dem sie als Flüchtlinge aufgenommen wurden.
Hat das mit der kommunalen Anschlussunterbringung Ihrer Meinung nach funktioniert?
Grundsätzlich ja; es gab allerdins wegen fehlenden Wohnraums auch Flüchtlinge, die nicht sofort den Kommunen in die Anschlussunterbringung zugewiesen werden konnten und die daher längere Zeit in Gemeinschaftsunterkünften wohnten.
War die Situation tatsächlich so prekär, wie sie immer wieder dargestellt worden war?
Die Gesamtsituation in den Jahren 2015 und 2016 war eine große Herausforderung, die allerdings von den haupt- und ehrenamtlichen Akteuren bewältigt wurde.
Holger Kniehl. F: zg
So sah im Dezember 2015 der Alltagsbetrieb in der Bedarfsorientierten Erstaufnahmeeinrichtung in Hardheim aus. Fotos: Adrian Brosch