Die mit Starkstrom betriebenen Sirenen – hier auf dem Turm der Grundschule – werden am morgigen Donnerstag beim bundesweiten Warntag ausgelöst. Foto: Janek Mayer
Walldürn. (jam) Wer das charakteristische Auf und Ab einer Sirene hört, weiß sofort: Es ist Gefahr im Verzug. Bis Anfang der 90er Jahre gab es ein flächendeckendes Sirenennetz des Bundes, das ursprünglich die Bevölkerung vor möglichen Luftangriffen warnen sollte. Nach dem Ende des Kalten Kriegs hat der Bund dieses Sirenennetz allerdings aufgegeben. "Mit dem Fall der Mauer hat man die Gefahrenlage anders eingeschätzt", erklärt der Walldürner Hauptamtsleiter Helmut Hotzy. Doch einige Kommunen – darunter Walldürn – haben das Sirenensystem vom Bund übernommen. Und so heulen am bundesweiten Warntag um 11 Uhr die Sirenen in der Kernstadt und allen Stadtteilen auf.
Neun solcher Systeme trotzen bereits seit mehreren Jahrzehnten Wind und Wetter – eines in jedem Stadtteil und zwei in der Kernstadt. Aufmerksame Spaziergänger können sie dank ihres charakteristischen Pilzdachs auf dem Schloss und der Grundschule erkennen. Als noch der Bund das Walldürner Sirenennetz betrieb, gab es weitere Anlagen auf der Jugendherberge in der Heide, bei Braun, in der Kirschmerseihe, in der Kaserne, auf der Realschule und auf dem damaligen Krankenhaus (heute Geriatriezentrum St. Josef). Als aber die Stadt für Wartung und Unterhaltung der Sirenen bezahlen musste, entschied man sich, die Anzahl zu reduzieren.
Einst dienten sie vor allem zur Warnung im Verteidigungsfall. Foto: Janek MayerAber: "In den Stadtteilen benötigen wir die Sirenen auch heute noch dringend", sind sich Hauptamtsleiter Hotzy und Stadtkommandant Sascha Dörr einig. Zwar setzt die Feuerwehr inzwischen auf die stille Alarmierung mittels Funkmeldeempfänger, "weiße Flecken" etwa auf der Walldürner Höhe verhindern jedoch weiterhin, dass die Alarmierung per Funk alle Einsatzkräfte in den Stadtteilen mobilisiert. Deshalb fährt die Feuerwehr dort zweigleisig und alarmiert sowohl laut als auch digital.
Denn Sirenen gelten zwar zu Recht als zuverlässiges Warnmittel, sie liefern den Alarmierten aber weder Informationen zur Gefahr noch Empfehlungen, wie sie sich zu verhalten haben. "Sie können nur den Dauerton und den Heulton", sagt Sascha Dörr. Anfang der 80er Jahre offenbarte eine Verkettung unglücklicher Umstände genau dieses Manko des Walldürner Sirenensystems.
Sowohl Dörr als auch Hotzy können sich noch gut daran erinnern: Es war Anfang der 80er Jahre, als bei Helmut Hotzy zu Hause das Telefon klingelt. "Die Sirene auf dem Schloss heult schon seit einigen Minuten ohne Unterbrechung", teilt ein Anrufer dem Bediensteten der Stadt mit. Viele Anwohner in der Innenstadt wundern sich bereits, vor welcher Gefahr gerade gewarnt wird. "In der Bevölkerung herrschte helle Aufregung", merkt Dörr an. Kurzerhand macht sich Hotzy mit dem damaligen Feuerwehrkommandanten auf den Weg zur Quelle des Alarmsignals. Als beide am Schloss ankommen, steht für sie fest: Das muss eine Fehlfunktion sein. Damit die Walldürner Bürger nicht weiter verunsichert werden, drehen sie im Erdgeschoss des Schlosses die Sicherung des Steuerungskastens heraus – und der Spuk hat ein Ende. Erst deutlich später erfährt Hotzy, was die Alarmierung ausgelöst hatte: "Ein Auto war auf einen Schaltkasten der Deutschen Post gefahren und hatte einen Kurzschluss ausgelöst."
Damals war es noch üblich, dass Bürger, die ein Feuer melden wollten, bei der Stadt anriefen. "Abends und am Wochenende wurde die Leitung auf den Privatanschluss des Feuerwehrkommandanten umgeschaltet", erinnert sich Hotzy. Ähnlich kurios mutet mittlerweile das Vorgehen bei den damaligen Kreisalarmierungsübungen an. Die Meldungen gaben die Hauptamtsleiter der Gemeinden telefonisch untereinander weiter. Buchen alarmierte also Walldürn, das wiederum Hardheim und Höpfingen benachrichtigte.
Inzwischen steuert das Landratsamt in Mosbach alle kommunalen Sirenen des Kreises zentral an. Was inzwischen per Funk läuft, war früher nur über den Telefonanschluss möglich. Das hatte zum Beispiel für den heute weltberühmten Künstler Anselm Kiefer Konsequenzen. Er hatte die ehemalige Schule in Hornbach erworben und 1971 den Dachboden in ein Atelier umgewandelt. Weil auf dem ehemals öffentlichen Gebäude die örtliche Sirene angebracht war, legte ihm die Stadtverwaltung einen Vertrag vor, der besagte, dass man im Katastrophenfall seinen privaten Telefonanschluss kapern werde.
Wenn der Walldürner Feuerwehrkommandant heute eine oder mehrere Sirenen auf der Höhe einschalten möchte, genügt ein Anruf bei der Feuerwehrleitstelle in Mosbach. Zudem gibt es zu jeder Sirene einen Steuerungskasten, mit dem der Alarm manuell ausgelöst werden kann. Sobald man dort auf den roten Knopf drückt, erzeugt ein Elektromotor mit einem Rotor einen Luftstrom, der gegen das schlitzförmig unterbrochene Gehäuse gerichtet wird und so den Warnton erzeugt. Die mechanische Sirene braucht Starkstrom, um überhaupt anzulaufen.
Stadtkommandant Sascha Dörr (l.) und Hauptamtsleiter Helmut Hotzy – hier vor dem Steuerungskasten in der Grundschule – sind mit dem Sirenensystem bestens vertraut. Foto: Janek MayerWeil das bei vielen Sirenen nicht mehr allzu oft vorkommt, passiert es nicht selten, dass Tiere die Anlagen zweckentfremden. "Wenn wir den Alarm auslösen, aber es tut sich nichts, lag das auch schon einmal daran, dass ein Vogel in der Sirene sein Nest gebaut hat", erzählt Helmut Hotzy. Das Problem lässt sich bei der Grundschule mit etwas Treppensteigen bewältigen, für Arbeiten an der Sirene auf dem Schloss muss dagegen die Feuerwehr mit ihrer Drehleiter anrücken.
Und die Sirenen sind mittlerweile allesamt in die Jahre gekommen. "Die Wartung wird immer aufwendiger, manche Teile werden nicht mehr nachgebaut", erklärt Hotzy. Das stelle die Verwaltung vor neue Probleme: "Was machen wir mit den Sirenen, was soll zur Nachfolge kommen?" Eigentlich bräuchte man in Walldürn Hochleistungssirenen und mehr Standorte, sagt Sascha Dörr. "Die beiden alten Sirenen leuchten die Kernstadt definitiv nicht aus."
Abwegig ist dieser Schritt nicht. Billigheim zum Beispiel hat bereits solche modernen Sirenen installiert – vor allem aus Konsequenz auf die Unwetterkatastrophe vom Mai 2016, als nach einem Starkregen Wasser-, Schlamm- und Geröllmassen durch die Orte peitschten. Die neuen Sirenen können nun die Bevölkerung mithilfe von individuellen Sprachdurchsagen sogar auf verschiedene Gefahrenlagen hinweisen.