Von Rüdiger Busch
Neckar-Odenwald-Kreis. Für den Ausbau der Windenergie werden Bäume gerodet, die Lebensräume von Tieren und Pflanzen zerstört und gravierende Eingriffe in die Landschaft vorgenommen. Wie verträgt sich das mit dem Umweltschutzzielen der Energiewende? Ist dies ein unüberwindbarer Gegensatz? Nein, sagen der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Naturschutzbund Deutschland (NABU): "Windenergienutzung und Naturschutz schließend sich nicht aus, wenn der Windenergieausbau richtig geplant wird."
Was dies genau bedeutet, darüber haben wir in Stuttgart mit den Projektleitern des von den beiden Naturschutzverbänden ins Leben gerufenen "Dialogforums Erneuerbare Energien und Naturschutz", Dana Marquardt (NABU) und Dr. Martin Köppel (BUND).
Wie reagiert der Naturfreund, wenn er in der Landschaft ein Windrad entdeckt - lacht das Herz, oder blutet es?
Köppel: Bei mir - und bei vielen unserer Aktiven - schlagen da zwei Herzen in der Brust. Deshalb müssen wir beim Ausbau der Erneuerbaren Energien die Belange des Naturschutzes beachten. Wenn vor Ort ordentlich geplant wird und beides Aspekte berücksichtigt werden, dann gelingt ein naturverträglicher Ausbau der Windkraft, und beide Herzen können lachen.
Und was heißt das in der Praxis?
Marquardt: Entscheidend ist die Standortwahl. Selbst durch kleine Anpassungen können beim Thema Artenschutz mögliche Konflikte aus dem Weg geräumt werden.
Windparks in Wäldern sind seit Jahren im Kommen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Köppel: Windparks in Wäldern sind nicht tabu. Wir haben in Baden-Württemberg mit 38 Prozent Flächenanteil sehr viel Wald, und ein großer Anteil der windhöffigen Gebiete liegt in Wäldern. Vor allem durch Monokulturen haben wir Wälder, die keine hohe naturschutzfachliche Qualität besitzen. Hier können Windkraftanlagen errichtet werden. Anders sieht es in alten Wäldern aus, in denen es Bäume gibt, die zum Teil über 140 Jahre alt sind. Dort besteht eine große Artenvielfalt, die nicht zerstört werden darf. Diese müssen daher aus Sicht von BUND und NABU tabu sein.
Sind Windparks in Gebieten, in denen geschützte Vogelarten wie zum Beispiel der Rotmilan brüten, tabu?
Marquardt: Nicht generell. Entscheidend ist die Frage, wie der Rotmilan den Raum nutzt. Bei der Raumnutzungsanalyse lässt sich feststellen, wo genau der Horst liegt und wo die Jagdgebiete. Dazwischen sollte dann kein Windrad stehen.
Köppel: Deshalb ist der gesetzlich vorgegebene Schutzradius von 1000 Meter um einen Horst nicht immer der richtige Weg. Der Schutz der Vögel ist mit pauschalen Abständen nicht zu erreichen. Beim Rotmilan liegt der Horst häufig am Waldrand, und sein Jagdgebiet ist das angrenzende Feld. Deshalb kann in diesem Fall ein Windrad durchaus 700 Meter vom Horst entfernt im Wald errichtet werden. In einem anderen Fall kann aber auch ein deutlich höherer Abstand nötig sein, wenn etwa ein großes Nahrungshabitat zwischen dem Horst und dem geplanten Standort liegt. Aktuell hat die Landesanstalt für Umwelt Messungen und Naturschutz (LUBW) Hinweise zum Umgang mit windkraftempfindlichen Vogelarten veröffentlicht, das klar regelt und zeigt, wo Windenergieanlagen gebaut werden können und wo nicht.
Solche Flugkartierungen werden häufig vom Projektierer in Auftrag gegeben, der natürlich daran interessiert ist, dass der geplante Windpark auch gebaut werden kann. Besteht da die Gefahr, dass "Gefälligkeitsgutachten" entstehen, wie Kritiker behaupten?
Köppel: Generell ist so etwas natürlich denkbar. Aber mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Büro Ergebnisse verfälscht hätte. Dies wäre verheerend für den Ruf eines solchen Fachbüros. Die Untersuchungen werden ja von den Naturschutzbehörden überprüft, und auch den Naturschutzaktiven vor Ort würde es sicherlich auffallen, wenn ein solches Gutachten mit ihren über Jahre gewonnenen Erkenntnissen nicht übereinstimmen würde.
Gleich zwei positive Praxisbeispiele aus ihrer Broschüre "Windenergie & Artenschutz" stammen aus dem Windpark "Großer Wald" in Hettingen. Was wurde dort besonders gut gemacht?
Köppel: Bei der Planung und Abstimmung ist dort sehr vieles gut gelaufen. Es gab eine Miteinbeziehung der Umwelt- und Naturschutzverbände vor Ort, was sich auf die Standortauswahl positiv ausgewirkt hat. Beispielhaft ist zum Beispiel ein Bepflanzungskonzept für die unmittelbare Umgebung der Anlagen, welche den Bereich rund um die Windenergieanlage für Greifvögel unattraktiv gestaltet und somit das Kollisionsrisiko minimiert hat. Außerdem wurden fast fünf Hektar Wald dauerhaft aus der Nutzung genommen, und es wurden 30 Fledermauskästen als Ausgleichsmaßnahmen angebracht.
Haben Sie Verständnis, dass sich Bürger gegen Projekte vor ihrer Haustüre wehren, weil sie eine Zerstörung des gewohnten Landschaftsbildes verhindern möchten?
Marquardt:Jede Meinung zählt, und wir müssen die Befürchtungen der Menschen ernst nehmen. Das Problem ist aber, dass jeder gerade seine Landschaft und seine Region für besonders schützenswert hält. Wir müssen auch schauen, wie es mit den anderen Energieerzeugungsarten aussieht: Ist der Braunkohletagebau, ein Atomkraftwerk oder eine Ölraffinerie etwa schöner als ein Windrad?
Immer mehr Vorhaben stoßen vor Ort auf heftigen Widerstand: Soll die Politik dessen ungeachtet diese Projekte weiter vorantreiben, oder gelingt der Ausbau der Windkraft nur mit den Bürgern?
Köppel: Die Beteiligung der Bürger ist aus unserer Sicht von zentraler Bedeutung. Ein naturverträglicher Ausbau der Windkraft funktioniert nur mit Einbeziehung der Menschen vor Ort. Bürgerbeteiligung heißt für mich, die Pläne frühzeitig offenzulegen und die Bürger an den Planungen zu beteiligen - und nicht nur, sie darüber zu informieren. Nur so kann eine breite Akzeptanz erreicht werden.