Am "Langen Tisch" übergab das Kerwepaar Claudia und Karsten Fath (3. und 2. v. r.) Kuchen und Wein an OB Heiner Bernhard (M.) und dessen Frau Gudrun (3. v. l.). Daneben Peter Gérard (r.) sowie Renate und Karl Lohrbächer (v. l.). Fotos: Dorn
Von Günther Grosch
Weinheim. Ein Hauch von Melancholie und Abschieds-Stimmung wehte am gestrigen Freitagnachmittag über den Marktplatz, als Oberbürgermeister Heiner Bernhard - wie aus diesem Anlass von ihm gewohnt in Tracht und mit Dreispitz auf dem Kopf - auf dem Balkon des Alten Rathauses zum letzten Mal in offizieller Mission zum Mikrofon griff. Und auch die von ihm in den 16 Jahren seiner Amtszeit geübte Tradition, die Kerwe in gereimter Form zu eröffnen, behielt Bernhard an der Seite von Ehefrau Gudrun Tichy-Bernhard und seines designierten Amtsnachfolgers Manuel Just bei.
"Wer die Wahrheit im Weine sucht, sollte nicht schon nach dem ersten Glas aufhören": Lützelsachsens Winzerkönigin Maria I. sprach in ihrem Trinkspruch auch für ihre Prinzessinnen Christin und Laura, für Weinkönigin Sophie I. und Prinzessin Sofia aus Schriesheim, die Wein- und Blütenprinzessinnen Elena II. und Jacky aus Hemsbach sowie Weinheims Blütenprinzessin Svenja I. Politiker aus Bund, Land und Stadt rundeten gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Heimat- und Kerwevereins Alt Weinheim, Peter Gérard, das bunte Bild auf dem Balkon ab.
Eine Etage tiefer hatten sich Hunderte Weinheimer Bürger und "Roigeplackte" um den Marktplatzbrunnen versammelt. Wo zunächst die Volkstänzer des Heimat- und Kerwevereins Alt-Weinheim unter der Regie der Musikkapelle Gorxheimertal den Ton angaben. Gemeinsam mit dem amtierenden Kerwe-Brautpaar Claudia und Karsten Fath tanzte der griechisch-deutsche Freundeskreis Philia das "Mädchen mit dem roten Mieder".
"Die beste Nachricht zuerst": Die wegen der anhaltenden Trockenheit bis zuletzt auf der Kippe stehende Durchführung der Schlossparkillumination "Nacht der 1000 Lichter" findet statt. Erleichterung sprach bei dieser Ankündigung nicht nur aus den Worten von Peter Gérard, die mit Beifall honoriert wurden.
Von "Ausscheiden" sei in den vergangenen Tagen und Wochen viel gesprochen und diskutiert worden, so der Vorsitzende des Heimat- und Kerwevereins. Über das Ausscheiden der Deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Russland ebenso wie über den drohenden Verkauf der Windeck an einen Investor. Mit dem Ausscheiden von Heiner Bernhard aus dem Amt des Oberbürgermeisters stehe Weinheim ein weiterer Verlust ins Haus.
Gastfreundschaft sei eine Weinheimer Stärke. Fremde als Gäste willkommen zu heißen, stelle eine Kurpfälzer Art und Teil der eigenen Werte dar, so Bernhard in seiner 19 Strophen langen mundartlich gefärbten Begrüßung. "Lang hamma so ä Werbung net g’hat", erinnerte Bernhard an das Landesturnfest und die daran teilnehmenden rund 13.000 Aktiven.
Die OB-Wahl sei "klar entschieden" worden: "Un der Just is uns als Sieger viel wert", goss der Noch-Amtsinhaber seinen und des Volkes Zorn über Mitbewerberin Fridi Miller aus, "weil ihr’n Einspruch uns Verdruss beschert". "Des därf doch jetzt bei Gott nett soi, dass so ä komisch Weibsbild uns …": Nein, was ihm dazu einfalle, lasse sich nicht reimen, so der OB. "Ich frah mich wie e Sunneblum": Für ihn sei am Samstagabend OB-Feierabend, freute sich Bernhard auf seinen dann beginnenden Un-Ruhestand. Nach 16 Jahren Pflicht komme jetzt der Genuss, "steigt ma de Stadtrat de Buckel nuff". Die Zeit mit seinen Weinheimern Bürgern "mer hot se g’falle", so Bernhard. "Schaffe un Feiern" hätten Spaß gemacht. Doch jetzt sei es Zeit, in Pension zu gehen. "S’Lewe genieße! Schee wird’s wern. Des wär doch gelacht!"
Schade, dass der OB nicht noch einmal für eine weitere Amtszeit kandidiert habe, bedauerten viele Bürger bei der von der RNZ an sie gestellten Frage. Der 61- Jährige habe während der zurückliegenden 16 Jahre "vieles auf den Weg gebracht, in Bewegung gehalten oder vollendet". Darüber hinaus habe sich Bernhard auch überregional Respekt verschafft und Weinheim vorangebracht. Kritische Anmerkungen zu seiner Person seien zur Kerwe fehl am Platz. Auch darin waren sich die bereits im Feier- und Schwamm-Drüber-Modus befindlichen Menschen einig.
Die Weinheimer Kerwe stehe für eine gelungene Mischung aus Brauchtum und Tradition auf der einen und ausgelassener Partystimmung auf der anderen Seite, so Peter Gérard wenig später bei der Eröffnung des im Gerberviertel für geladene Gäste aufgebauten "Langen Tischs". Jahr für Jahr erlebe man aufs Neue, dass dies kein Widerspruch in sich sein müsse. Gérard: "Genau diese Kombination macht die Kerwe für alle Altersgruppen interessant".
Bereits seit 1925 zählt der sogenannte "Ratstrunk" mit zur Kerwetradition. Claudia und Karsten Fath überreichten OB Bernhard neben dem Wein den dazugehörenden "Guglhupf mit Rosinen" zur "Verteilung an das arme Volk". Seine "vorletzte Amtshandlung" vollbrachte Bernhard schließlich mit dem obligatorischen Fassbieranstich. Und zeigte mit dem Holzschlegel "ein allerletztes von gefühlt 100 Mal" Zielsicherheit beim "Erstschlag", ohne dass auch nur ein Tropfen des Gerstensafts verloren ging.
Die ersten Gäste bevölkerten schon früh die Kerwe - sei es auf dem Rummel in der Rote Turmstraße ...
... oder auf dem Hutplatz.