Vom "Wegeverpächter" zum Gastgeber
Philipp Weber
Weinheim. Als die Corps-Studenten am Donnerstagabend ins Alte Rathaus strömen, entsteht vor der Tür ein Stau: Ein studentischer Posten steht am Eingang. Offenbar soll er die Namen der Ankommenden mit einer Liste abgleichen, auf der geladene Gäste stehen. In der Schlange wartet ein drahtiger Mann, der anstelle von Pekesche und Studentenmütze einen Anzug trägt. Eine elegant gekleidete Frau begleitet ihn. Diese darf zuerst eintreten. Trotzdem wartet der Anzugträger ab, bis der Posten ihn anschaut. "Just, ich bin der Bürgermeister", stellt er sich vor. OB Manuel Just erhält sofort Einlass. Schließlich soll er Studenten und Alte Herren willkommen heißen.
Es gibt Stadtoberhäupter, die derartige Situationen anderes händeln - mit einem Lachen und einem Klaps auf die Schulter. Alt-OB Heiner Bernhard zählt an diesem Abend zu den geladenen Gästen. Ebenso wie die Fraktionschefs von CDU und Freien Wählern, Holger Haring und Günter Bäro. Beide unterhalten sich angeregt mit Bernhard. Stichwort: Kommunalwahlen.
Dieses Thema wird in den Reden zwar nicht erwähnt; die Wahlen vom Sonntag und der gerade beendete Auszählmarathon sind indessen der Grund dafür, dass der Empfang für die Spitzen der "Weinheimer" Corpsverbände im Alten Rathaus stattfindet und nicht im Schlosssaal.
Neu-OB Just legt sich die Amtskette an. Es ist der erste Anlass, zu dem er sie trägt. Eigentlich lerne er die Corps-Angehörigen gerade erst kennen, doch es fühle sich ein wenig an, als "seien wir alte Bekannte - wobei die Betonung auf Bekannte liegt, nicht auf alt", so Just. Als Hirschberger Alt-Bürgermeister habe er einen Bezug zum Wachenberg, immerhin gehöre das Gelände rund um die Burg der Nachbargemeinde. "Ich war quasi Ihr Wegeverpächter", so Just. Auf den witzigen Einstieg folgt der traditionelle Rundflug über Weinheims Entwicklungen.
Marktplatzszenen am frühen Abend des gestrigen Vatertags: Nicht-studentische Weinheim-Besucher (im Vordergrund) schauen dem Treiben von Corps-Studenten und Alten Herren staunend zu. Fotos: Kreutzer
Angefangen beim 25 Millionen Euro schweren Bau des "Schulzentrums West", über die Bebauung der Hinteren Mult ("Der Gemeinderat hat meiner Meinung nach korrekt entschieden"), die RNV-Großbaustelle bis hin zum Umbau der Karlsberg-Passage. Die Gäste hören höflich zu, ein leichter Bierdunst liegt in der Luft, gerade die Jüngeren haben schon etwas glasige Augen.
Wer nicht im Saal ist, feiert auf dem Marktplatz weiter. Hier findet am Abend des Himmelfahrtstages das - selbstverständlich - traditionelle Platzkonzert statt. Immerhin treffen sich bis Sonntag um die 2500 Corps-Angehörigen in der Zweiburgenstadt, am Samstag steht der Höhepunkt der Tagung an: der studentische Fackelzug. Während Just spricht, dringt schon der eine oder andere Jubelschrei an die Fenster des Alten Rathauses. Da passt es nur zu gut, dass der OB auf eine neue Attraktion aufmerksam macht: der "Weincontainer" auf der Terrasse des Schlossparkrestaurants hat eröffnet.
Der studentische "Vorort" (Tagungsleiter) des Weinheimer Senioren Convent, Falko Kerl, bedankt sich für die Gastfreundschaft der Weinheimer. Der 25-Jährige studiert Energiesystemtechnik an der Technischen Universität Clausthal und repräsentiert das Corps Borussia.
Für den Altherrenverband spricht dieses Mal ebenfalls ein jüngerer Mann: Vorstandsmitglied Daniel Saftig vertritt seinen Vorsitzenden, der verhindert ist. Vielleicht würden die Corps-Angehörigen nicht immer ihren eigenen Ansprüchen gerecht, gibt er sich ein wenig selbstkritisch. Doch wenn man(n) im Verlauf der Weinheim-Tagung eines zeigen könne, dann seien dies Werte wie Freundschaft und Zusammenhalt. Und das über Generationen hinweg. Er wüscht OB Just, dass ihm die Offenheit aus den ersten Tagen im Amt erhalten bleibt. Dann gibt es die Gastgeschenke, von denen auch Feuerwehr und Mittagstisch profitieren.