Von Günther Grosch
Weinheim. Die Zweiburgenstadt blüht auf – und das nicht nur, weil seit einer Woche die Blumenläden wieder öffnen dürfen. Auch die übrigen Einzelhändler atmen am Montag tief durch. Zu verdanken haben sie dies den Bürgern in Weinheim und dem Rhein-Neckar-Kreis, die durch ihr umsichtiges Verhalten die Corona-Inzidenz-Zahlen unter die 50er-Grenze fallen ließen und damit die Öffnung ermöglichten.
Im Gespräch mit der RNZ verleihen die Händler ihrer Hoffnung Ausdruck, dass alle vernünftig bleiben. Dann könne es vielleicht dauerhaft vorbei sein mit dem Lockdown, heißt es in der Fußgängerzone, der Nördlichen Hauptstraße, der Weinheim-Galerie sowie an der Bahnhofstraße.
Ähnliches gilt für die Kundschaft. Gerdi Walter stößt angesichts des "Gefühls, endlich wieder Shoppengehen zu dürfen" einen Seufzer der Erleichterung aus. Natürlich gilt weiter die Vorschrift, laut der die Kundenanzahl je nach Größe des Geschäfts reduziert bleibt. "Aber der Anfang ist gemacht", so der Vorsitzende des "Lebendigen Weinheim", Christian Mayer. In seinem Floristikladen hofft man darauf, dass Kunden aus Mannheim herüberschwappen. Dort sind die Inzidenzzahlen so hoch, dass eine Öffnung ohne vorherige Terminabsprache noch in weiter Ferne zu liegen scheint. "Schlimm" fände es Mayer, wenn das Öffnen der Läden nur für kurze Zeit möglich wäre.
Der Albtraum sei noch lange nicht vorbei, macht "Bellissima"-Chefin Christl von Steht aus ihrer Besorgnis kein Geheimnis, während ein Stammkunde auf ein "kurzes Hallo" hereinkommt. Trotz Schwierigkeiten beim Erhalt der zugesagten Überbrückungsgelder und dem "bedrückenden Drumherum" sei Aufgeben für sie kein Thema: "Nicht unter dieser Prämisse."
Erleichterung pur: Weinheims kleine Bekleidungsgeschäfte dürfen wieder öffnen. Fotos: Dorn"Erleichterung" über die Möglichkeit der Wiedereröffnung nach gut drei Monaten Lockdown herrscht in der Burgenpassage bei Sebastian Kerner vom Geschäft "Englert zieht an". Gerade im Textilbereich habe der Lockdown viel Kapital gebunden. Das Lager sei voll, die Frühjahrskollektion dränge nach. Vor allem hoffe er, dass die Kundschaft in der spürbaren allgemeinen Verunsicherung die Öffnung wahrnimmt. "Die Modebranche lebt entscheidend von der Laufkundschaft. Schlimm wäre es, wenn man nach kurzer Zeit wieder schließen müsste, weil bei einem ständigen Auf-und-zu die Planbarkeit verloren geht."
Ist die Lage in der Innenstadt, was die Menschenströme betrifft, anfangs noch überschaubar, so ändert sich dies von Stunde zu Stunde. "Gute Stimmung" herrscht auch im Modegeschäft "Nara". Sie habe ihre Stammkundinnen per E-Mail und über die Social-Media-Kanäle über die Öffnung informiert, sagt Filialleiterin Angela Bartsch. Was die Kundinnen nicht nur "zum Stöbern" nutzen, wie sich zeigt.
In Schwung versetzt sehen sich auch die in der Fußgängerzone vor vielen Geschäften drapierten Kleidergondeln. "Schunn e bissl gucke tut so gut", zeigt sich eine Weinheimerin bei "Weczera" "shoppingmäßig total ausgehungert". Für sie sei es eine Wohltat, wieder stöbern zu können. "Es ging sofort richtig los", so die Verkäuferinnen Gerda Richter und Inge Brendel. Zu Hause sei es ihr nach der langen Zeit zu langweilig, deshalb habe sie "die erste Gelegenheit genutzt", wieder in die Stadt zu gehen, "ehe alles wieder rum ist", so eine andere Kundin, die einen Pyjama ersteht und sich noch einen Bademantel zurücklegen lässt.
Die Gondeln mit Modeaccessoires kommen wieder in Schwung. Foto: DornEr setze auf die Vernunft der Menschen, gibt sich Rafael Barth aus dem "Weltladen" positiv gestimmt. Wie so viele hofft er auf die rasche "Durchimpfung" der Bevölkerung. "Wir freuen uns, euch wieder in die Augen zu schauen", heißt ein Schild am Eingang der Buchhandlung Beltz im Atrium die Leseratten willkommen. Auch bei Geschäftsführer Paul Herrmann bleibt die Sorge, dass die Inzidenzen wieder nach oben schnellen. Im Augenblick aber sei "Aufatmen" angesagt. Spricht’s und schenkt einem jungen Bücherfreund einen von 1000 lustigen Grüffelo-Luftballons. Und auch die beiden Streifenbeamten der Polizei, die ein wachsames Auge auf die Passanten haben, sind zufrieden: "Fast alle tragen Mund-Nasen-Masken und halten Abstand." Ein Frühlingstag, wie er in Zeiten von Corona kaum schöner sein kann.