"Das empfinde ich als schmerzliche Lücke"
Stolperstein-Initiatorin Kiessling bedauert, dass es in Großsachsen kein jüdisches Leben mehr gibt - Künstler Demnig hält Vortrag

Die 52-jährige Jeannet-Susann Kiessling vor dem Haus in der Landstraße 6. Hier sollen noch in diesem Jahr drei Stolpersteine verlegt werden. Foto: Dorn
Von Annette Steininger
Hirschberg-Großsachsen. Wenn man mit Jeannet-Susann Kiessling in Großsachsen einen Kaffee trinkt, wird das Gespräch immer mal wieder unterbrochen. Es scheint, als kenne sie Gott und die Welt. Und das, obwohl die "Ur-Großsachsenerin", wie sie sich selbst nennt, den Ort im Alter von 19 Jahren verlassen hat. Aber auch wenn Kiessling mittlerweile in Palo Alto (USA) lebt, ist sie immer wieder zu Besuch in der Heimat. Die RNZ hat sich mit der Initiatorin für Stolpersteine in Großsachsen getroffen und nach den Gründen für ihr Engagement gefragt.
"Ich beschäftige mich schon seit einiger Zeit mit dem Vorhaben, eine Stolpersteinverlegung zu organisieren", sagt die 52-Jährige. Wie berichtet, hat der Gemeinderat der Verlegung von drei Stolpersteinen im Oktober vergangenen Jahres nicht-öffentlich zugestimmt. Über das positive Ergebnis freut sich Kiessling. Sie habe die Idee der Stolpersteine schon immer gut gefunden, "nämlich das Gedenken an den Holocaust zu personalisieren".
Dass sie sich für die Aktion in Großsachsen einsetzt, hat auch einen persönlichen Hintergrund: In dem Haus in der Landstraße 6, vor dem die Stolpersteine verlegt werden sollen, wohnten ihre Urgroßeltern, ihre Oma und ihr Vater, Rudi Frößinger. "Ich kann mich sehr gut an die Erzählungen meiner Oma über die jüdische Familie Buchheimer erinnern", sagt Kiessling. Diese betrieb hier einst einen Pferdehandel. Noch heute ist ein Pferdekopf am Haus montiert.
"Meine Oma war sicherlich keine Widerstandskämpferin, aber sie hatte Mitgefühl", erzählt die promovierte Politologin. Für sie sei klar gewesen: "Das sind unsere Nachbarn." Daher brachte sie auch Milch zu den Juden im Ort, obwohl deren Essensversorgung von den Nazis verboten worden war. Damals lebten in Großsachsen vier jüdische Familien. "Dass es heute kein jüdisches Leben mehr an meinem Heimatort gibt, habe ich immer als eine schmerzliche Lücke empfunden", sagt Kiessling. Als sie dann noch im Jahr 2015 über die Stolpersteine in der Heidelberger Weberstraße "stolperte", fing sie an, aktiv zu werden. Sie nahm Kontakt mit den dortigen Stolperstein-Initiatoren auf, die ihr Kontakte an der Bergstraße vermittelten. Und so kam sie auf Professor Erhard Schnurr, dem Experten für jüdische Geschichte in Hirschberg, der sie mit seinen Rechercheergebnissen zur Familie Buchheimer versorgte. Daraus ging hervor: "Julius Buchheimer (geboren 1860) heiratete 1893 Johanna Süß aus Lampertheim. Er starb am 4. Februar 1919 in Großsachsen und ist auf dem jüdischen Friedhof in Hemsbach begraben. Das Ehepaar lebte in Großsachsen im Haus an der Landstraße und hatte zwei Kinder: Lilli Buchheimer (geboren am 12. September 1894 in Großsachsen) heiratete 1920 den Arzt Benno Liegner und lebte mit ihm in Breslau. Sie wanderten 1936 mit ihren zwei Kindern in die USA aus. Henri Buchheimer (geboren am 30. Juli 1896 in Großsachsen) übernahm den Pferdehandel seines Vaters in Großsachsen und wanderte mit seiner Mutter Johanna und seiner (zweiten) Ehefrau im Juli 1938 in die USA aus".
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Dort leben auch immer noch Nachfahren von Buchheimers. Eine von ihnen war 2016 zu Besuch in Hirschberg. Gemeinsam mit Schnurr besuchten sie das Haus ihrer Vorfahren sowie die Synagoge in Leutershausen. Auch sie würde es begrüßen, wenn mit Stolpersteinen an ihre Familie gedacht werde, sagt Kiessling.
Die dreifache Mutter wurde aktiv, holte die Zustimmung des Hauseigentümers der Landstraße 6 ein, hatte ein Gespräch mit Bürgermeister Manuel Just und nahm Kontakt mit allen im Gemeinderat vertretenen Parteien und Wählervereinigungen auf. Auch von dieser Seite erfuhr Kiessling Unterstützung.
Eine Sache galt es noch zu klären: Henri Buchheimer hatte vor seiner Flucht kurzzeitig wahrscheinlich in Mannheim gelebt. Kiessling fragte daher bei der "Stiftung Stolpersteine" nach, ob dies der Vorgabe - "letzter selbstgewählter Wohnort" - im Wege steht. Die Initiatorin geht davon aus, dass der Umzug nach Mannheim nicht frei gewählt und der erste Schritt in die Flucht war. Künstler Gunter Demnig, der die Stolpersteine auch in Großsachsen verlegen wird, gibt auf RNZ-Nachfrage Entwarnung. Dieses Kriterium werde ganz und gar nicht streng gehandhabt. "Das gilt nur als Absicherung, falls jemand anzweifelt, ob derjenige tatsächlich an dem Ort gelebt hat."
So steht der Verlegung nichts mehr im Weg. Der Termin soll im Januar festgelegt werden. Die Gesamtkosten der Aktion von gut 1000 Euro hätte Kiessling sogar komplett selbst getragen. Aber nach dem letzten RNZ-Artikel zum Thema hätten sich einige bei ihr gemeldet, die die Aktion unterstützen wollen. Gute Nachrichten gibt es zudem von der "Stiftung Stolpersteine": Dem Wunsch von Kiessling, dass Demnig zudem einen Vortrag in Hirschberg hält, entspricht sie gerne. > siehe Hintergrund
Info: Wer Jeannet-Susann Kiessling bei der Aktion "Stolpersteine" unterstützen möchte , sei es finanziell oder durch Erinnerungen an Familie Buchheimer, kann eine Mail an jeannet.kiessling@hotmail.de schreiben.