Schriesheim

So gewöhnlich ist dieser Meisterspieler

Einst ahmte Björn Schwarze seine Mutter am Cello nach. Heute spielt er vor hunderten Zuhörern.

25.10.2017 UPDATE: 26.10.2017 06:00 Uhr 6 Minuten
Björn Schwarze bei seinem Konzert in Hirschberg. Als Solocellist arbeitet er unter anderem an der Oper in Amsterdam. Foto: Kreutzer

Von Lotta Wellnitz

Schriesheim. Als Björn Schwarze das erste Mal mit einem Cello in Berührung kam, war er drei Jahre alt. Im Elternhaus in Schriesheim beobachtete er, wie seine Mutter Ingibjörg über die Saiten ihres hölzernen Cellos strich. Dann geschah etwas Außergewöhnliches: Der Sohn griff zu einem Holzbrett, begann vorsichtig die Streichbewegungen der Mutter nachzuahmen. Ein Bekannter der Familie schnitzte Björn Schwarze daraufhin ein altersgerechtes Modell, mit vier Jahren erhielt er dann ein echtes Cello.

Heute ist Schwarze 27 Jahre alt, hat einen Bachelor und Master of Music und arbeitet als stellvertretender Solocellist im Netherlands Philharmonic Orchestra in Amsterdam und an der dortigen Oper. Für Konzerte und Auftritte kommt er immer einmal wieder nach Deutschland zurück. Sein letzter Besuch ist keine 24 Stunden her.

Da trat er zusammen mit Jugendfreund Angelo de Leo in der alten Synagoge in Hirschberg-Leutershausen auf, ganz in der Nähe seiner Heimat Schriesheim. "Das ist, als würde ich etwas mit Freunden unternehmen", sagt Schwarze bei einem Kaffee über den Auftritt mit de Leo. Obwohl das über einstündige Konzert vor 150 Menschen keine 15 Stunden her ist, ist er fit, Augenringe sucht man vergeblich. "Ich genieße jeden Auftritt und liebe es, mit dem Publikum zu interagieren", erzählt er und nippt an seiner Tasse, "man spielt fürs Publikum und nicht für sich selbst."

Der Auftritt in Hirschberg sei etwas ganz Besonderes gewesen, saßen im Publikum doch viele alte Bekannte, ehemalige Lehrer vom Kurpfalz-Gymnasium in Schriesheim, seine Eltern und Großeltern, einer seiner beiden Brüder.

Wenn Cello, dann aber richtig

Schwarze hat seiner Familie viel zu verdanken. Ohne seine Mutter Ingibjörg wäre er nicht zum Cellospielen gekommen. Sie ist selbst ausgebildete Cellistin und spielt vorrangig Kammermusik. Sie studierte an der Musikhochschule in Frankfurt, nahm Meisterkurse bei renommierten Künstlern und war unter anderem als Cellistin in großen Symphonieorchestern tätig.

Als Schwarze vier Jahre alt war, gab sie ihm seinen ersten Cellounterricht. Begeistert war die Mutter von seiner Faszination für das Musikinstrument anfangs allerdings nicht. Ihr wäre es lieber gewesen, der Sohn hätte ein anderes Instrument gelernt, Geige zum Beispiel. Das wollte der aber nicht. Mit drei Jahren sagte er: "Mama, du weißt doch, dass ich Cello spielen will", erinnert sie sich. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Das musste irgendwann auch die Mutter einsehen. Also hieß es für den Sohn: Wenn Cello, dann aber richtig. Und "richtig", das bedeutete für ihn Üben, Üben, Üben - jeden Tag, mindestens fünf bis zehn Minuten.

Für ein Kind gar nicht so einfach. "Mit vier oder fünf Jahren willst du natürlich nicht jeden Tag üben, da hast du auch noch andere Sachen im Kopf", sagt Björn Schwarze. Heute ist er dankbar, dass seine Eltern ihn immer wieder motivierten. Manchmal habe er "Inspiration" gebraucht, sagt er. "Man stellt sich das alles leichter vor, als es ist."

Ganz gewöhnlich aufgewachsen

Seine harte Arbeit begann sich auszuzahlen. 2001 gewann Schwarze mit zehn Jahren den Landeswettbewerb von "Jugend musiziert". In der Konkurrenz mit anderen merkte auch seine Mutter, wie gut ihr Sohn spielte. Zuvor hatte sie seine überdurchschnittliche Begabung kaum wahrgenommen, sah ihn nie als "Wunderkind".

Überhaupt, sagt sie, diesem Begriff könne sie nichts Gutes abgewinnen. Kinder, die so genannt und behandelt werden, seien später genau die, die dem Druck als Musiker nicht standhalten könnten. Ihr Sohn sei ganz gewöhnlich aufgewachsen, ging zur Schule, spielte mit seinen Brüdern und übte nebenbei eben Cello.

Nach dem ersten Erfolg merkte auch der zehnjährige Schwarze, wie wichtig tägliches Cellospielen war, um den Anschluss nicht zu verlieren. Nun hatte er Ziele, wollte mit den anderen mithalten und Erfolge feiern. Nach und nach wurde das Üben zur Gewohnheit, er brauchte es. "Irgendwann hatte ich das Gefühl, ohne das Cello fehlt mir etwas", sagt Schwarze und nimmt einen weiteren Schluck aus seiner Tasse.

Heute kann er sich ein Leben ohne das hölzerne Musikinstrument nicht mehr vorstellen, es ist ein Teil von ihm geworden.

Hintergrund

> 1990 in Heidelberg geboren und zunächst von seiner Mutter, später von Roland Kuntze an der Musikhochschule Mannheim unterrichtet, wird der Cellist Björn Schwarze im Alter von gerade einmal 14 Jahren Vorstudent an der Musikhochschule Karlsruhe bei Martin

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> 1990 in Heidelberg geboren und zunächst von seiner Mutter, später von Roland Kuntze an der Musikhochschule Mannheim unterrichtet, wird der Cellist Björn Schwarze im Alter von gerade einmal 14 Jahren Vorstudent an der Musikhochschule Karlsruhe bei Martin Ostertag. Dort nimmt er 2009 nach einer Aufnahmeprüfung sein reguläres Studium auf.

> Mit dem Wintersemester 2011/12 studiert Schwarze an der Musikhochschule in Lübeck und schließt sowohl Bachelor- als auch Masterstudiengang mit Bestnote ab. Meisterkurse ergänzen seine Ausbildung.

> Neben zahlreichen Preisen bei "Jugend musiziert" gewinnt Schwarze 2012 mit zwölf Jahren den deutschlandweit ausgeschriebenen "Lions-Musikpreis" und ist von 2010 bis 2013 Stipendiat der Stiftung "Villa Musica" aus Rheinland-Pfalz. Zudem wird Schwarze intensiv von der Weinheimer "Domhof-Stiftung" gefördert.

> Als Solist musiziert Schwarze mit Orchestern wie der Kurpfalzphilharmonie in Heidelberg, der Jungen Ems-Dollart-Philharmonie sowie dem Stamitz-Orchester aus Mannheim.

> In der Saison 2015/16 ist Björn Schwarze zunächst als stellvertretender Solocellist beim Staatsorchester Kassel beschäftigt und zur Saison 2017/18 auf der gleichen Position beim Netherlands Philharmonic Orchestra in Amsterdam.

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Das Cello als erste Freundin

"Björn hat sein Leben dem Cello gewidmet", sagt seine Mutter und beschreibt das Instrument als "erste Freundin" ihres Sohnes.

Nach seinem Erfolg bei "Jugend musiziert" wurde die Weinheimer "Domhof-Stiftung" auf Schwarze aufmerksam. Ziel der Stiftung ist es, musikalisch begabte junge Menschen unter 20 Jahren zu einer optimalen Ausbildung zu verhelfen. Schwarze war zu dem Zeitpunkt elf Jahre alt.

Über seine Mutter kam er zu Professor Roland Kuntze. Eine "renommierte Adresse", so Schwarze. Von da an bekam er dort Privatunterricht, jede Woche eine Stunde lang. Seine Mutter fuhr ihn nach Weinheim zum Haus des erfolgreichen Cellisten. Für sie selbstverständlich, sie habe die Zeit "ganz bewusst investiert".

Während seiner Zeit bei Kuntze merkte Schwarze, dass seine Karriere langsam professioneller wurde. "Das Ganze war jetzt schon ernsthafter", sagt er. Neben der Schule und dem Privatunterricht übte er bis zu fünf Stunden täglich. Sein Tagesablauf war minutiös durchgeplant: Schule bis 14 Uhr, Mittagessen, Hausaufgaben bis 17 Uhr, Üben. "Ich habe gelernt, mich gut zu organisieren, das hilft mir noch heute", sagt Schwarze.

Immer für die Freunde da

Außerdem sei er immer sehr diszipliniert gewesen, sagt einer, der Schwarze von früher kennt. Philipp Worst war lange Jahre sein Klassenkamerad und Freund. Gemeinsam besuchten sie ab der siebten Klasse das Kurpfalz-Gymnasium in Schriesheim. Noch heute weiß Worst nicht, woher sein Freund damals die Zeit genommen hat, Schule, Musik und Sport unter einen Hut zu bekommen, und dabei seine Freunde nicht zu vernachlässigen. "Björn war immer freundlich, nett, und immer da, wenn seine Freunde Hilfe brauchten", sagt Worst.

Manchmal sei er ein bisschen neidisch gewesen. Vor allem, wenn der Freund in der Schule Konzerte spielte und Lehrer und Mitschüler maßlos begeistert waren. Verdient hatte er die Anerkennung aber, sagt Worst. "Bei seiner Musik kann man einfach zuhören, die Augen schließen und alles andere vergessen." Manchmal zwinkerten Schwarze aber auch Mädchen zu, erzählt Worst. Da war er dann besonders neidisch.

Fanclub in Klasse sechs

Schwarze fällt eine Geschichte von früher ein. Da war er in der sechsten Klasse und hatte einen Fanclub. Er bestand nur aus Mädchen. "Da war ich schon sehr überfordert", sagt Schwarze, lacht, und schaut schnell in seine Cappuccino-Tasse.

Schwarze war 14 Jahre alt, als er 2005 Vor-Student an der Musikhochschule in Karlsruhe bei Professor Martin Ostertag wurde. Ein renommierter und erfahrener Lehrer, von vielen aber wegen seiner Unterrichtsmethoden gefürchtet. Bei ihm habe er gelernt, "wie man mit System übt". Ostertag ließ ihn nur das Spielen, was er nicht konnte, immer und immer wieder ein und dieselbe Stelle eines Stückes. "Manchmal habe ich mich gefragt, was ich hier eigentlich mache", sagt Schwarze.

Doch so habe er "technische Brillanz" erlangt. "Das war nichts für jedermann", leidensfähig musste man sein. Schwarze investierte immer mehr Zeit in seine Karriere. Gleichzeitig brachte er in der Schule Bestleistungen. Und die hatte er sich selbst hart erarbeitet, nicht wegen seines Talents von den Lehrern hinterhergeschmissen bekommen, wie er sagt.

Ausdauerlauf statt Volleyball

Wegen der Musik den Unterricht verpassen, das kam für Schwarze sowieso nicht in Frage. Ausnahmen gab es nur in der Kursstufe, da durfte er nachmittags manchmal früher gehen, wenn zum Beispiel ein Wettbewerb anstand.

Oder im Sportunterricht, wenn er lieber zwei Mal einen Ausdauerlauf lief, statt Volleyball zu spielen. Denn eine verstauchte Hand konnte Schwarze nicht riskieren. Bei einer Verletzung hätte er mehrere Wochen nicht üben können.

Als Vor-Student war er an die Hochschule angegliedert, bekam seine musikalische Ausbildung bezahlt und wurde optimal auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet. Die musste Schwarze nämlich bestehen, um überhaupt an der Musikhochschule studieren zu können. Er arbeitete hart, übte viel und bestand 2009 die Prüfung. Da war er 19 Jahre alt.

Von da an studierte Schwarze in Karlsruhe seinen Bachelor of Music. Nach vier Semestern wechselte er an die Musikhochschule nach Lübeck. Dort beendete er im Februar 2014 das Bachelorstudium und begann mit dem Master of Music. Parallel spielte er in großen Orchestern, zum Beispiel der Staatsoper in Berlin oder München vor, hoffte auf eine Festanstellung als Cellist.

Leben in Amsterdam

Während dieser Zeit erinnerte er sich häufig an den Unterricht bei Ostertag zurück. Der war rückblickend hart, doch habe er einen Musiker auf das Berufsleben vorbereitet. Denn einfacher werde es nicht, das wurde Schwarze immer gesagt. "Es gibt zu wenige Orchesterstellen, eine hoch qualifizierte Ausbildung bedeutet nicht, dass man eine Stelle bekommt." Meist würden sich in großen Orchestern bis zu 100 Musiker auf eine Stelle bewerben, 40 davon dann zum Vorspiel eingeladen, und das müsse man erst einmal überstehen.

Bei Schwarze klappte das. Am Staatsorchester in Kassel trat er 2015 die Stelle als stellvertretender Solocellist an. Heute arbeitet er in Amsterdam. Ganz nebenbei beendete er im Februar diesen Jahres auch noch sein Masterstudium.

"Das Leben ist schon genug Bühne"

In Amsterdam ist er glücklich, die neue Stelle sei ein Höhepunkt seiner Karriere, sagt Schwarze. Er mag das Leben, die Stadt und die unterschiedlichen Kulturen, die in Amsterdam aufeinandertreffen. Wo sein Weg in Zukunft noch hinführt, das weiß er nicht. "Ich will jede Chance auch außerhalb der Musik nutzen, die sich mir bietet." Nicht unbedingt muss er sein ganzes Leben auf den größten Konzertbühnen der Welt verbringen, irgendwann will er auch eine Familie gründen.

"Das Leben ist schon genug Bühne", sagt Schwarze und fügt an: "Es muss auch noch ein Leben neben der Konzertbühne geben." Dann schaut er auf seine Armbanduhr, der Zug nach Amsterdam fährt in zwei Stunden. Schwarze muss noch packen. Er nimmt den letzten Schluck Cappuccino und verlässt das Café mit großen, schnellen Schritten. Keine Spur von Müdigkeit. In Amsterdam angekommen, wird es wieder Zeit zum Üben sein.

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