Von Nicoline Pilz
Edingen-Neckarhausen. Was hat Edingen-Neckarhausen in diesem Jahr besonders beschäftigt? Neben vielen kleineren und größeren Themen lag der Fokus im Mai vor allem auf der Kommunalwahl. Sieben Räte schieden freiwillig aus oder wurden nicht mehr gewählt. Erstmals ist die Unabhängige Bürgerliste stärkste Kraft. Auch eine Premiere: Die Linke gewann zwei Sitze. Die Offene Grüne Liste steigerte sich von vier auf fünf Sitze, verlor den hinzugewonnenen im Oktober aber wieder, weil Ulf Wacker aus der Fraktion ausschied. Es waren spannende zwölf Monate, über die die RNZ mit Bürgermeister Simon Michler sprach.
Herr Michler, Sie haben als Bürgermeister Halbzeit. Ist es immer noch Ihr Traumberuf?
Ja, immer noch. In diesen vier Jahren habe ich vieles erlebt und die Zeit ging sehr schnell vorbei. Gefühlt war fast alles dabei, was man als Bürgermeister erleben kann, im Positiven und Negativen. Der Schlüssel ist, schnell aus Fehlern zu lernen. Sie zu machen, ist in Ordnung, wenn man viel bewegen möchte. Wichtig ist vor allem, nicht zweimal den gleichen Fehler zu machen. Somit wird alles im Laufe der Zeit immer besser. Nach diesen vier Jahren ist das eine wichtige Erkenntnis, damit ich morgens gerne zur Arbeit komme. Die regelmäßige Anpassung an die gesellschaftliche Entwicklung gehört auch dazu.
Der damalige CDU-Landtagsabgeordnete Georg Wacker hat Sie gewarnt, die Edingen-Neckarhäuser seien "eigenwillig". Neulich sprach Gemeinderat Thomas Zachler (SPD) bei der Debatte um einen gemeinsamen Gutachterausschuss mit Sitz in Weinheim vom "gallischen Dorf". Stehen Sie an der Spitze einer Protestgemeinde?
Eigenwillig, das finde ich zu negativ. Wir haben hier keinen Gemeinderat, der alles blind durchwinkt. Der Beschluss gegen den gemeinsamen Gutachterausschuss ist dafür ein Beispiel. Wenn es ums Geld geht, ist der Gemeinderat sehr kritisch. Denken wir zurück an die Einlassstelle für das Rettungsboot der Feuerwehr. Viele hätten gesagt, das machen wir einfach – und das gilt auch für den Gutachterausschuss. Manchmal überlegt man im ersten Moment, warum wir das jetzt noch mal diskutieren müssen. Ich sehe das aber durchaus positiv, denn wir haben am Ende bislang immer ein gutes Ergebnis erzielt. Und wenn große Entscheidungen anstehen, die uns alle betreffen, dann hält man hier zusammen. Wie zuletzt die Beschlüsse zur Übernahme der Fähre und zur Rettung des Markthauses gezeigt haben.
Die Kommunalwahl hat den Gemeinderat kräftig durcheinandergeschüttelt. Ist Ihre Arbeit einfacher oder schwieriger geworden?
Seit der Kommunalwahl hatten wir noch nicht so viele Sitzungen. Ich kann aber sagen, dass zum Beispiel die Haushaltsberatungen konstruktiv und sachlich auf einer guten Basis geführt wurden. Alle Fraktionen und Räte bringen sich ein. Bei Großprojekten braucht es sowieso breite Gemeinderatsmehrheiten. Dabei ist es nicht verkehrt, lange zu diskutieren und auszuloten, bis diese stehen. Die Fraktionen stimmen zudem nicht immer einheitlich ab. Rechenspiele sind daher unnötig. Die Arbeit ist definitiv nicht schwerer geworden.
Der Gemeinderat diskutiert oft fruchtbar, gerne aber auch recht detailverliebt. Müssten Sie manches Mal nicht früher drängen, zum Ergebnis zu kommen?
Sie erinnern sich sicher: Bei der Haushaltsberatung habe ich tatsächlich dreimal gesagt, dass wir uns nicht verzetteln sollten. Ich habe im Blick, dass wir mit den öffentlichen Sitzungen gegen 22 Uhr durch sind. Wir schauen auch immer mehr darauf, dass nicht zu viele große Themen in einer Sitzung aufgerufen werden. Angesichts dessen finde ich es in Ordnung, mal eine halbe Stunde detailverliebt zu diskutieren. Man muss auch sehen, dass jetzt eine gewisse Normalität Einzug hält. Bei vielen Projekten sind wir schon sehr weit und bei mehreren großen Bebauungsplänen kurz vor dem Satzungsbeschluss. Manche B-Pläne dauern oft lange, was auch an Behörden und anzufertigenden Gutachten liegt. Deshalb war es wichtig, mehrgleisig zu fahren und Projekte parallel abzuarbeiten.
Der Kauf der Fähre steht für Bürgermeister Michler an der Spitze der Projekte, auf die er stolz ist. Fotos (2): PilzProjekte 2019 ist ein gutes Stichwort. Was waren Ihre Top Drei, worauf sind Sie besonders stolz?
Ganz klar ist die Nummer eins die Fähre. Natürlich sehe ich das Thema auch ein wenig mit einem weinenden Auge und habe Mitgefühl für die Fährgemeinschaft. Sie kam ja im August und berichtete, dass sie den Fährdienst ab April 2020 nicht mehr aufrechterhalten kann. Das hat uns überrascht, es ist ja doch eine große Tradition, die bis 1483 zurückreicht. Trotzdem ist es nun so und wir müssen das Beste daraus machen. Nach zwei Monaten Vorarbeit haben wir mit allen Beteiligten ein Konzept präsentiert, wie wir als Kommune die Fähre übernehmen und zunächst kurzfristig, hoffentlich aber auch langfristig in die Zukunft gehen können. Wir wollen, dass alles weiterbetrieben wird, wie es ist, und lediglich einzelne Stellschrauben drehen, damit die Fährverbindung attraktiv bleibt. Das Fährhäuschen ist das i-Tüpfelchen in dem Paket und wir können uns durchaus eine kleine Gastronomie vorstellen. Unsere Architektin prüft das zurzeit.
Und Nummer zwei?
Die Umsiedelung des Tennissports in das Sport- und Freizeitzentrum. Das hat zwar viel Geld gekostet, ist aber kein Luxus. Wir haben die Tennisplätze von zehn auf vier reduziert und damit Grundlagen weiterer Wohnbauentwicklung geschaffen. Auf den ersten Blick mag das Thema vielleicht polarisieren, doch für die Gemeindeentwicklung ist das von großer Bedeutung.
Nummer drei ist das "Markthaus" in Neckarhausen. Ein emotionales Thema. Wir haben die Nahversorgung mit unserem auf zwei Jahre befristeten und auf 25.000 Euro gedeckelten Zuschuss kurzfristig gesichert und bereits Optimierungen vorgenommen. Wir kontrollieren zum Beispiel verstärkt, damit die Parkplätze vor dem Einkaufsmarkt nicht dauerhaft belegt sind. Mit unserer Förderung haben wir Zeit gewonnen. Gespräche, wie es weitergehen soll, laufen. Wir wollen, dass es mit dem Markthaus beziehungsweise mit der Nahversorgung in Neckarhausen über 2021 hinaus weitergeht und keine Lücke entsteht.
Nach einiger Verzögerung wurde das Leitbild präsentiert. Wie werden aus Ideen und Visionen Wirklichkeit? Gibt es ein Stufenkonzept?
Nein, das gibt es nicht. Das Leitbild enthält viele interessante Themen, Schwerpunkt ist die Ökologie. Wir sind dabei schon vorbildlich, es gibt aber auch noch viel zu tun. Das Leitbild wird uns zweimal jährlich im Agenda-Ausschuss beschäftigen, wo wir betrachten, was bereits umgesetzt wurde. Und wenn wir Gemeinderatsbeschlüsse vorbereiten, sollen sich die Inhalte des Leitbildes in ihnen möglichst wiederfinden.
Bürgerbeteiligung war eines Ihrer Wahlkampfthemen. Doch die Angebote werden nicht unbedingt üppig frequentiert, was auch an der heterogenen Struktur der Doppelgemeinde liegen mag. Wie sieht Ihrer Meinung nach die Bürgerbeteiligung der Zukunft aus?
Ich bin der Ansicht, dass die Bürgerinformationen zu bestimmten Themen schon gut besucht werden. Aber wir machen uns Gedanken, wie wir noch mehr Menschen erreichen können. So haben wir den Neujahrsempfang eingeführt, mit etwas Input zu Beginn zu laufenden Projekten und der Diskussionsmöglichkeit mit den Fachämtern im Anschluss. Nun werden wir dabei noch die Gemeindeehrung integrieren – einerseits, weil das ein würdiger Rahmen ist, andererseits aber auch, um noch mehr Resonanz zu erzielen. In der gesellschaftlichen Entwicklung hat sich viel getan. Digitalisierung ist ein Thema, Stichwort "BürgerApp". Ein Instrument, das insbesondere auf Jüngere abzielt, aber auch Ältere nicht ausschließt.
Wie geht es weiter mit der App?
Wir werden im ersten Halbjahr 2020 wieder darüber diskutieren. Die Einführung muss gut vorbereitet sein und wir wollen uns Zeit nehmen, damit nicht nur eine Umfrage gelingen wird, sondern gleich noch weitere.
Klimaschutz ist ein Topthema, BUND und Nabu sind hier sehr aktiv und beteiligen sich an den globalen Klimastreiks. Andererseits beklagen die Landwirte, man stelle sie an den Pranger und die Grünen fordern mehr Geld fürs Klimaschutzkonzept. Wo sehen Sie in dieser Gemengelage Ihre Rolle?
Das ist eine moderierende Rolle bei unterschiedlichen Meinungen bedeutender Interessensgruppen. Die Gespräche laufen und im kommenden Jahr soll es dafür auch eine öffentliche Plattform geben. Wichtig ist, dass miteinander diskutiert wird und wir als Gemeinde darlegen, was wir schon getan haben, tun werden, aber auch sagen, was nicht geht oder nicht so schnell gehen kann. Nicht jedes Ziel der Landes- und Bundespolitik, das im Allgemeinen sinnvoll ist, ist hier aufgrund unserer Topografie und geografischen Lage eins zu eins umsetzbar.
Die Infrastruktur der Gemeinde ist teils alt und sanierungsbedürftig. Gleichzeitig steigt der Schuldenstand stetig und bedenklich. Der Gemeinderat will sparen und stellt Projekte infrage, wobei er selbst immer wieder bereit ist, Geld für Gutachten auszugeben. Wie steuern Sie durch diese Klippen?
Baulich sind wir im Bildungs- und Betreuungsbereich nach Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen bald wieder gut aufgestellt für die nächsten Jahrzehnte. Die Wohnanlage am Nussbaum hat uns rund drei Millionen Euro gekostet, der Martin-Luther-Kindergarten dreieinhalb und die Neckar-Krotten kommen auf über fünf Millionen. Die Zuschüsse, die wir rein für die Investitionen bekamen, sind fast vernachlässigbar. Und jetzt kommen Baugebiete hinzu, bei denen wir erst einmal in Vorleistung gehen müssen. Aber Vieles kommt dabei auch zurück. Wenn wir in Neckarhausen-Nord alles verkaufen würden, rechnen wir mit weit über zehn Millionen Euro Einnahmen. Tun wir dies nicht oder nur teilweise, was wahrscheinlich ist, verbessern wir dafür durch Erbbaurechte mit erheblichen jährlichen Einnahmen den Ergebnishaushalt. Ein ausgeglichener Haushalt ist deshalb zumindest in Sichtweite.
Das Thema "Wohnen" ist nach wie vor drängend. Werden die Neubaugebiete dem Bedarf nach günstigem Wohnraum gerecht und ist mit den ausgewiesenen Flächen nicht das Ende der Fahnenstange erreicht?
Wir haben viel Innenentwicklung betrieben. Auf der Wiese bei der Bäko entsteht Wohnraum zu fairen Preisen, obwohl es nur 24 Reihenhäuser sind. In Edingen-Südwest geht es weiter mit 24 Wohnungen und in der Jahnstraße entstehen 18 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau. Spatenstich dafür ist im März. Trotzdem ist das in der Summe betrachtet, auch mit Neckarhausen-Nord, noch nicht so viel.
Ich habe aber eine andere Einstellung als noch vor ein paar Jahren, was die Außenentwicklung angeht. Wenn, dann muss man sich fragen, in welcher Größe. Und die Euphorie in der Bevölkerung für ein weiteres Baugebiet erscheint nicht gerade riesig, auch wenn man sich die Kommunalwahlergebnisse anschaut. Eher zur Abrundung. Dazu gibt es eine Auswahl im Flächennutzungsplan. Über neue Baugebiete soll die Bevölkerung befragt werden und gegebenenfalls sagen, welches Gebiet ihr am liebsten wäre. Der Bedarf ist unstrittig vorhanden, deshalb sehe ich mich weiter in der Pflicht, das Thema breit in der Bevölkerung zu platzieren.
Die Erneuerung des Hebewerks steht für rund fünf Millionen Euro an. Genauso wie die Teilsanierung der Pestalozzi-Schule, Kindergartensanierungen und/oder Neubau. Die Feuerwehr wartet auf ihr Hilfeleistungszentrum. Das sind wichtige, aber auch große und sehr teure Maßnahmen. Macht Sie das angesichts der Kosten nervös?
Das beschäftigt mich, aber auch den Gemeinderat. Deswegen gab es zu diesen Themen eine Klausurtagung im November. Dabei ging es darum, wie wir mit den Beteiligten in die Gespräche gehen, Themen setzen und diskutieren. Wir haben uns die Feuerwehrgerätehäuser angesehen und dem Gemeinderat gezeigt, wie der bauliche Zustand ist. Wir reden mit allen Beteiligen, daher macht mich das nicht nervös. Zumal Gelder auch zurückfließen werden. Ein neues Hilfeleistungszentrum generiert Einnahmen, denn an den bisherigen Standorten sind bauliche Entwicklungen möglich. Jede öffentliche Baumaßnahme hat neben der Schaffung von Vermögenswerten auch finanziell ihre gute Seite. Mich reizt es, solche Herausforderungen anzugehen und zu lösen. Alles auf die lange Bank zu schieben, hilft niemandem weiter.
Fürs neue Jahr – was wünschen Sie sich für die Gemeinde?
Dass wir im Gemeinderat weiter konstruktiv zusammenarbeiten. Wir haben uns schnell zusammengefunden, was nach dem Umbruch nicht selbstverständlich ist. Menschlich haben wir die Grundlage für eine gute Zusammenarbeit, um gemeinsam mit den Vereinen und den Bürgern Projekte aufs richtige Gleis zu setzen beziehungsweise zum Abschluss zu bringen.