Auch vermeintlich brave Hunde sollten nicht frei im Wald herumlaufen. Das sagt nicht irgendjemand, sondern ein erfahrener Tierarzt und Jagdpächter. Foto: Kreutzer
Von Philipp Weber
Weinheim-Rippenweier. Der vergangene Sonntagnachmittag wird Anja Blänsdorf wohl noch länger in Erinnerung bleiben. Eigentlich hatte die Ortsvorsteherin von Rippenweier nur ihre neuen gepolsterten Gummistiefel einlaufen und zusammen mit ihrem Lebensgefährten nach dessen Kühen sehen wollen. Doch auf dem Weg zu dem Grundstück bei Heiligkreuz trafen die beiden auf zwei Jugendliche. Die Jungen machten Blänsdorf auf ein schreiendes Rehkitz aufmerksam, das allem Anschein nach von einem Hund angefallen worden war und sich im Verlauf der Flucht die Läufe gebrochen hatte.
"Ich habe meinen Freund nachschauen lassen und etwas Abstand gehalten", sagt Blänsdorf im Gespräch mit der RNZ. Denn das schwer verletzte Tier bot keinen schönen Anblick – und war offensichtlich auch nicht mehr zu retten. Da der Mobilfunkempfang in diesem Teil Weinheims bekanntlich verbesserungsbedürftig ist, konnte die Ortsvorsteherin den Jagdpächter nicht per Handy verständigen. Stattdessen machten ihr Partner und sie sich per Traktor auf den Weg zu Marco Müller-Dörr.
Der Jagdpächter verlor keine Zeit. Am Ort des Geschehens hatte sich inzwischen ein Wanderer um das verletzte Jungtier gekümmert. "Er hielt es in den Armen und versuchte, es zu beruhigen", so Blänsdorf. Jagdpächter Müller-Dörr blieb nichts anderes übrig, als das Rehkitz von seinen Qualen zu erlösen und den Kadaver per Anhänger abzutransportieren. Ihm und Ortsvorsteherin Blänsdorf ist es wichtig, den Vorfall öffentlich zu machen. Denn immer wieder scheuchen Hunde Wild auf. "Es war dieses Jahr schon der fünfte Vorfall dieser Art", so Müller-Dörr.
Da der Jagdpächter im Hauptberuf als Tierarzt arbeitet, ist davon auszugehen, dass er die Hunde und deren Besitzer nicht leichtfertig für die Vorkommnisse verantwortlich macht. "Hintergrund ist, dass einfach viele Leute ihre Hunde im Wald frei herumlaufen lassen. Sie gehen davon aus, dass ihr Hund ihnen gehorcht."
Wenn Hunde Wild wittern, greife allerdings ihr "eingewölfter" Urinstinkt, so der Fachmann. Heißt: Der Hund jagt der Beute nach, diese flieht panisch. Szenarien wie diese können auch für Autofahrer Konsequenzen haben. Denn wenn das Wild um sein Leben rennt, achtet es nicht mehr auf Hindernisse wie Verkehrsstraßen. Es sei gar nicht so selten, dass Wildunfälle auf diese Weise zustande kommen, so Jagdpächter Müller-Dörr.
Den Hunden sei gar kein Vorwurf zu machen, sagt er. Der "eingewölfte" Urinstinkt gehöre zum Wesen eines jeden Haushunds. Was die Gefahrenkonstellationen für Mensch und Tier betrifft, spiele es kaum eine Rolle, wie groß der jeweilige Hund ist, so der Veterinär und Jagdpächter. Auch vergleichsweise kleine Hunde könnten das Wild aufschrecken. Reißen können es naturgemäß dagegen eher die Großen.
Update: 26. November 19.30 Uhr
Weinheim. (web) Nachdem sie ein Rehkitz von seinen Verletzungen erlösen mussten, haben Ortsvorsteherin und Jagdpächter in Rippenweier dazu aufgerufen, Hunde im Wald an der Leine zu führen. Auf Anfrage äußert sich auch der Rhein-Neckar-Kreis zu dem Thema, das sowohl das Ordnungs- als auch das Kreisforstamt betrifft. Die zuständigen Fachleute sind Wildtierexperte Dorian Jacobs und Jonas Petermann, Mitarbeiter im Kreisforstamt. Jacobs liegen keine genauen Zahlen darüber vor, wie viele Rehe im Kreis durch wildernde Hunde gerissen werden. Anhand der Meldungen, die aus unterschiedlichen Quellen eingehen, dürfte die Zahl der erfassten Risse pro Jahr bei rund 20 Stück liegen. Jacobs sieht indes Anzeichen dafür, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt. "Es kann gut und gerne von der zehnfachen Zahl ausgegangen werden", so seine Schätzung.
Wenn wildernde Hunde andere Tiere aufscheuchen, bestehe auf den Straßen eine erhöhte Wildunfallgefahr, weil die Wechsel der Tiere häufig über stark befahrene Straßen führen, die sonst nur bei Nacht überquert werden. Zwar setzen die Wildhüter des Kreises bei Jagden selbst Hunde ein. Umliegende Straßen würden dann aber ganz gesperrt oder die zulässige Höchstgeschwindigkeit wird auf 30 oder 50 Kilometer pro Stunde begrenzt. "Wildernde Hunde und Katzen sind ein ernst zu nehmendes Problem, auch für die zum Teil bedrohten Niederwildarten wie Rebhuhn, Feldhase oder Fasan."
Der Kreis kann Hundebesitzern deswegen in den Geldbeutel greifen: Wenn sich Hunde "außerhalb des Einwirkungsbereichs ihres Hundeführers" bewegen und dabei Wildtiere stören, verletzen oder töten, werde dies mit einem Bußgeld von bis zu 500 Euro geahndet. Hunde sollten im Wald, an Hecken, im Schilf oder an bewachsenen Bachläufen an der Leine bleiben. Zumal sie auch selbst schwer verletzt werden können, etwa von Wildschweinen.
Jonas Petermann vom Kreisforstamt weist auf die Bestimmungen des Landeswaldgesetzes hin. Dabei hat er auch ein Phänomen im Blick, das neuer ist als Haushunde: Geocaching. Auch hierbei könnten Wildtiere aufgescheucht werden. Denn die Tiere fürchten den Menschen oft eben so sehr wie Hunde.