Ein Beispiel "von nicht zu überbietender Respektlosigkeit": Ingrid Wagner vom Arbeitskreis Jüdische Geschichte zeigt beim Rundgang auf den "Saufkasper", eine Figur, die genau über der Gedenktafel für die jüdische Synagoge sitzt. Foto: Sturm
Ladenburg. (stu) Nicht überall in Deutschland wird die Erinnerung an das jüdische Leben wachgehalten. Eine Vorbildfunktion, wie die Gesellschaft mit dem Gedenken an das beispiellose Verbrechen an der Menschlichkeit umgehen sollte, nehmen sicher einige Ladenburger ein. Mit der Deportation von 27 Frauen, Männern und Kindern am 22. Oktober 1940 in das Internierungslager nach Gurs wurde das jüdische Leben in der Stadt ausgelöscht. Vergessen sind die Menschen nicht.
Zu verdanken ist das dem Arbeitskreis Jüdische Geschichte, der sich seit Anfang der 90er Jahre um die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte Ladenburgs kümmert. Mit der Erscheinung des Buchs "Die jüdischen Ladenburger" wurde ein eindrucksvolles Zeichen für das Gedenken gesetzt. Bürgermeister Reinhold Schulz lud zudem 1990 die 30 noch lebenden ehemaligen jüdischen Bürger nach Ladenburg ein.
Mit dabei war die Mitgründerin des Arbeitskreises, Ingrid Wagner, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Kontakt zu den jüdischen Bürgern aufrechtzuerhalten. Sie pflegt bis heute ein besonderes Verhältnis zu den Familien von Lea Weems und Ruth Steinfeld, die mehrfach nach Ladenburg reisten, um an Gedenkveranstaltungen teilzunehmen. Die Schwestern Ruth und Lea waren im hohen Alter dabei, als vor rund 20 Jahren die jüdische Abteilung des Lobdengau-Museums eröffnet wurde. Sie waren auch vor Ort, als vor den Häusern der jüdischen Mitbürger Stolpersteine gesetzt wurden, unter anderem am Haus in der Weinheimer Straße 20, wo Lea und Ruth mit ihren Eltern wohnten.
"Wir wollen wachsam sein und wachsam bleiben, gerade jetzt ist es erforderlich, dass man die Augen und Ohren offen hält", begrüßte Ingrid Wagner kürzlich 15 Teilnehmer eines Rundgangs durch das jüdische Ladenburg. Damit beteiligte sich der Arbeitskreis am europäischen Gedenktag der jüdischen Kultur. "Ladenburg nimmt seit 20 Jahren an diesem Gedenktag teil", sagte Wagner, " das macht mich schon ein wenig stolz, denn es ist ein Zeichen gegen das Vergessen." Wagner allein führte die Menschen am Gedenktag zum 19. Mal durch das jüdische Ladenburg.
Doch trotz aller Bemühungen gibt es auch in Ladenburg antisemitische und rassistische Tendenzen. Wagner sprach von erschreckenden Wissenslücken und Ignoranz auch bei manchen Entscheidungsträgern, wenn es um die Erinnerungskultur geht. So gab es 1967 erhebliche Widerstände, als Bürgermeister Schulz vorschlug, eine Erinnerungstafel am Standort der Synagoge in der Hauptstraße anzubringen. Die Synagoge war in der Reichspogromnacht so stark zerstört worden, dass sie später abgerissen werden musste. Der vorgeschlagene Text der Gedenktafel gefiel aber nicht allen im Gemeinderat, zwei Stadträte lehnten die Anbringung der Gedenktafel daher damals ab. Entsetzt ist Wagner auch über eine aktuelle, wie sie es nennt, "Geschmacklosigkeit". Denn direkt über der mittlerweile angebrachten Gedenktafel für die Synagoge in der Hauptstraße steht ein "Saufbruder". "Einen respektloseren Vorgang habe ich selten erlebt", sagte Wagner, die von einer Verhöhnung der Opfer sprach. Schon 1990 beim Besuch der jüdischen Gäste in Ladenburg sei der "Kasper mit der Weinflasche in der Hand", wie ihn Bürgermeister Schulz damals beschrieb, "eine Schande für Ladenburg" gewesen, sagte Wagner. Die Presse schrieb damals, dass die Figur die Gäste aus Israel, den USA, Australien und Frankreich sehr verletzte. "Leider steht der Kasper immer noch, und dies nun seit fast 30 Jahren. Juristisch ist da nichts zu machen", sagte Wagner.
Unfassbar war für sie auch die Schändung eines Denkmals am Marktplatz, das von Schülern des Carl-Benz-Gymnasiums entworfen wurde. Zu sehen ist ein geteilter Stein, der das geteilte Ladenburg während der Nazi-Herrschaft symbolisieren soll. Eine Tora-Rolle aus Metall hält die beiden Teile zusammen. Im April 2015 wurde Wagner morgens angerufen und ihr wurde mitgeteilt, dass das jüdische Denkmal geschändet worden sei. Die Tora-Rolle wurde verbogen, die Steine mit einem spitzen Gegenstand beschädigt.
Der Schaden war zwar schnell behoben, doch die Respektlosigkeit macht Wagner noch heute betroffen. "So lange ich lebe, werde ich meinen Mund aufmachen, wenn die jüdische Kultur missachtet und meine jüdischen Freunde verletzt werden. Das bin ich schon den Familien Steinfeld und Weems schuldig."