Mit digitaler Religionspädagogik will Pfarrer Friedel Goetz (33) die jungen Menschen erreichen. Im Auftrag der badischen Landeskirche hat er beispielsweise eine App mit einer 3-D-Krippe produziert. Foto: Kreutzer
Von Marco Partner
Hirschberg-Großsachsen. Es sollte das erste "richtige" Jahr als Pfarrer werden. Da hatte sich Friedel Goetz gerade eingearbeitet, sich in der Evangelischen Kirchengemeinde bekannt gemacht – und dann kam alles ganz anders. Kaum war der 33-Jährige nach seinem Probedienst offiziell als Geistlicher für Großsachsen im Amt, stellte Corona den Alltag und die Handlungsmöglichkeiten der Pfarrer auf den Kopf. Wie ist seelsorgerische Nähe in Zeiten des "Social Distancing" überhaupt möglich? Wie hält man mit der Gemeinde den Kontakt aufrecht? Im Interview spricht Friedel Goetz über die unerwarteten Herausforderungen und kreative Lösungen.
Herr Goetz, dieses Jahr sollte der große Start nach Ihrer Kennenlernphase in Großsachsen sein. Wie blicken Sie heute auf das kuriose Jahr 2020?
Für mich war es ein spannendes Jahr. Im Januar wurde ich erst offiziell zum Pfarrer ernannt und bin sofort in die Corona-Zeit gekommen. Auf einmal gab es viele No-Gos, also Verbote, zum Beispiel keine Sonntagsgottesdienste mehr. Das waren Sachen, die vorher nie zu verhandeln waren. Es mussten viele Veränderungen wie Schutzkonzepte umgesetzt und Entscheidungen getroffen werden, die weit entfernt waren von jeglicher Routine. Das hat viel Kraft gekostet.
Die Kirche ist als offenes Haus, als Ort der Begegnung bekannt. Doch auch die Gotteshäuser waren im Frühjahr vom Lockdown betroffen. Wie sind Sie damit umgegangen?
Das war eine Riesenherausforderung. Die Kirche sagt normalerweise: Du kannst herkommen, egal wann, egal wo. Auf einmal macht die Kirche zu, so etwas gab es eigentlich noch nie. Gegen diese Tatsache anzukommen, war nicht einfach. Es steht im Widerspruch zu dem, was die Kirche traditionell seelsorgerisch ausstrahlt. Gemeinschaften können sich aber verändern und zugleich ihren Werten treu bleiben – das haben wir versucht.
Wie hält man in diesen Zeiten neben Gottesdiensten den Kontakt zur Gemeinde aufrecht?
Für mich ist immer noch das Gespräch auf der Gasse sehr wichtig. Ich bin viel zu Fuß unterwegs, treffe die Leute einzeln, und kriege so ein bisschen was mit. Was auch wiederentdeckt wurde, ist das klassische Briefeschreiben. Die Leute bekommen Post, gerade die älteren Gemeindemitglieder freuen sich über diese Aufmerksamkeit. Andere Zielgruppen versuchen wir jetzt über Facebook oder Instagram zu erreichen, aber Soziale Medien zu pflegen, benötigt sehr viel Zeit. Es ist ein dauerndes Kontakthalten mit der Community.
Inwieweit kann und wird die Erfahrung aus der Pandemie auch das kirchliche Auftreten verändern?
Es ist mit Sicherheit ein Trendbeschleuniger für eine Veränderung der kirchlichen Landschaft. Ehrlicherweise muss man sagen, dass die Kirche in den letzten Jahren nicht immer erste Adresse war, wenn Menschen ein Problem hatten. Man ist bemüht, mehr zu den Menschen zu kommen, das geht auch durch digitale Angebote. Die Gottesdienstbesucherzahlen nehmen ab. Kirche nach Hause zu bringen, ist also etwas Zukunftsweisendes. Es wurden durch die Corona-Erfahrungen auch sinnvolle Dinge angestoßen. Konkret muss in Großsachsen für einen gestreamten Gottesdienst aber erst einmal eine Internet-Verbindung in der Kirche gelegt werden.
Was hat Sie 2020 positiv überrascht?
Dank an die unzähligen Ehrenamtlichen, die sich um die Gemeinschaft gekümmert haben. Eine Kirchengemeinde kann nur existieren, wenn Menschen füreinander da sein wollen. Da ging nichts verloren. Und an die vielen Menschen, die sich gern auf die neuen Formate eingelassen haben, wie bei den Open-Air-Gottesdiensten in den Sommermonaten in der Villa Rustica. Mit 80 bis 100 Personen, also mehr Besuchern als sonst. Ich denke, das hat uns allen sehr gut getan.
Was hat man sich für die Weihnachtstage vorgenommen?
Das klassische Krippenspiel wird es diesmal leider nicht geben. Aber ich habe eine App produziert, mit einer 3-D-Krippe. Von ueberallkrippe.de kann man über das Smartphone oder den Computer ins Jahr von Jesu Geburt reisen, es ist eine Art digitale Religionspädagogik. Zudem werden wir ähnlich wie an Ostern ein Video mit der Kirchengemeinde drehen. Mit kleinen Handy-Botschaften, einer kurzen Ansprache, musikalisch untermalt von unseren Kirchenmusikern. Zusätzlich wollen wir an Weihnachten Open-Air-Gottesdienste veranstalten. Am Mittwochabend werde ich definitiv von der Kirchenleitung erfahren, ob die Gottesdienste an Heiligabend erlaubt sind. Aktuell ist das Open-Air-Konzept von der politischen Gemeinde genehmigt.
Gerade als Pfarrer soll man Nähe ausstrahlen, in Zeiten der Kontaktvermeidung ist das aber ein schwieriger Balanceakt: Wie schenken Sie Wärme aus sicherer Distanz?
Das ist in der Tat sehr schwierig. In dieser Phase ist man eigentlich extrem auf Kommunikation angewiesen, kann tatsächlich aber nur wenige Menschen treffen. Das ist eine große Herausforderung, und das Digitale kann nicht alles abdecken. Es ist für mich zum Beispiel sehr schwierig, über E-Mail persönliche Themen zu diskutieren. Ich habe die Kritik wahrgenommen, dass einigen der persönliche Kontakt mit dem Pfarrer fehlt. Nun kann ich leider nicht in die Häuser hineingehen, somit ist es schwer, gerade die seelsorgerischen Themen im Blick zu haben. Auch mir fehlt das direkte Gespräch mit den Menschen, es ist nach wie vor der wichtigste Kontaktpunkt eines Pfarrers. Telefonieren kann helfen, die Seelsorge über WhatsApp oder Facebook funktioniert nur in bestimmten Milieus. Auch in der Jugendarbeit sind die persönlichen Beziehungen in diesem Jahr zu kurz gekommen.
Wenn Sie jetzt noch einmal auf den Jahresbeginn zurückblicken. Was haben Sie sich für 2020 vorgenommen, was konnte verwirklicht werden?
Ich schreibe mir zum Jahresende immer zehn Dinge auf, die für mich persönlich wichtig sind. Das sind Herzenswünsche, auf die ich selbst keinen direkten Einfluss habe. Auch in diesem Jahr ist viel Gutes passiert, ich bin mir sicher, wenn ich den Zettel an Silvester öffne, wird sich das meiste erfüllt haben. Und ähnlich positiv gestimmt blicke ich auch auf das Jahr 2021.