Der Sonnenfänger aus Schmetterlingen sollte eigentlich das Weihnachtsgeschenk für die Oma werden, doch wenige Tage vor Heiligabend erkrankte sie an Corona – und starb am 24. Dezember. Jetzt ist er für eine Leutershausener Familie eine besondere Erinnerung. Foto: Kreutzer
Von Annette Steininger
Hirschberg-Leutershausen. Fröhlich leuchten die Farben eines Sonnenfängers aus Schmetterlingen auf der Terrasse der Leutershausener Familie Henselmeier (alle Namen von der Redaktion geändert). Dieser Hingucker sollte aber eigentlich gar nicht sie erfreuen, sondern die Oma. "Wir wollten ihr damit zu Weihnachten den tristen Corona-Alltag etwas erhellen", erzählt Enkelin Bettina Henselmeier. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen: An Heiligabend starb die so lebenslustige und innig geliebte Oma im Alter von 93 Jahren in einem Heidelberger Pflegeheim – an Corona.
Es sei alles sehr schnell gegangen, erzählen Tochter Annegret und Enkelin Bettina Henselmeier. Weil zwei Bewohner des Pflegeheims positiv auf Corona getestet wurden und die Oma sechs Tage vor Heiligabend ein Kratzen im Hals verspürte, wurde bei ihr auch ein Test gemacht, der ebenfalls positiv ausfiel. Sonntags telefonierte Annegret Henselmeier noch mit ihrer Mutter: "Sie hatte einen leichten Husten und Kopfschmerzen, sonst nichts." Zwei Stunden später kam der Anruf aus dem Pflegeheim: Der Mutter würde es nicht gut gehen. Sie könne sich kaum noch artikulieren. Annegret Henselmeier und ihre Tochter Bettina führen dies aber eher auf die Umstände zurück. Schon im Frühjahr 2020, als sich die Oma in Quarantäne befand, verlor sie den Willen zu sprechen, fand ihn aber wieder.
Auch als die Tochter nun trotz der Corona-Erkrankung zu ihrer Mutter durfte, sagte sie wieder ein paar Worte wie "Durst" und "Wasser". Nur mit aufwändiger Schutzmontur und mit insgesamt dreimaligem Umziehen war dieser Besuch überhaupt möglich. Für diese Möglichkeit ist die Tochter der Verstorbenen dem Pflegeheim sehr dankbar. Traurig stimmt die Familie allerdings, dass der Hausarzt, der extra seinen Urlaub unterbrach, um sich die Oma anzusehen, sagte: Er glaube, wenn ein regelmäßiger Besuch möglich gewesen sei, hätte sich die Erkrankte vielleicht noch mal berappelt.
"Sie war ein sehr extrovertierter Mensch", beschreiben sie Tochter und Enkelin. In der Pflegeeinrichtung sei sie sehr beliebt gewesen, und noch zwei Wochen vor ihrem Tod habe sie andere Bewohner beim Quiz geschlagen. Zwar war sie zuletzt auf einen Rollstuhl angewiesen, aber geistig noch fit. Die Familie nannte sie auch liebevoll die "Rap-Oma", weil sie für jeden Spaß zu haben war und gerne auch mal so tat, als könne sie rappen. Allerdings setzten ihr, der kontaktfreudigen älteren Dame, die ganze Corona-Situation und die damit einhergehenden Beschränkungen schon sehr zu, erzählt ihre Familie.
Daher beschlich sie schon eine leise Ahnung, dass die Oma, die so viele schwere Operationen tapfer überstanden hatte, diesmal vielleicht endgültig gehen könnte. "Und wir waren uns sicher, dass sie sich dafür einen besonderen Tag aussuchen würde, nämlich den 24. Dezember", sagt die Enkelin. Tatsächlich kam dann an Heiligabend der Anruf aus dem Pflegeheim. Die Oma scheine im Sterben zu liegen. Annegret Henselmeier fuhr sofort hin und durfte auch noch mal zu ihr. Doch wenige Minuten vor ihrer Ankunft schloss ihre Mutter für immer die Augen. "Ich glaube, das wollte sie so", vermutet die Leutershausenerin. Sie war aber froh, sich verabschieden zu dürfen.
Der Heiligabend war für die Familie ein ganz anderer als die Jahre zuvor. Sicherheitshalber blieben die drei Henselmeiers unter sich. Und natürlich flossen viele Tränen. "Aber wir hatten irgendwie auch das tröstliche Gefühl, dass sie jetzt bei uns sein kann und uns von oben zusieht", erzählt Bettina Henselmeier. Auch die nachfolgenden Tage waren sehr anders.
Am ersten Weihnachtsfeiertag kontaktierte Annegret Henselmeier einen Heidelberger Bestatter, der ihr aber mitteilte, dass die Beerdigung frühestens in drei Wochen stattfinden könne. Er habe vorher keine Termine frei; viele Menschen würden gerade an Corona sterben. Er bat Annegret Henselmeier auch darum, Kleidung für ihre Mutter zur Beerdigung auszusuchen. Da war aber guter Rat teuer: Sie durfte nicht mehr in das "Corona-Zimmer". Eine Pflegekraft versprach, sich kundig zu machen.
Letztlich durchwühlten Annegret und Bettina Henselmeier Plastiksäcke auf dem Flur nach passender Kleidung, die sie dann mit Desinfektionsmittel wuschen. Auch Andenken an die "Rap-Oma" wollten sie mitnehmen, was sich aber nicht so ganz einfach gestaltete, da sich in den 30 Säcken einfach alles aus dem Zimmer befand, inklusive benutztem Geschirr. "Ich habe nach Bilderrahmen gesucht und hielt auf einmal ihr Gebiss in der Hand", erzählt Bettina Henselmeier.
Die Trauerfeier, bei der die Enkelin eine rührende Rede hielt, war Corona-bedingt ebenfalls ungewöhnlich. So hatte sich die Familie für einen kleinen Kreis von sechs Personen entschieden. Hart war für die Henselmeiers, dass sie, obwohl ein Haushalt, nicht beieinander sitzen durften, um sich zu stützen. Mit Abstand waren die Stühle hintereinander aufgereiht. "Und dass wir danach nicht alle wie bei einem klassischen Trauerkaffee oder -essen zusammensitzen und in Erinnerungen schwelgen konnten, war auch schade", finden Mutter und Tochter.
Der Sonnenfänger hat nun einen besonderen Platz auf der Terrasse bekommen. Er erinnert die Familie an einen ganz besonderen Menschen, der ebenso fröhlich und vielseitig war wie das Kunstwerk. Und sich einen außergewöhnlichen Tag für seinen Abschied ausgesucht hat. "Meine Oma ist jetzt ein Christkind", sagt Bettina Henselmeier.