Von Annette Steininger
Hirschberg-Großsachsen/Bozen. Gut 558 Kilometer sind es von Hirschberg nach Bozen. Eine Strecke, die Harald Kunkel, einst Vorsitzender des Bundes der Selbstständigen Großsachsen und Leiter der BDS-Geschäftsstelle Nordbaden wohlbekannt ist. Vor drei Jahren hat er nämlich in der Südtiroler Stadt seine heutige Lebensgefährtin kennengelernt.
Drei Jahre Fernbeziehung, das sollte kein Dauerzustand bleiben, fand der 67-Jährige. 2019 fasste er den Entschluss: In einem Jahr wandere ich aus. Und diesen Lebenstraum hat er tatsächlich wahr gemacht. "Mein Großvater war Italiener. Und ich habe das Gefühl, dass, je älter ich werde, umso mehr kommen seine italienischen Gene in mir zutage", sagt der gebürtige Heidelberger und lacht.
Zu Italien habe er schon immer eine besondere Verbindung gehabt. Zehn Jahre lang verkaufte er italienische Herrenmode. Außerdem hat Kunkel viele italienische Freunde, sowohl in Italien selbst als auch solche, die in Deutschland leben. Und er schätzt auch einfach die Lebensfreude der Menschen. Den letzten Ausschlag für seine Auswanderungspläne gab aber dann das Kennenlernen seiner Partnerin, die in Bozen lebt.
"Mit dem Flixbus sind wir die ganze Zeit hin- und hergependelt", beschreibt Kunkel, wie sie die Fernbeziehung am Laufen hielten. Auch wenn sich seine Lebensgefährtin in Großsachsen wohlgefühlt hat, so kam es für sie nicht in Frage, nach Deutschland auszuwandern. "Und da ich 2020 sowieso in den Ruhestand gehen und meine Werbeagentur aufgeben wollte, war für mich klar, dass ich auswandere", erzählt Kunkel.
Ein großer Wermutstropfen: Die beiden inzwischen großen Kinder, ein Sohn und eine Tochter, bleiben in Deutschland. Was sie gesagt haben? "Ach, sie kennen mich", sagt Kunkel und lacht. Beide haben jedenfalls fleißig bei den Umzügen geholfen, "und Bozen ist ja nicht aus der Welt". Gegenseitige Besuche sind fest vorgesehen, "aber meine Familie und meine Freunde werden mir definitiv am meisten fehlen", gibt der gebürtige Heidelberger unumwunden zu.
Dass er schon 2019 den Termin für seine Auswanderung festgelegt hat, habe ihm geholfen. "Das hat mich etwas unter Zugzwang gesetzt." Und die Corona-Pandemie habe ihn schließlich in seinem Entschluss bekräftigt. Als er mehrere Monate ohne seine Lebensgefährtin in Großsachsen festsaß, habe er eine Art Vorgeschmack gehabt, wie es ihm gehen würde, sollte er nicht auswandern. Anfang März habe Italien, besonders von der Pandemie gebeutelt, alles zugemacht. Erst im Juni konnte er seine Lebensgefährtin live wiedersehen. Bis dahin blieben sie per Telefon und Internet in Kontakt. "Aber das ist natürlich nicht dasselbe", findet Kunkel.
Harald Kunkel (li.) und sein Sohn David, der ihm half, auch die letzten Kisten in den Lieferwagen zu bekommen. „Er hat quasi mit meinen Kisten Tetris gespielt“, erzählt Kunkel schmunzelnd. Foto: KunkelDas Wiedersehen fand in Bozen statt, von wo sie aber in einen Urlaub nach Venedig aufbrachen. "Das war absolut gigantisch. Alles war so schön ruhig dort. Und wir waren mit die ersten Post-Corona-Touristen", schwärmt Kunkel. In einem Hotel seien sie deshalb sogar fotografiert worden. Ein weiterer gemeinsamer Urlaub im August folgte. Und dann liefen auch schon die Umzugsvorbereitungen auf Hochtouren.
Die letzte der Fahrten – von insgesamt drei – mit dem in Deutschland gemieteten Transporter von Großsachsen nach Bozen fand vom 14. auf den 15. Dezember statt. Einen Tag später gab Kunkel das Fahrzeug in Garmisch-Patenkirchen ab, um sich dann endgültig auf nach Italien zu machen.
Corona-bedingt waren es bei dieser Auswanderung einige Formulare mehr, die Kunkel dafür durchackern musste. So musste er unter anderem eine Eigenerklärung ausfüllen. Hilfreich war dabei, dass er schon eine Adresse in Bozen vorweisen konnte und seine Lebensgefährtin bereits dort wohnt. Dabei ist er quasi noch gerade rechtzeitig ausgewandert, da ab 21. Dezember noch strengere Einreiseregeln gelten.
Die Fahrt nach Bozen sei ohne Kontrollen verlaufen. "Niemand wollte meinen aus Vorsicht gemachten Corona- Schnelltest sehen, noch gab es eine Kontrolle bei den Grenzübergängen", erzählt Kunkel. Bei der Rückfahrt mit dem Zug nach Bozen sei dann die meiste Umzugsanspannung von ihm abgefallen.
Die Corona Situation hier sei "wesentlich unaufgeregter" als zuletzt in Deutschland. "Vielleicht auch, weil die Italiener schon bei der ersten Corona-Welle wesentlich strenger reglementiert wurden und jetzt Disziplin, aber auch Gelassenheit beweisen", schildert Kunkel seinen Eindruck.
Allerdings änderten sich die Regeln wieder kurz nach seiner Ankunft in Italien: Denn auch dort ging die Sorge um, dass über Weihnachten die Infektionszahlen weiter steigen könnten. Die Regierung hatte daher einen "Weihnachtslockdown" angeordnet.
Vom 24. bis 27. Dezember durfte nur noch derjenige das Haus verlassen, der dringend notwendige Besorgungen wie Lebensmittel- oder Apothekeneinkäufe erledigt oder zur Arbeit muss. Alle nicht für den täglichen Bedarf notwendigen Geschäfte sowie Bars und Restaurants bleiben geschlossen. Bis zum 6. Januar ist es zudem weitestgehend untersagt, die eigene Kommune zu verlassen. Geschlossene Cafés und Restaurants sowie Kontaktbeschränkungen kennt Kunkel ja schon von daheim. Sorgen, gerade jetzt, in der Corona-Zeit, nach Bozen auszuwandern, hat er nicht. "Man kann Corona ja nicht ausweichen; es ist mittlerweile überall." Jetzt ist er einfach überglücklich, "in seinen dritten Lebensabschnitt" in einem neuen Land zu starten. Bozen kennt er schon länger, "ich fand’ es schon damals schön". Mit seiner Lebensgefährtin hat er eine Wohnung bezogen, die sich nur zehn Gehminuten vom berühmten Waltherplatz entfernt befindet.
Und wenn die Corona-Regeln es wieder zulassen, freut er sich schon, das kulturelle Leben in Bozen zu genießen: "Diesbezüglich ist die Stadt super aufgestellt." Was ihm auch zupasskommt, ist, dass Bozen überall zweisprachig ist: "Hier werden sogar im Theater Untertitel eingeblendet", erzählt Kunkel. Er selbst kann sich verständigen, freut sich aber schon darauf, noch mehr Italienisch zu lernen.
Auch ein Yogastudio hat der Großsachsener zu seiner Freude schon entdeckt. Ansonsten hat er mit seiner Lebensgefährtin Radtouren geplant. "Uns wird sicher nicht langweilig. Wir müssen auch noch ein paar Kisten auspacken", verrät Kunkel lachend. Für seine einstigen Kunden wird er auch weiterhin erreichbar sein und Aufträge weitervermitteln, wenn gewünscht.
Das Großsachsener Ortsgeschehen will er auch weiterhin verfolgen; sein RNZ-Online-Abo macht’s möglich. Jetzt wird er aber erst einmal das italienische Lebensgefühl genießen. "Ich finde es so toll, dass die Menschen hier einfach leichter und positiver durch das Leben gehen als viele Deutsche", schwärmt Harald Kunkel. Und ihn begeistert, nicht mehr zwei Minuten vor dem Weckerklingeln aufzuwachen und dann "ins Hamsterrad des Alltags" einsteigen zu müssen.
Kunkels Wunsch fürs neue Jahr 2021: "Dass ich noch viel Lebenszeit bekomme, um Italien ausgiebig genießen zu können."